Plastikkörbe, Flaschen, kaputte Fischernetze, Kunststoffkanister, Verpackungen und Tüten. Knapp 29 Tonnen Plastikmüll fischten Boyan Slat und sein Team Mitte Oktober aus dem Pazifik. Mit seiner Organisation The Ocean Cleanup hat sich der Niederländer zum Ziel gesetzt, die Weltmeere vom Plastikmüll zu befreien.
Dafür entwickelt er Hochsee-Müllsammelsysteme in großem Maßstab. Nach vielen Versuchen und Rückschlägen feierte er den jüngsten Fang als großen Erfolg – wenngleich die gesammelte Menge locker in drei übliche Mülltransporter passen würde und nur einen Bruchteil des Meeresplastiks ausmacht.
Expert*innen schätzen, dass der größte bekannte Müllstrudel im Pazifik, der sogenannte Great Pacific Garbage Patch, inzwischen aus knapp 80.000 Tonnen Plastik besteht.
Doch Slat denkt langfristig. Schon bald möchte er eine Flotte von zehn Sammelsystemen auf See schicken, bestehend aus zwei Schleppern, die eine bis zu 2500 Meter lange u-förmige Netzkonstruktion hinter sich herziehen. Alle fünf Jahre sollen sie die Müllmenge im Great Pacific Garbage Patch halbieren.
Verpackungen aus Kunststoff: 450 Jahre haltbar
Projekte wie The Ocean Cleanup bekämpfen allerdings nur die Symptome, nicht die Ursachen der Plastikflut. Laut einer Studie des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung und der Jacobs University Bremen leisten sie nur einen kleinen Beitrag zur Reinigung der Meere. Wichtiger sei, zu überdenken, wie Plastik hergestellt, konsumiert und entsorgt werde.
Immerhin 108 Kilogramm Verpackungsmüll produziert jeder Deutsche laut Zahlen des Umweltbundesamts pro Jahr. Müll, der im besten Fall recycelt, im zweitbesten verbrannt wird – und im schlechtesten Fall in der Natur oder im Wasser landet und dort bis zu 450 Jahre bleibt, bis er annähernd verrottet ist.
„Das Problem mit dem Meeresplastik beeinflusst die gesellschaftliche Wahrnehmung derzeit immens“, sagt Kim Cheng, Geschäftsführerin des Deutschen Verpackungsinstituts e. V. (dvi). Hinzu komme, dass die meisten Kunststoffe aus den fossilen Ressourcen Erdöl und Erdgas hergestellt werden.
Eine generelle Kritik an dem Verpackungsmaterial sei allerdings nicht gerechtfertigt, fügt Cheng hinzu. „Wir brauchen Kunststoffverpackungen. Sie schützen, machen Waren transport- und lagerfähig und stellen Hygiene, Qualität und Unversehrtheit von Produkten sicher. Bei Lebensmitteln und Medikamenten benötigen wir oft funktionale Barrieren, die sich mit anderen Materialien noch nicht oder nur mit einem größeren ökologischen Fußabdruck erreichen lassen.“
Verpackungen verkaufen
„Kunststoff an sich ist ein tolles Verpackungsmaterial“, bestätigt Sven Sängerlaub. Er ist Professor für Verpackungstechnik und -herstellung an der Hochschule München. „Es erfüllt ganz viele Anforderungen, ist zum Beispiel leicht, lebensmittelverträglich, kostengünstig und kann in vielfältige Formen gebracht werden.“
Doch das schlechte Image von Plastik beschäftigt längst auch die Industrie. Sängerlaub nennt Verpackungen „stille Verkäufer“. Sie signalisieren den Käufern, welche Produkte und wie viel Nachhaltigkeit darin stecken.
Immer mehr Konsumgüterhersteller tüfteln deshalb an alternativen Verpackungen, entweder aus Recyclingmaterial, aus Papier oder Papier-Kunststoff-Verbunden oder aus Kunststoff, der aus Rezyklat oder Biomasse hergestellt wird oder sogar biokompostierbar ist.
Als besonders umweltschonend wird Papier wahrgenommen. Es kann sehr gut recycelt werden, verrottet und bindet CO2, weil es aus nachwachsenden Pflanzenfasern hergestellt wird. Allerdings stecke hinter einer nachhaltigen Verpackung mehr als nur die Hülle, erklärt Sängerlaub.
„Wir müssen Faktoren wie Gewicht, Ressourcenverbrauch bei Herstellung, Wiederverwendbarkeit, Entsorgung, Transport und Schutzfunktion mitberücksichtigen.“ Papier ist nicht immer stabil genug und hat eigentlich keine Barriere.
Eine Papierverpackung muss also unter Umständen dicker ausfallen, ist damit schwerer und schneidet in der Ökobilanz dann sogar etwas schlechter ab als ein Kunststoffprodukt. Wenn Papier als Verbund mit einer Folie beschichtet ist, um zusätzliche Eigenschaften zu erhalten, ist das Recycling aufwendiger.
Ökologische Vor- und Nachteile abwägen
„Ein solches oder ähnliches Dilemma haben wir bei fast allen Alternativen“, sagt Sängerlaub. „Generelle Aussagen sind also schwierig.“ So können Kunststoffe inzwischen auch aus pflanzlichen Rohstoffen hergestellt werden, etwa aus Mais, Stärke oder Zuckerrohr.
Um den Bedarf zu decken, wären allerdings große Anbauflächen nötig, die mit der Lebensmittelproduktion konkurrieren, hinzu kommen Wasserverbrauch, Dünger- und Pestizideinsatz. Auch biologisch abbaubare Kunststoffe hat die Industrie schon entwickelt. Ihre Zersetzung wiederum dauert so lange, dass sie nicht zum Recyclingstrom passen und für übliche Kompostieranlagen ungeeignet sind.
Bisweilen werde auch Greenwashing betrieben „und Verpackungen als nachhaltig gekennzeichnet, die es de facto gar nicht sind“, sagt dvi-Geschäftsführerin Cheng. Die EU arbeitet an einer Richtlinie, die vorschreibt, ob und unter welchen Voraussetzungen Umweltaussagen wie „100 Prozent recycelbar“, „öko“ oder „biologisch abbaubar“ aufgedruckt werden dürfen.
Cheng appelliert aber auch an die Eigenverantwortung der Industrie. „Ich denke, wenn Verpackung am Ende damit assoziiert wird, dass wir den Konsumenten vormachen, etwas sei nachhaltiger, als es in Wirklichkeit ist, tun wir uns damit keinen Gefallen.“
An Innovationen mangelt es nicht
Dass es anders geht, zeigen die Unternehmen, die das dvi jährlich mit dem Deutschen Verpackungspreis prämiert. 2020 gewann etwa der Lebensmittelhersteller Frosta, der einen Teil seiner Tiefkühlprodukte nicht mehr in Plastikbeutel verpackt, sondern in einem neu entwickelten und recyclingfähigen Papierbeutel.
2021 wurden unter anderem die Partner Lanzatech und Mibelle Group ausgezeichnet. Sie haben ein Verfahren entwickelt, bei dem sie CO2 aus der Luft in Ethanol umwandeln, das wiederum die Basis für nachhaltige Kunststoffe, etwa für Seifen- und Spülmittelflaschen, bildet.
Wichtigste Maßnahme, um dem Problem des Meeresplastiks zu begegnen, ist indes Recycling. „Bei Verpackungen gibt es drei Gamechanger“, sagt Sven Sängerlaub. „Innovationen, Kosten oder Gesetzgebung.“ In der Vergangenheit habe die Industrie Kosten gesenkt und den Materialeinsatz optimiert, aber weniger auf Recycelbarkeit geachtet.
„Jetzt stehen Recycling und Kreislaufwirtschaft voll im Fokus.“ In ihrem Green Deal macht die EU etwa klare Vorgaben dazu, dass bis 2030 alle Verpackungen recycelbar sein sollen. Auch die neue Bundesregierung hat die Kreislaufwirtschaft weit oben auf ihrer Agenda.
Doch damit die Ziele erreicht werden, wird es auch auf die Verbraucher*innen ankommen. Sie müssen erkennen, um welche Art von Verpackungsmaterial es sich handelt und wie sie es richtig entsorgen. Denn nur so können sie im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu einem neuen Produkt werden, anstatt zu ewigem Müll im Meer.
Der Artikel erschien zuerst im Creditreform-Magazin, das wie die absatzwirtschaft in der Handelsblatt Media Group erstellt wird.