Von Dr. Ralph Oliver Graef
Ins Rollen gekommen ist die Rechtsprechung, als ein Spanier geklagt hatte. Er hatte sich gegen die mittlerweile 16 Jahre alten Berichte einer spanischen Tageszeitung gewehrt. Der Bericht thematisierte unter anderem die Versteigerung seines Grundstücks, die im Zusammenhang mit einer Pfändung wegen Schulden stand. Der Mann verklagte sowohl die Zeitung als auch Google, die ihn betreffenden Suchergebnisse nicht mehr anzuzeigen. Die spanische Datenschutzbehörde forderte Google auf, die betreffenden Daten zu entfernen und deren Löschung auch für die Zukunft sicherzustellen. Als Google dagegen klagte, legte das spanische Gericht die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor, der dem spanischen Instanzgericht (Audiencia Nacional) nun aufgab, die Klage von Google abzuweisen und exakte Kriterien für den Umgang mit Ergebnislisten von Suchmaschinen aufzustellen.
Zwei unterschiedliche Verantwortlichkeiten
Der EuGH verpflichtet einerseits die Suchmaschinenbetreiber zur Löschung, da sie mit ihren Ergebnislisten einen strukturierten Überblick über die zu einer natürlichen Person im Internet verfügbaren Informationen schaffen. Andererseits hat er im vorliegenden Fall, obiter dictum, entschieden, dass die Zeitung den eigentlichen Eintrag – zu dem die Trefferliste von Google hinführt – nicht entfernen muss, da sie die betreffenden Informationen rechtmäßig veröffentlicht hat. Das bedeutet: Einerseits besteht die Verantwortlichkeit der Internetseite, auf der die Information liegt (im vorliegenden Fall also des Verlags) und andererseits die Verantwortlichkeit von Google.
Google ist auch dann verantwortlich, wenn die Informationen auf den Internetseiten Dritter nicht vorher oder gleichzeitig gelöscht werden oder gegebenenfalls gar nicht gelöscht werden, da sie rechtmäßig sind. Die Betreiber von Suchmaschinen sind also für ihre Trefferlisten selbständig verantwortlich, da ihre Tätigkeit zusätzlich zu der Internetseiten Dritter erfolgt. Der EuGH hat mit diesem Urteil die Interessen der Suchmaschinenbetreiber und ihre Unternehmerfreiheit, die Interessen der Presse und der Pressefreiheit (und anderer Medien wie Rundfunk und Internetplattformen) sowie das Recht der Öffentlichkeit auf Informationszugang angemessen abgewogen.
Das Recht der betroffenen Person überwiegt
Der Grund liegt unter anderem darin, dass die Originalinformation auf der Seite des Presseverlags im Netz öffentlich zugänglich und auffindbar bleibt. Erschwert wird nur die strukturierte Auslese persönlicher Daten durch die Suchmaschinenbetreiber und deren Verknüpfung zahlreicher Aspekte des Privatlebens, die allein der Erstellung eines Persönlichkeitsprofils von Betroffenen dienen können. Das Ganze immer und überall – hier wendet sich die Ubiquität des Internets und seine Rolle in der modernen Gesellschaft gegen einen der Hauptdarsteller und Hauptprofiteur: Google. Ausnahmen sind Personen des öffentlichen Lebens.
Der EuGH macht sich dabei nicht etwa die Welt, wie sie ihm gefällt, sondern stützt sich bei diesem Urteil auf die Grundrechtecharta der EU und auf die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Warenverkehr (ABl. L 281, S. 31). Auch das Bundesverfassungsgericht hat seit Mitte des letzten Jahrhunderts kontinuierlich das „allgemeine Persönlichkeitsrecht“ zum Grundrecht ausgebaut und durch das „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ und das „Computergrundrecht“ veredelt. Das Recht, vergessen zu werden, ist auf diesem Weg daher in der deutschen Grundrechtsdogmatik nur der nächste logische Schritt.
Bekannter Fall: Bettina Wulff
Wollen wir wirklich Google die Hoheit über unser Wirken in der Gesellschaft zugestehen? Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied: nein. Bei Eingabe des Namens Bettina Wulff in das Suchfeld von Google wurde dieser mit Begriffen aus dem Rotlichtmilieu automatisch ergänzt. Google rechtfertigte sich bisher damit, dass sie die Suchergebnisse lediglich automatisch durch einen Algorithmus generierten und schon deshalb keinen Einfluss auf die fremden Inhalte – hier also die Suchanfragen Dritter – hätten. Dieser Schutzbehauptung hat der BGH zu Recht einen Riegel vorgeschoben. Dieser Suchwortvervollständigung wohnt ein eigener Aussagegehalt inne. Suchmaschinenbetreiber sind daher nach Kenntnis von einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Dritter verpflichtet, derlei Verstöße zu verhindern.
Über den Autor:
Medienanwalt Dr. Ralph Oliver Graef ist Managing Partner der Medienrechtskanzlei Graef Rechtsanwälte, Hamburg, und zudem als Attorney-at-Law in New York, USA, zugelassen. Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit sind Medienrecht und geistiges Eigentums. Graef ist zudem Schiedsrichter der Independent Film & Television Alliance (IFTA), der in Los Angeles ansässigen weltweiten Vereinigung unabhängiger Filmproduzenten.
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