Value Media: Dieses Forschungsprojekt macht nachhaltige Mediaplanung messbar 

Woher sollen werbende Unternehmen wissen, wie wertvoll ein Werbeträger für die Gesellschaft ist? Ein neues Research Center an der IU Internationalen Hochschule arbeitet an einer Value-Media-Skala, die Werbungtreibenden die notwendigen Kennzahlen liefern soll.
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Raus aus TikTok, X und Instagram?: Die Stimmen, die von Werbungtreibenden einen gesellschaftlich verantwortlichen Umgang mit ihren Mediageldern fordern, werden lauter. (© Imago)

Lisa-Charlotte Wolter, Professorin für Online-Marketing & Medien an der IU Internationalen Hochschule, hat sich einer herausfordernden Aufgabe verschrieben: Gemeinsam mit einem Team von Wirtschafts- und Medienfachleuten will sie den Wert von Medien messbar machen. Value Media heißt das Konzept – und folgt man den aktuellen Diskussionen um nachhaltige Mediaplanung, dann wird es dringend benötigt. „Wir wollen aufzeigen, welche Effekte die Allokation von Mediaetats mit sich bringt“, sagt Wolter. Dabei gehe es nicht darum, „böse Medien“ aus den Mediaplänen zu drängen. „Werbungtreibende sollten aber transparent beurteilen können, wie nachhaltig ihre Media-Investitionen sind“, so Wolter. 

Warum ist das so wichtig? Immer mehr Akteure fordern von Unternehmen, die Nachhaltigkeit ihrer Aktivitäten transparent offenzulegen. In den Blickpunkt der ESG-Reportings rücken nach und nach auch die Marketingaktivitäten, wozu auch die Buchung von Medien – direkt oder indirekt über Agenturen – gehört. Kennzahlen zur Messung der ökologischen und gesellschaftlichen Effekte von Medien sind also zunehmend gefragt.  

Brand Safety häufig nur noch ein frommer Wunsch 

Gleichzeitig kocht gerade die Diskussion über schädliche und demokratiegefährdende Wirkungen sozialer Medien wie TikTok, Instagram und X hoch – Brand Safety ist hier teilweise nur noch ein frommer Wunsch. Die großen Plattformen von Digitalriesen wie Google und Meta verbuchen zudem immer größere Anteile im Werbemarkt, während journalistische Medien vor existenziellen wirtschaftlichen Problemen stehen. Immer lauter werden die Stimmen, die von den Werbungtreibenden einen gesellschaftlich verantwortlichen Umgang mit ihren Mediageldern fordern: weg von einem eindimensionalen Reichweitendenken, hin zu einer bewussteren Nutzung von Medienumfeldern für die Aussteuerung von Kampagnen.  

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Die drei Dimensionen von Value Media: der Wert von Medien für Konsumierende, Medienhäuser und Gesellschaft. (© IU)

Aber so einfach ist es eben nicht: Was soll das sein, Value? Und was heißt, in Bezug auf Media, Nachhaltigkeit? Um Messzahlen für eine nachhaltige Mediaplanung zu erhalten, hat die Branche zunächst die ökologische Dimension ins Auge gefasst: Wie groß ist der CO2-Ausstoß, den eine Werbekampagne verursacht? Verbände und Mediaagenturen arbeiten an entsprechenden Standards. Spezialisierte Dienstleister wie Scope3 bieten an, Kennzahlen für die gesamte Wertschöpfungskette einer Werbekampagne zu liefern, vor allem im digitalen Bereich. 

Nur wenn viele Stakeholder mitziehen, kann ein Branchenstandard entstehen 

„Die wesentlichen Effekte von Medien liegen aber im sozialen und gesellschaftlichen Bereich“, betont IU-Professorin Wolter. Um hier weiterzukommen, hat sie ab 2022 an der Hochschule das SuMM-Projekt vorangetrieben, eine Grundlagenforschung zu „Sustainable Media Management“, die im vergangenen Sommer abgeschlossen wurde. Partner war die Mediaagentur Mediaplus. Darin ging es unter anderem um die Verdichtung von Ansätzen und Daten zu nachhaltiger Mediaplanung und eine Bestandsaufnahme der Stakeholder, vor allem Medien, Agenturen und Werbungtreibende, in Deutschland und den USA.   

Nun folgt der nächste Schritt. Unter der Leitung von Lisa-Charlotte Wolter hat die IU im vergangenen Herbst das Research Center for Sustainable Media & Marketing (RCSMM) gegründet, das bis 2027 ein umfassendes System von Value-Media-Kriterien entwickeln und in die Praxis integrieren soll. „Uns ist dabei vor allem wichtig, möglichst viele Unternehmen, Agenturen, Verbände und Experten aus der Wissenschaft mit ins Boot zu holen“, betont Wolter. „Nur wenn das Konzept auf Basis beteiligter Stakeholder steht, hat es die Chance, zum anerkannten Branchenstandard zu werden.“ Zu den Kooperationspartnern gehört unter anderem der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), der sich im Ressort Digital Responsibility ebenfalls mit dem Thema beschäftigt. 

Das Konzept von Value Media

Das Research Center untersucht im Rahmen des Value-Media-Konzepts, welchen Wert Medien für die Konsumierenden, für die Medienhäuser und für die Gesellschaft haben. Die drei Dimensionen umfassen jeweils zahlreiche Einzelaspekte, die das System sehr komplex machen. Für die Nutzerinnen und Nutzer von Medien etwa spielen unter anderem Informationsgehalt, Unterhaltungswert und User Experience eine Rolle. Medienhäuser wiederum profitieren von der Marktstellung und der Markenstärke ihrer Medien, die zahlende Kundschaft anziehen.  

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Lisa-Charlotte Wolter von der IU Internationalen Hochschule in Erfurt und ihr Team müssen dicke Bretter bohren. (© IU)

Gleichzeitig produzieren die Medien Zielgruppen, die für Werbungtreibende bedeutend sind. Gesellschaftliche Auswirkungen haben Medien, indem sie zum Beispiel zur politischen Willensbildung beitragen, journalistische Qualität fördern oder faire Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden bieten. All diese Aspekte und viele mehr sollen skaliert und mit Kennzahlen versehen werden. Wie granular diese am Ende sein werden, steht heute noch nicht fest. „Wie gut man die verschiedenen Aspekte operationalisieren kann, wird sich im Verlauf des Projekts zeigen“, sagt Wolter.  

Der Teufel steckt im Detail: Objektive Kriterien lassen sich nicht einfach definieren 

Auf jeden Fall sollen Standards erarbeitet werden, die weltweit adaptierbar sind und den internationalen Status Quo der Medienforschung berücksichtigen. „Auch die großen, international aufgestellten Plattformen sollen das System nach Möglichkeit mittragen können“, so Wolter. 

Wichtig ist es auch, in die Bewertung der Medien möglichst im Markt vorhandene Studien etwa zur Rezeption einzelner Mediengattungen einzubeziehen. „Es ist unmöglich, für jedes Medium regelmäßig individuelle Nutzungsstudien durchzuführen, um den Value-Media-Standard ständig mit aktuellen Daten zu füttern“, erläutert Wolter.  

Darf man erwarten, dass die gesamten Value-Kennzahlen am Ende in eine abschließende, alles summierende Gesamtnote eingehen – wie beim Net Promoter Score (NPS), der Kennzahl für die Empfehlungsbereitschaft? „Davon gehe ich nicht aus“, sagt die Marketing-Professorin. „Die Aussagekraft einer solchen Zahl wäre angesichts der Komplexität des Themas sehr begrenzt.“ Unternehmen sollen vielmehr in der Lage sein, ihre Mediastrategie den übergeordneten Unternehmensstrategien anzupassen. Wenn ein Unternehmen beispielsweise vor allem Diversität fördern will, ist eine ökologische Ausrichtung der Werbeträger vielleicht weniger zentral. Die individuellen – im Rahmen der Wesentlichkeitsanalyse definierten – Präferenzen sollen sich mit den jeweils relevanten Kennzahlen untermauern lassen.  

Natürlich steckt der Teufel im Detail: Nach welchen Kriterien wird journalistische Qualität beurteilt? Wie erfasst man den Unterhaltungswert? Wann haben Medien suchtgefährdendes Potenzial? Hier objektive Kriterien zu definieren, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Wolter ist bewusst, dass sie mit ihrem Team sehr dicke Bretter bohren muss: „Aber wir gehen die Komplexität an, um sie am Ende für die Unternehmen zu reduzieren.“  

(kj, Jahrgang 1964), ewiger Soul- und Paul-Weller-Fan, hat schon für Tageszeitungen und Stadtmagazine gearbeitet, Bücher über Jugendkultur und das Frankfurter Bahnhofsviertel geschrieben und eine eigene PR-Agentur betrieben. 1999 zog es ihn aus dem Ruhrgebiet nach Frankfurt, wo er seitdem über Marketing-, Medien- und Internetthemen schreibt, zunächst als Ressortleiter bei „Horizont“, seit 2008 als freier Journalist und Autor. In der Woche meist online, am Wochenende im Schrebergarten.