Sind Sie zufällig Gründer*in, Unternehmerin oder Freiberufler*in? Dann gehören Sie nämlich bei uns in Deutschland zu einer aussterbenden Gattung. Der Anteil der Selbstständigen sinkt seit Jahren, die Zahl der Gründungen hat sich in den letzten zehn Jahren halbiert. Ich habe mich angesichts dieser sinkenden Unternehmungslust gefragt, was aus Menschen Unternehmer*innen macht. Und dabei drei Motive gefunden:
- mehr Unabhängigkeit und kreative Selbstverwirklichung,
- Verantwortung und Fortführung einer Familientradition,
- die Möglichkeit, die Welt sinnvoll zu verändern. (Ökonomische Motive wie Gründung aus Not spielen in Deutschland kaum eine Rolle.)
Schauen wir uns Motiv 1 an: In der Vergangenheit war es der Haupttreiber und auch aktuell ist es ein mächtiges Motiv. So mächtig, dass es nicht mehr den Unternehmer*innen vorbehalten ist. Alle fordern es ein, auch die Arbeitnehmer*innen. Und dank New Work sind viele Angestellte heute bei freier Zeiteinteilung und selbst gesetzten Zielen im Homeoffice, schlagen sich mit Teams und Kanban herum und erleben die Vorzüge und Schattenseiten der kreativen Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit ganz ohne Unternehmertum. Dieses Motiv wird also eher weniger ein zukünftiger Treiber neuer Unternehmungslust.
Wie steht es um Motiv 2? Laut einer Forsa-Umfrage ist das Ansehen des Unternehmers seit 2007 auf Talfahrt. Kein anderes der abgefragten Berufsbilder hat so stark an Prestige verloren. Warum? Eine aktuelle PwC-Studie zeichnet das Bild eines führungsstarken, belastbaren, disziplinierten, traditionellen und regional verwurzelten Inhabers, der das Bestehende möglichst verantwortlich und langfristig erhält. Verantwortung und Tradition sind ehrbar, aber wirken offensichtlich wie aus der Zeit gefallen. Dieses Motiv weckt sicher nicht die schlummernde Unternehmenslust. Junge Gründer*innen fremdeln sogar mit dem Titel „Unternehmer“ und nennen sich auch Jahre nach der Gründung noch „Founder“, denn das klingt nach mutigem Schaffens- und Gestaltungsdrang.
Kommen wir zu Motiv 3: dem Anliegen, die Welt zu verändern. Immerhin 40 Prozent der Unternehmer nennen es als ihr Hauptmotiv. Angesichts der aktuellen Zukunftsfragen einer Wirtschaft und Gesellschaft im Umbruch ein definitiv dringliches Anliegen. Für mich kann das Motiv aber noch mehr: Es baut die Brücke zwischen Start-up-Gründer*innen und klassischen Familienunternehmer*innen, denn es verbindet Selbstbestimmtheit und Gestaltungswillen mit gesellschaftlicher Verantwortung und langfristigem Denken. Das Bild und Motiv des Gesellschaftsgestalters ist für mich somit das tragfähigste Rollenbild und Leitnarrativ für alle zukünftigen „Founder“, „Unternehmer*innen“ und Menschen mit Unternehmungslust.
Europa Bendig ist Geschäftsführerin von Sturm und Drang. Mit der Hamburger Research- und Transformations-Agentur blickt sie auf die Welt im Wandel. Als Kolumnistin schreibt sie über den Zusammenhang zwischen Gesellschaft und Marketing, das immer auch eine Kulturaufgabe ist.