Von Peter Hanser
Frau Imdahl, befriedigt ein Produkt allein heute noch die Bedürfnisse der Konsumenten?
INES IMDAHL: Ein klares Jein. Wir leben in einer Zeit, in der Werte, Markenwerte, Unternehmenswerte, Menschenwerte sowie die Fragen „Was macht Sinn?“ und „Was gibt den Menschen Sinn?“ einen größeren Stellenwert einnehmen. Zumindest wenn man auf die soziale Erwünschtheit schaut. Die riesige Veggie-Welle, Vegan-Welle oder die Bio-Sachen verkaufen sich inzwischen auch besser. Kürzlich haben wir eine Jugendstudie gemacht, in der 57 Prozent der Jugendlichen gestützt antworteten, dass es ihnen bei Produkten auch auf Nachhaltigkeit und natürliche Inhaltsstoffe ankommt. Ungestützt, als wir sie auf die Couch gelegt haben, war das überhaupt kein Thema. Da war anderes wichtig.
Wie erklärt sich dieser Widerspruch?
Menschen sind per se aus psychologischer Sicht nie nur altruistisch. Sie sind dann bereit ihr Verhalten zu ändern, wenn sie unmittelbar und direkt selbst etwas davon haben. Wenn der rote Bioapfel leckerer aussieht als ein herkömmlicher Apfel, und in der Produkterfahrung leckerer schmeckt, dann ist der Konsument bereit, nebenbei die Welt zu retten. Und jetzt wird es psychologisch interessant: Dabei redet er sich aber ein, er würde den Apfel wegen des Welt-retten-Aspekts kaufen. Solange der Apfel das runzelige Reformhaus-Produkt war, hat das aber gar nicht geklappt. Relevant im heutigen Umfang sind die Bio-Produkte erst geworden, als sie den Menschen besser geschmeckt haben und als das Einkaufserlebnis für sie attraktiver geworden ist.
Wenn der Bio-Apfel gut aussieht, dann ist er bereit, einen Mehrpreis für den ethischen Aspekt zu zahlen?
Das funktioniert nur dann, wenn die Menschen egoistisch sein dürfen. Das kann man von Konsumenten- und Unternehmensseite betrachten. Menschen sind per se aus psychologischer Sicht nie altruistisch, machen nie Dinge nur für jemanden anders – auch Mutter Theresa nicht. Menschen sind dann bereit ihr Verhalten zu ändern, auch auf andere Aspekte zu achten, wenn sie unmittelbar und direkt selbst etwas davon haben. Das heißt: Ist der Bio-Apfel leckerer, sieht besser aus, ist das Einkaufserlebnis interessanter, dann ist man bereit, auch etwas mehr
zu geben. Oder anders formuliert: Wenn es zum Beispiel im Luxusbereich vergleichbare Lippenstifte gibt, und ein Anbieter bietet mit seinem Produkt an, die Brustkrebsforschung für Frauen zu unterstützen, dann ist es attraktiver, zu diesem Produkt zu greifen. Da wäre viel Luft nach oben. In der Autobranche versucht Tesla, einen solchen Ansatz von Nachhaltigkeit stärker nach vorne zu bringen.
Bestehen jedoch gravierende Preis-unterschiede, gilt das schon wieder nicht. Im Modebereich ist es ein Lippenbekenntnis, für nachhaltige und anständig produzierte Mode mehr Geld auszugeben. Fakt ist, die Leute kaufen dennoch günstigste Produkte bei Primark und akzeptieren, dass Kinderarbeit dahintersteckt. Für die Kunden gilt: Sie verhalten sich dann ethischer und moralischer, wenn sie selbst davon etwas haben und wenn sie einen direkt spürbaren sinnlichen Nutzen haben.
Oder um das Gewissen zu beruhigen …
Das alleine reicht nicht, weil es diese Möglichkeit schon immer gab. Dennoch hat das kaum jemand gemacht. Jetzt aber gibt es einen Trend: nachhaltige Verpackungen, eine größere Diskussion um umweltfreundliche Mobilität, eine Jugendkultur, die sich als Veganer bezeichnet, und viele Lebensstile, die sich an ethisch-moralischen Vorgaben orientieren wollen. Wir haben jetzt eine Welle, und die Welle bedeutet, je besser es den Unternehmen gelingt, den Kunden etwas anzubieten, was ihren Egoismus zufriedenstellt, und nicht nur die Welt rettet, umso erfolgreicher werden sie sein.
Wenn wie bei Lidl in Holland nur noch Fairtrade-Bananen angeboten werden, und Konsumenten keine Wahl mehr haben, fällt dann das Preisargument weg? Dürfen die Äpfel dann auch weniger schön aussehen?
Natürlich haben die Konsumenten noch immer die Wahl, bei einem anderen Händler zu kaufen. Daher ist es auch für den Verkäufer besser, auf die Wünsche – in diesem Fall die Optik – einzugehen. Allerdings hatten die meisten Verbraucher bisher umgekehrt keine Wahl, sie konnten beim Discounter schlicht nicht nachhaltig kaufen. Dass dies jetzt anders ist, sollte positiv stimmen.
Unternehmen dürfen also durchaus egoistisch sein und müssen nicht altruistisch handeln?
Kunden müssen egoistische Bedürfnisse befriedigen können, Unternehmen auch. Die Unternehmen müssen etwas finden, an das sie wirklich und ernsthaft glauben und was sie kontinuierlich verfolgen – ansonsten wird es nicht funktionieren. Sie dürfen das nicht nur machen, um mehr zu verkaufen. Das ist zwar ihr gutes Recht, es darf aber nicht der alleinige Grund sein – denn dann ist es nicht glaubwürdig. Die Unternehmen müssen nicht zu Sozialunternehmen werden, die nur noch alles tun, um niemandem zu schaden, sondern sie müssen Bereiche finden, in denen sie etwas besser machen können als vorher.