Prominente Digitalisierungsgräber zeigen jedoch, dass die Mechanismen dieses Wandels vielerorts nicht verinnerlicht sind. Aktuellstes Beispiel ist der Spielwarenhändler Toys“R“Us. Mangelnde Transformationsfähigkeit, wachsender Konkurrenzdruck durch die großen Onlinehändler und die Unfähigkeit, darauf schnell und agil zu reagieren, brachten den Konzern zu Fall. Ich bin überzeugt, dass Toys“R“Us nicht das letzte Unternehmen ist, das am digitalen Wandel zerbricht.
Warum verlieren große Marken heute noch das Digitalrennen? Ein Grund: Noch immer haben viele Vorstände nicht begriffen, dass mehr zu einer digitalen Business Transformation gehört, als einzelne Prozesse zu digitalisieren und in die IT-Infrastruktur zu investieren. Zukunftsfähig werden nur diejenigen Unternehmen sein, die heute agieren und in ihrem Geschäft alle relevanten Charakteristika implementieren: Agilität, Kundenzentrierung, Innovationsfähigkeit und Effizienz. Für diesen Wandel bedarf es einer fundamentalen Veränderung der Unternehmenskultur. Manager müssen lernen, ein dynamisches Umfeld zu erzeugen und alle Mitarbeiter befähigen, die transformationellen Prozesse auf strategischer und operativer Ebene umzusetzen. Die Führungsebene muss mehr tun als zu sagen, „arbeitet agiler, kreativer und bitte etwas effizienter“. Sie muss dies jedem einzelnen Mitarbeiter aktiv ermöglichen. Jeden Tag.
Werte transformieren die Unternehmenskultur
Zunächst einmal bedarf es eines klar definierten Wertesystems, das als Grundlage einer agilen Unternehmenskultur sowie als essenzieller Baustein für die erforderlichen „new ways of working“ fungiert. Ein solches Wertesystem ist allerdings kein direkt steuerbares Element und schon gar nicht auf Knopfdruck installierbar. Es ist allerdings essenziell, um die Unternehmenskultur zu transformieren. Dies findet dann schließlich in organisatorischen Prozessen, innerbetrieblichen Strukturen und Workflows sowie in innovativen Verhaltens-, Denk- und Handlungsweisen der einzelnen Mitarbeiter ihren Ausdruck. Um einen solchen Kulturwandel zu erzeugen, müssen Unternehmen Tugenden wie Vertrauen und Mut auf allen Arbeitsebenen etablieren, die dann übergreifend als verbindender Kodex und Leitgedanke für alle Mitarbeiter dienen. Letztlich unterliegt die Interpretation dieses Regelwerks aber einer gewissen Eigendynamik, der man auch genügend Spielraum lassen muss, damit sie sich entwickeln und festigen kann.
Eben diesen Spagat zwischen Kontrolle und Freiheit zu meistern, ist anscheinend nicht jedermanns Sache. Entsprechend gefordert sind die Manager: Sie müssen einen neuen Führungsstil lernen – und vor allem auch leben. Wenn es der Führungsebene gelingt, alle Mitarbeiter auf die neue Reise ins digitale Zeitalter mitzunehmen, entsteht bestenfalls eine ausgeprägte Offenheit gegenüber den notwendigen Veränderungen. Und der Business Transformationsprozess kommt in Schwung.
Fehler machen gehört dazu
Die interne Zusammenarbeit wird gestärkt, etablierte Denksilos fallen. Das Ergebnis ist mehr Kreativität und innovativere Ideen – auf allen Ebenen. So weit so gut, doch was viele Unternehmenslenker dabei vergessen: Diese Entwicklung führt auch unweigerlich zu mehr Fehlern beziehungsweise nicht realisierbaren Konzepten. Folglich sollten sie für ein gesundes Maß an Fehlertoleranz sorgen. Denn ein permanentes Damoklesschwert über dem Kopf führt bei den Mitarbeitern zu Unsicherheit und Angst – zwei todsichere Transformations-Killer.
Eine aufgeschlossene, angstfreie Kultur allein ist natürlich noch kein Garant für das Gelingen der digitalen Business Transformation, sehr wohl aber ein erfolgskritischer Baustein im Change-Management. Denn sicher ist: Wenn die Vertreter der Chefetage es nicht schaffen, ihre Mitarbeiter für das Tempo des digitalen Zeitalters fit zu machen, werden sie selbst noch lange mit der eigenen Angst und zahlreichen Schweißperlen auf der Stirn zu kämpfen haben.
Zum Autor: Wolf Ingomar Faecks, Senior Vice President und Geschäftsführer SapientRazorfish Kontinentaleuropa, Präsident Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA e.V.