Herr Herms, die Unternehmensberatung A.T. Kearney hat Ihr Unternehmen vor zwei Jahren zum „Best Innovator“ ausgezeichnet, weil „die Innovations-Wertschöpfungskette hervorragend und nachhaltig verankert“ sei; „von der Idee bis zum Erfolg am Markt“. Würden Sie bitte so einen Prozess am Beispiel beschreiben.
HERMS: Ein gutes Beispiel dafür liefert sicher die Luftfahrtindustrie. Die Auszeichnung von A.T. Kearney fußte auf unserem Projekt „Supply the Sky“. Wir sind mit dieser Branche im Großen und Ganzen eng verbunden. Es begann aber mit kleinen Aufträgen in diversen Bereichen, erst mit Ersatzteilen, die wir weltweit den Airlines zur rechten Zeit an den rechten Ort brachten. Dann kam das Lagergeschäft für die Produktionsstätten hinzu. Bis hin zum Vertrag mit Airbus, wonach wir im vergangenen Jahr den Zuschlag bekommen haben, die Logistik für den Konzern global zu organisieren inklusive Lager- und Verteilungsgeschäft. Erst übernahmen wir Dienste für die Airlines, jetzt arbeiten wir eng mit den Herstellern zusammen.
Auch Kunden wie Porsche zeichnen Sie als Partner vielfach aus. Wie betreiben Sie Qualitätssicherung, und erhalten Sie dafür Feedback über ein CRM-System?
HERMS: Wir müssen ja permanent in der Lage sein, die Beschaffung und den Lieferweg von Gütern transparent darzustellen. Unsere Zuverlässigkeit hierin müssen wir über mehrere Perioden der Zusammenarbeit beweisen. Dann kommt man zu einem Vertrauensverhältnis, das zu diesen Auszeichnungen führt. Bei Porsche war es die Ersatzteil-Lieferung in den USA. Aber auch für Apple übernehmen wir seit Jahren die Beschaffung der Produkte aus Asien bis zur Auslieferung der Waren beim Endkunden in Europa, Das widerspricht zwar etwas dem, was ich bei DHL bemängelte, nämlich Logistik und Paketdienst unter einem Dach zu vereinen, aber wir bedienen uns auf der letzten Meile eines Kurierdienstes, den wir damit beauftragen.
Informationstechnologie scheint immer wichtiger zu werden, um die Transparenz des Warenflusses und der Lagerhaltung herzustellen. Was ist heute möglich, um Bestände weltweit zu überwachen und Lieferketten zu kontrollieren?
HERMS: Wir haben eine Software, die in der Lage ist, die Güter zu jeder Zeit in der Tiefe, also bis zu Farbe und Größe, darzustellen. Wir können jedem Kunden aufzeigen, an welchem Punkt des Weges und der Beschaffung sein Gut ist. Es beginnt in den Fabriken, also wann die Ware produziert wird, geht über die Meldung, wann der Kunde seine Inspektoren zur Inspektion der Ware hinschicken kann, reicht über das Eintreffen im Hafen oder Flughafen und endet bei der Voraussage, wann genau die Ware beim Kunden aufschlägt, also im Lager oder Einzelhandelsunternehmen. Diese Gewährleistung von Abbildung muss sein und ist nur möglich, wenn Sie eine standardisierte IT-Landschaft haben. Das haben wir unter dem Namen „KN Login“, das ist weltweit eine IT-Lösung für alle Bereiche – Luft – und Seefracht, Kontraktlogistik und nun sind wir dabei, sie auch für den Lkw-Verkehr weiter zu entwickeln. Es war ursprünglich eine gekaufte Software, die wir über die Jahre so modifiziert und verbessert haben, dass vom Ursprung nichts mehr übrig ist. Wir sind übrigens der Einzige, der weltweit einen Software-Standard bietet. Einer der vielen Gründe, der es möglich macht, permanent unsere Margen zu optimieren.
Sind künftig vermehrt clevere Transportlösungen gefragt wie der Kombinierte Verkehr auf Straße und Schiene?
HERMS: Die Tendenz ist so, dass man darauf hinarbeiten sollte, künftig Langläufe mit der Bahn zu organisieren und die Verteilung auf kurzen Wegen per Lkw abzuwickeln. Darin sehe ich den Idealzustand. Leider ist immer noch nicht die Möglichkeit gegeben, den Bahnverkehr zuverlässig in richtigen Mengen einzuschalten. Die Bahn ist zu langsam. Sie müssen alles selbst koordinieren, müssen die richtige Trasse zur richtigen Zeit finden, das ist alles nicht so einfach. Diese Komplikation verleitet zu unserem Leidwesen immer noch dazu, die Güter größtenteils mit dem Lkw zu transportieren. Ich finde, je mehr auf die Bahn gebracht wird, desto besser für uns alle. Aber leider ist es so: Der Kombinierte Verkehr wird zwar propagiert, aber in letzter Konsequenz nicht umgesetzt, weil wirtschaftlich und in vernünftiger Zeit noch nicht einsetzbar.
Warum erheben dann große Spediteure wie Ambrogio die Nutzung des Kombinierten Verkehrs schon zu ihrem Alleinstellungsmerkmal, was sogar im Slogan mündet „Intermodal only“?
HERMS: Wenn man wie Ambrogio eigene Ganzzüge einsetzt, kann das gut funktionieren. Wir haben ebenfalls solche Projekte und organisieren beispielsweise für Kunden in Österreich den Export über Ganzzüge nach Rotterdam und den Import andersherum. Das läuft sehr gut. Der langfristige Vorlauf von Export- und Importgüter ist darüber zu organisieren. Aber für einen Industriekunden einen Ganzzug anzubieten, ist nicht ganz einfach. Sie brauchen die richtigen Mengen, und der Zug muss zuverlässig zum richtigen Zeitpunkt da sein. Sie brauchen auch eine gewisse Streckenlänge. Zwischen Nordeuropa und Südeuropa bietet sich das beispielsweise an.
Reine Transport-Dienstleistungen sind austauschbar geworden und sollen mittlerweile nur noch Renditen von null bis vier Prozent abwerfen. Mitunter müssen Spediteure ihre freien Kapazitäten in Internet-Auktionen feilbieten, wo es eher um den Preis als um Leistung geht. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
HERMS: Ich glaube, die Renditen werden sich verbessern, weil sich mit der Konsolidierung eine Optimierung einstellt. Leerläufe werden so teuer, dass sie nicht mehr erschwinglich beziehungsweise nicht mehr vertretbar sind. Anbieter mit halben Strecken werden also aus dem Markt verschwinden. Nur wer Rundläufe fährt, hat eine Überlebenschance.
Apropos Preise: Was ist eigentlich aus den Untersuchungen der Behörden wegen Preisabsprachen geworden, die auch zu Hausdurchsuchungen bei Kühne + Nagel geführt haben? Sie hielten die Maßnahmen für überzogen, wollten aber kooperieren und Verfehlungen Einzelner nicht ausschließen.
HERMS: Die Untersuchungen laufen noch. Zum laufenden Verfahren kann ich nicht viel sagen. Das Überzogene sehe ich immer noch so, allerdings leider auch die Möglichkeit der Verfehlungen Einzelner.
Wann rechnen mit Ergebnissen?
HERMS: Die Untersuchungen hier im Haus waren im Oktober des vergangenen Jahres. Wir gehen davon aus, dass die Behörden ihre unmittelbaren Untersuchungen wohl Ende dieses Jahres, Anfang nächsten Jahres abgeschlossen haben. Bis das Verfahren in der Gesamtheit zum Abschluss kommt, werden sicher zwei Jahre ins Land gehen.
Kunden könnten auf das Stichwort „Preisabsprachen“ empfindlich reagieren. Hat Ihr Unternehmen durch das Verfahren einen Image-Schaden genommen?
HERMS: Der Vorgang hat, solange Einzelheiten und wirtschaftliche Basiswerte nicht darzustellen sind, nicht geschadet. Wenn sich herausstellt, dass grobe Verstöße begangen wurden, wird das sicher Einfluss haben. Davon gehe ich bei uns aber nicht aus. Das Gespräch führte Thorsten Garber
Klaus Herms über…
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