Der Griff zur Kaffeedose gehört für viele Menschen in Deutschland zu den ersten Handlungen des Tages. Für die meisten Menschen ist Kaffee sogar mehr als ein Wachmacher: Knapp 90 Prozent der Deutschen trinken ihn täglich, drei Tassen Kaffee pro Tag sind es im Durchschnitt – das sind etwa 150 Liter Kaffee pro Kopf im Jahr. Damit ist Kaffee das beliebteste Heißgetränk hierzulande – und ein Milliardengeschäft.
Doch die Erzeuger*innen bekommen davon kaum etwas ab, viele können nicht einmal vom Kaffeeanbau leben. Die Gründe dafür sind nicht nur die Effekte des Klimawandels, auch Spekulationen an den Rohstoffbörsen sorgen für Existenznöte bei den Kaffeefarmer*innen. Die Profiteure sind große Konzerne wie Nestlé, Jacobs Douwe Egberts oder die Neumann Kaffeegruppe, die über 75 Prozent des weltweiten Kaffeumsatzes zu Börsenpreisen abwickeln.
Die Ursache für den unfairen Wettbewerb: Die Kaffeeproduktion wurzelt in kolonialen Strukturen, die auch heute noch nachwirken: Die Bohnen, die sich nicht in Europa kultivieren lassen, werden billig in äquatorialen Gegenden produziert und von großen westlichen Röstereien gewinnbringend weiterverkauft. Allein in Deutschland soll der Marktanteil von fair gehandeltem Kaffee nur fünf Prozent betragen.
Kaffee wird mit negativen Margen verkauft
„Bei uns im Westen liegen nicht nur die Gewinne, sondern hier liegt auch die Verhandlungsmacht“, sagt Martin Elwert, Geschäftsführer von Coffee Circle. Das Berliner Unternehmen, das er 2010 gemeinsam mit Robert Rudnick und Moritz Waldstein-Wartenberg gründete, will nichts weniger als “das kaputte System” von innen heraus verändern. „In Supermärkten wird Kaffee mit negativen Margen verkauft. Sie müssen auch nicht viel daran verdienen, weil Kund*innen dort nicht nur Kaffee kaufen“, sagt er. Kaffeeröster hingegen seien gezwungen, einen Preispunkt zu treffen, um verhandlungsfähig zu sein und trotzdem Gewinne machen zu können. „Der ist hierzulande besonders niedrig. Wenige große Firmen wie Tchibo oder Dallmayr kontrollieren in Deutschland 90 Prozent des Marktes.“
Für Coffee Circle steht jedoch nicht Profit im Zentrum, sondern Nachhaltigkeit. Das Unternehmen bezieht seinen Rohkaffee direkt von Kleinbauern, die in der Regel in Kooperativen zusammengeschlossen sind und die für ihre Produkte faire Preise erhalten. Dadurch will Coffee Circle sicherstellen, dass die Bauern ein nachhaltiges Einkommen erzielen und umweltfreundliche Anbaumethoden und -technologien anwenden. So arbeiten viele Kaffeeerzeuger noch mit veralteten Aufbereitungsanlagen, in denen die Kaffeekirschen sortiert, fermentiert und gewaschen werden, bevor sie getrocknet und für den Weitertransport vorbereitet werden. Neue Technologien erlauben einen Wasserverbrauch zwischen 250 und 500 Millilitern pro Liter Kaffee, veraltete hingegen verbrauchen oft bis 20 Liter.
Hinzu kommt, dass Coffee Circle pro Kilo verkauftem Kaffee einen Euro an die Erzeuger*innen zurückgibt. Bei den Investitionen konzentrieren sich die Berliner auf drei Säulen: Bildung, Gesundheit und Kaffeeanbau. Ziele und Maßnahmen der Investitionen beschließt Coffee Circle nach eigenen Angaben im engen Austausch mit den Kooperativen und Gemeinden, die Umsetzung verläuft über lokale Teams. Gerade in Äthiopien, wo nicht nur der Kaffee selbst seinen Ursprung hat, sondern auch die Idee von Coffee Circle geboren wurde, investiert das Unternehmen in Wasserversorgung und Quellenerschließung.
Unter der gewinngetriebenen Wertschöpfungskette leiden nicht nur die Erzeuger*innen, sondern auch die Qualität des Kaffees. So sind wegen des Preisdrucks Kaffeefarmer*innen gezwungen, minderwertigen Rohkaffee zu verkaufen, der mit noch höheren Temperaturen geröstet werden muss als guter Rohkaffee. „So schmeckt man die schlechte Qualität nicht so leicht heraus. Die gehört in deutschen Supermärkten weltweit aber zu den schlechtesten“, betont Elwert. Dadurch, dass der Kaffee hochpreisig verkauft wird, kann Coffee Circle nicht nur eine hohe Qualität bieten, sondern auch das Selbstvertrauen der Kaffeeerzeuger steigern. „Wir machen kein Charity, also kein ‚ich bin reich und du bist arm.‘ Die Farmer*innen können mit ihrem fair verdienten Geld selbst für die Verbesserung in ihren Gemeinden sorgen. Das schafft Mehrwert auf vielen Ebenen“, sagt Elwert.
Fairtrade hilft den Kaffeefarmer*innen wenig
Hingegen trügen Siegel wie Fairtrade nicht zur Verbesserung der Lebenssituation von Kaffeefarmer*innen bei – im Gegenteil. „Denn die Siegel-Systeme selbst setzen auf den kolonialen Strukturen auf“, sagt Elwert. So benachteilige ein Fairtrade-Siegel ärmere Kaffeebauern, da sie sich die hohen Zertifizierungskosten in der Regel nicht leisten könnten.
Zwar garantiert Fairtrade Bäuerinnen und Bauern einen Mindestpreis für ihren Kaffee, was bei schwankenden Weltmarktpreisen Sicherheit für die Produzenten gibt – auch unabhängig von der Qualität des Rohkaffees. Allerdings kann es sein, dass sie am Monatsende trotzdem nicht über mehr Geld verfügen. „Arbeiter auf bäuerlichen Betrieben, die mit Fairtrade zertifiziert sind, dürften, wenn, dann sogar schlechter verdienen als auf anderen“, schrieb die Tageszeitung Standard im Jahr 2019. Vermutlich sei durch die höheren Standards der Ertrag niedriger, wodurch Erzeuger*innen zwar mehr bekommen, aber dafür weniger verkaufen.
„Die Siegel-Systeme werden das System nicht verändern, sondern wollen diesem nur ein Pflaster aufkleben, um Kund*innen ein besseres Gefühl zu geben“, ist sich Elwert sicher. „Und die Röster verdienen wiederum umso mehr. Das führt also nicht dazu, dass das Kaffeegeschäft nachhaltig gemacht wird.“
Hochpreisige Produkte, Investitionen und eine hohe Qualität des Rohkaffees, der in der Berliner Zentrale selbst geröstet wird: Das sind die Zutaten, mithilfe derer Coffee Circle nichts minder möchte, als den Kaffeemarkt nachhaltig zu verändern. Mit Erfolg: Seit Gründung verzeichnet das Unternehmen ein jährliches Wachstum von 30 Prozent; im letzten Jahr machte es einen Umsatz von 16 Millionen Euro, fünf Prozent davon flossen in die Ursprungsländer zurück.
Social Media spielt für die Umsatzsteigerung eine geringe Rolle. „Wir machen keine Kampagnen mehr, dafür sind die Akquisitionskosten pro Kunde zu hoch. Performance Marketing lohnt sich nicht mehr für uns“, erklärt Elwert. Man habe sich deshalb dazu entschieden, mehr in die Marke zu investieren und dafür Cafés in Berlin eröffnet. „Die Experience der Kund*innen ist eine andere, wenn sie den Kaffee persönlich serviert bekommen. Und man hat eine höhere Sichtbarkeit. Da merken wir schon, dass wir damit unsere Bekanntheit steigern.“
Stattdessen setzt man auf organische Inhalte. Auch betreibt Coffee Circle einen Content Hub, auf dem mithilfe von Storytelling das Thema Kaffee näher beleuchtet wird. Des Weiteren verkauft das Unternehmen über seinen Onlineshop Kaffeemaschinen und anderes Equipment. Das steigert nicht nur den Umsatz, sondern verleiht dem Unternehmen auch eine höhere Relevanz bei Google – zwar langsam, aber nachhaltig. Eben das Credo von Coffee Circle: „Wenn es darum geht, möglichst bald viel Geld zu verdienen, dann wären wir nicht hier“, so Elwert.