Man muss schon ein bisschen ausholen, um zu erklären, was da gerade auf Deutschlands Bühnen passiert. Eine Band aus Süddeutschland, genauer aus Augsburg und München, ist gerade dabei, sich als Größe in einer Musikrichtung zu etablieren, die es vor zwei Jahren so eigentlich noch gar nicht gegeben hat. Die Rede ist von Roy Bianco und die Abbrunzati Boys und ihrem Siegeszug in Sachen Italoschlager. Die Texte klingen so: „Was kostet Amore? Quanto costa die Liebe zu dir?“ oder „Auf der Brennerautobahn seh’ ich uns nach Süden fahren, halte deine Hand und weiß, jetzt ist es gut …“.
Kommt Roy auf die Bühne, tut er das mit einer das ganze Publikum umarmenden Geste, dabei trägt er einen Anzug, der irgendwann in den 80ern hätte modern sein können, lange blonde Haare und er lacht. Er lacht sehr, sehr viel. Und dann ist da ja noch die Abbrunzati Boys. Ist, weil die Abbrunzati Boys eine Person ist und nicht, wie der Name vermuten lässt, mehrere.
Zusammen bilden „Abbi“ und Roy die „römische Doppelspitze“ dieser Band, die da gerade Italien in die Konzerthallen holt und ein permanentes Feeling von Aperol Spritz und Adria versprüht, über die man aber auch manchmal ein bisschen lacht, wenn man über sie spricht. Auf die Frage „Roy Bianco, hörst du auch?“ gibt es meistens irgendwie die Antwort „Haha, ja, du auch?“, und dann weiß man auch schon Bescheid.
Götter im Italoschlager-Pantheon
Die Frage, die dann wichtig ist, ist eigentlich nur die eine: Warum finden so viele so geil, was Roy, die Abbrunzati Boys, der Eisensepp, der Bungo Jonas, der Blechkofler und Ralph Rubin da machen? Eine Antwort gibt Roy darauf im „Tagesspiegel“ selbst: „In den 2000ern und 2010ern ist man eher nach Bali oder Thailand gereist. Und jetzt fährt man eben eher wieder nach Italien.“ Eine andere Antwort darauf kann Basti Zeitz geben. Er ist der Manager der Band, macht das Booking, aber er baut auch die Marke um die Jungs herum und er versucht, das Phänomen gerne in viele Worte zu packen: „Man kann viel darüber spekulieren, weshalb die Band ausgerechnet jetzt so erfolgreich geworden ist“, sagt er.
„Sicher ist aber, und das lässt sich auch unserer Arbeit zuschreiben, dass wir geschafft haben, etwas komplett Neues zu bringen.“ Hätte man vor Roy Bianco nach Italoschlager gesucht, hätte es vielleicht eine Handvoll Suchergebnisse gegeben. Jetzt aber sieht die Sache anders aus, jetzt beherrschen sie dieses Genre, sind die Götter im Italoschlager-Pantheon, das sie selbst erschaffen haben. „Sie machen nicht Italoschlager, sie sind der Italoschlager“, sagt Basti Zeitz. Das muss er natürlich auch.
Aber die Zahlen geben ihm ja recht. Geht die Band auf Tour, sind die Konzerte ausverkauft, im vergangenen Frühjahr erschien ihr zweites Album „Mille Grazie“ und landete gleich auf Platz eins der deutschen Albumcharts, auf Spotify reden wir von rund 200.000 monatlichen Hörer*innen.
Zwei Shows in München
Für eine Band, die so wirkt, als würde sie sich selbst nicht ernst nehmen, ist das gigantisch. Und erst der Anfang, wenn man Basti Zeitz fragt. „Für mich ist das eine Stadionband“, sagt er. „Die Musik lädt dazu ein, großchoralig gesungen zu werden!“ Und auch hier stimmt offenbar die Richtung. Zwei Shows sind in diesem Jahr auf dem Tollwood-Festival in München geplant – à 6000 verkaufte Tickets. „Eigentlich müssten wir eine dritte Show spielen“, sagt Zeitz.
Dominik Oswald, Social Media Strategist und Autor für das österreichische Magazin „The Gap“, schreibt: „Du brauchst eine Corporate Identity als Band, damit du es zu etwas bringst.“ Jede*n gute*n Musiker*in verbinden wir mit etwas, das mehr ist als nur seine oder ihre Musik. „Wir verbinden mit Musiker*innen Lebensgefühle – und nichts anderes strahlen Roy Bianco und die Abbrunzati Boys aus.“
Fake it till you make it?
Und die Corporate Identity von Roy Bianco und den Abbrunzati Boys besteht eben aus den unzähligen Geschichten, die die Band um sich herum gestrickt hat. Etwa die Legende, der zufolge sich Roy und die Abbrunzati Boys 1982 auf einer Silvesterparty von Erik Silvester am Gardasee kennengelernt haben. Danach seien sie gemeinsam in den Schlagerhimmel aufgestiegen. Dann Probleme, Fall und Trennung.
Vor einigen Jahren dann das neue Album „Greatest Hits“, das natürlich in Wahrheit das erste Album ist. „Die Geschichte ist auch so beflissen sachkundig, dazu muss man sich schon mit der Schlagergeschichte auseinandergesetzt haben, um Erik Silvester noch zu kennen“, sagt etwa der Journalist Dominik Wolf, der sich auch mit der Band befasst hat und versucht hat, das Phänomen zu erklären.
Das Magazin „Business Punk“ hat das, was die Band da macht, als professionellen Quatsch bezeichnet. Das war es auch sicher mal. Denn als sie angefangen haben, haben sie noch eine Heldengeschichte gefakt – nur ist die inzwischen eben Wirklichkeit geworden. Vielleicht ist das die Marken-Message, die Roy Bianco und die Abbrunzati Boys im Gepäck haben: Fake it till you make it. Man muss seinen eigenen Erfolg nur lange genug herbeireden, dann kommt er auch?
Ein Konzert soll wie Urlaub sein
Auch im persönlichen Gespräch bricht die Band nicht aus ihrer Erzählung aus. Wer mit seinem Privatleben hausieren gehe, hat Roy einmal gesagt, der habe eigentlich nichts zu erzählen. Aber kann man auf all dem wirklich eine Marke aufbauen? Die Antwort ist so banal wie einfach: Ja, man kann. Diese Geste, mit der Roy und „Abbi“ auf die Bühne kommen, mit der sie ihr Publikum umarmen, das ist es, worum es eigentlich geht. „Roy Bianco und die Abbrunzati Boys lieben ihre Fans“, sagt Basti Zeitz. Im Grunde sei das auch schon das ganze Geheimnis ihres Erfolgs.
Na ja, fast jedenfalls – es gebe da schon noch ein paar Details. „Wir haben hier ein sehr gutes Produkt, die Band mit ihrer Musik und ihrem Auftreten beziehungsweise Storytelling, und kombinieren das mit dem besten Wissen aus dem E-Commerce-Bereich“, erklärt Zeitz das Vorgehen rund um die Vermarktung der Band. Viele kleinteilige Elemente, „die zusammen ein großes Bild ergeben und den Erfolg garantieren“.
Ein Konzert soll so etwas sein wie ein 90-minütiger Urlaub, und der soll schon dann anfangen, wenn man das Ticket kauft. Wer ein Ticket verliert, kann auf der Seite der Band in den WhatsApp-Chat gehen. „Da regeln wir das schon“, sagt Basti Zeitz.
Ein Gefühl wie Vino bianco
Ein anderes Pixel dieses Bildes ist der Newsletter, der nicht jede Woche auf Teufel komm raus versendet wird, sondern nur dann, wenn die Band auch was zu erzählen hat. „Die Band ist immer für dich da, wenn du das willst“ – und wenn man will, weiß man dann eben, was bei der Band gerade los ist, weiß, welche Shows anstehen, weiß, dass die Band gerade wieder dabei ist, neue Songs zu schreiben. Und wer immer noch nicht genug vom Italoschlager bekommen kann, für den gibt es dann noch die Abbrunzatissima-Playlist auf Spotify, natürlich von den Abbrunzati Boys kuratiert. „Und da kriegt man dann eben zwischen all den anderen Liedern ab und zu eines von Roy und den Abbrunzati Boys“, sagt Basti Zeitz.
Man könnte also sagen, das Ganze soll sich so anfühlen, als würde man sich mit der Band auf ein Glas Wein hinsetzen – oder zehn. Du und ich und Vino bianco eben. Aber es geht auch dabei um mehr. Wer ein Genre neu besetzt, muss eben auch selbst für die Rechtfertigung sorgen, dass man relevant ist.
Also ein Phänomen, das vorübergeht? „Ist die Sehnsucht nach Italien ein Phänomen, das jemals vorübergeht?“, fragt Basti Zeitz. Im Gegenteil, Italien ist immer da. Seit den 50er-Jahren, seit die Deutschen wieder ein bisschen Geld in der Tasche haben, fahren sie mit ihren Käfern über die Alpenpässe an die Adria. Italien ist Sehnsucht, Italien ist Sommer, Italien ist frei, Freiheit und Meer. Der Gardasee, die Brennerautobahn, Neapel.
„Carbonara, e una Coca-Cola“
Man muss diese Namen eigentlich nur lesen, und schon geht bei jeder und jedem Deutschen ein Film im Kopf an, der von der Romantik einer Reise handelt. Wahrscheinlich geht das so, seit Goethe auf den Stiefel gereist ist. Und jetzt eben auch Roy Bianco und die Abbrunzati Boys, die „Carbonara, e una Coca-Cola“ institutionalisiert haben. Damit rücken sie nicht nur das Land wieder weiter nach Norden, sie haben damit auch den Schlager einer Zielgruppe wieder erschlossen, die Tonträger von Helene Fischer wahrscheinlich mit der Kneifzange nicht angefasst hätte.
Der Münchner oder Berliner Hipster hingegen kopiert nun gleich ganz die Outfits der Gruppe, wenn er zum Konzert kommt, oder trägt Fußballschals von SSC Napoli. „Keine Band schafft es so gut, das Lebensgefühl des Italoschlagers mit der Authentizität und Selbstverständlichkeit einer Indie-Band in Einklang zu bringen – ihre Positionierung am Markt ist dadurch einzigartig“ – so wird Leonard Prasuhn vom Label Electrola in „The Gap“ zitiert. „Hinter der Band steckt eine hochprofessionelle Mannschaft, die es versteht, ihre Fans extrem eng an sich zu binden, und über Mund-zu-Mund-Propaganda Skaleneffekte erzielt“, sagt er der „Musikwoche“. Italien also und Können machen die Jungs groß.
Glück der Tüchtigen
So groß, dass man sagen muss, dass da jedenfalls etwas in Bewegung gekommen ist rund um die Band. Zeitz will deshalb auch gar nicht von einem Momentum sprechen, das die Band gerade antreibt. Italien und das Bild, das wir alle von dem Land haben, trägt. Und bietet die Möglichkeit, etwas zu schaffen, was vielen Musiker*innen heute oft nicht mehr gelingt: langfristigen Erfolg aufzubauen und nicht zu schnell wieder wie eine Sternschnuppe zu verbrennen. Zeitz spricht in dem Zusammenhang von einer Start-up-Denke.
„Wir sind mit einem neuen Produkt auf den Markt, von dem wir völlig überzeugt waren, aber für das es erst mal kein Bedürfnis gab“, sagt er. Natürlich helfe da dann auch das Glück der Tüchtigen. Und was, wenn das Bedürfnis einmal geweckt ist? Ist es dann nicht auch wahrscheinlich, dass man langfristig daran anknüpfen kann? Fürs Erste ist es jedenfalls zu erwarten, dass Roy seine Fans weiter mit einer großen, einladenden Geste von den Bühnen dieses Landes aus begrüßen und dabei von Bella Napoli singen wird.