Sie weiß, dass sich Marken nur aus der Vergangenheit bilden. Und mit der Vergangenheit hat sie sich scheinbar in kurzer Zeit sehr intensiv beschäftigt. In Rüsselsheim sieht man sich als „nahbar, aufregend und deutsch“. Man muss nicht lange nachdenken, bis einem Opel Modelle und Geschichten einfallen, die perfekt zu diesen Werten passen. Hinter den bisherigen Aktivitäten des Opel-Marketings scheint also mehr zu stecken als pures Haschen nach Aufmerksamkeit.
Von der Imagekampagne zum Selbstverständnis
Tina Müller ist Marketingprofi genug um abzuschätzen, welche Wirkung diese Kampagne haben kann. Das Ziel ist klar, das Image von Opel soll verbessert werden. Und Müller ist sicher auch klar, dass das diese Kampagne alleine nicht schaffen kann. Was sie vor allem braucht, ist Rückhalt und strategisches Handeln in einem vom operativen Wahnsinn getriebenen Konzern.
Denn es ist ja nicht so, dass man sich bei Opel noch nie Gedanken um das Image der Marke gemacht hätte. Seit 1990 hat Opel fünf neue Claims lanciert. Das kleine Wörtchen Claim haben übrigens nicht findige amerikanische Werber erfunden. Es stammt aus der Zeit der Goldgräber. Die haben damit den Teil um sich herum bezeichnet, in dem nur sie graben durften. Bei Opel waren die vielen Claims aber nicht Ausdruck dessen, wofür die Marke stehen soll, und wo kein anderer graben darf, sondern es waren lediglich mehr oder minder werbewirksame Sprüche.
Umparken durch Change Management
Vielleicht schafft es eine Marketing-Powerfrau an der Spitze einer Ingenieursgetriebenen Organisation nun, Opel endlich dazu zu bringen, sich selbst zu finden. Die führenden deutschen Automobilmarken BMW, Audi und Mercedes haben es vorgemacht. Dort ist der Claim Ausdruck dessen, wofür diese Marken stehen. Freude am Fahren ist die Maxime des täglichen Handelns aller Mitarbeiter. Das zu erreichen, ist eine Management-Disziplin, die bisher bei Opel nicht vorhanden war. Umparken im Kopf fängt also zuerst in der Unternehmensspitze an. Zuvorderst bei GM. Vielleicht erkennt GM die Notwendigkeit, dass sich Opel endlich selbst finden muss. Und man nicht nach einem halben Jahr Management und strategische Ausrichtung über den Haufen wirft.
Denn Marken achten nicht auf kurzfristige Notwendigkeiten quartalsgetriebener Konzernlenker. Die Entwicklungszeit von Marken ist oft weitaus länger als die Vertragslaufzeit der verantwortlichen Manager. Es ist Tina Müller zu wünschen, dass sie mit den richtigen „Musketieren“ an der Seite den Umparkprozess im Kopf der Mitarbeiter und dann im Kopf der Kunden hinbekommt und die Wertschätzung erhält, die Opel schon seit Jahren verdient hätte.
Über den Autor: Jürgen Gietl ist Managing Partner von Brand Trust mit langjähriger Erfahrung im operativen und strategischen Management von Marken. Seine Sachkenntnis nutzen namhafte mittelständische Unternehmen und globale Konzerne. Gietl ist ein gefragter Dozent auf zahlreichen Kongressen und an Hochschulen.