„Prime Day 2022 was the Biggest Prime Day Event Ever“, meldet Amazon nach seinem zweitägigen Rabattmarathon am 12. und 13. Juli. In 48 Stunden bestellten die Prime-Mitglieder sage und schreibe 300 Millionen Produkte, das waren gut 50 Millionen mehr als im Vorjahr. (Für E-Commerce-Freaks: Die beste Bestellzeit war am Dienstag zwischen 9 und 10 Uhr.) Statista schätzt den Gesamtumsatz des Prime Day 2022 auf rund zwölf Milliarden US-Dollar. „… more shopping means more savings“, frohlockt Amazon. Prime-Mitglieder hätten dank der Preisnachlässe über 1,7 Milliarden US-Dollar gespart.
Selbst, wenn man mit Nachhaltigkeit nix am Hut hat, müsste einem diese Argumentation arg schief erscheinen, denn es spart nun einmal, wer nicht kauft. Und es spart schon gar nicht, wer mehr kauft als er braucht. Sei es drum: Der Prime Day zeigt einmal mehr, welch riesiger Marketinghebel der Preis ist – und dass schlechte Welt- und Wirtschaftsnachrichten, sich trübende Konsumlaune und Klimasorgen offenbar schnell vergessen sind, wenn ein Schnäppchen lockt. Das muss man nicht sympathisch finden, aber es ist ja, wie es ist.
Mit Ultra Fast Fashion zum Weltkonzern
Gleiches gilt für Shein. Man reibt sich die Augen angesichts des enormen Erfolgs des chinesischen Konzerns. Sie kennen Shein nicht? Da sind sie nicht allein! „Der Spiegel“ übertitelte seine lesenswerten Recherche über den Ultra Fast Fashion-Konzern aus China: „Der erfolgreichste Modekonzern der Welt und kein Erwachsener kennt ihn“. Shein ist hochgradig datengetrieben, setzt massiv auf Influencer Marketing und Social Media-Werbung und verdient sein Geld vor allem mit Teenies. Laut „Spiegel“ war Shein im Jahr 2020 die am häufigsten erwähnte Marke auf TikTok. Die Firma, die kaum jemand kennt, ist mittlerweile mehr wert als Zara und H&M zusammen, heißt es. Genaues weiß man nicht, denn das Unternehmen hält sich mit Informationen bedeckt.
Auch bei diesem Geschäftsmodell schlägt bei der Kundschaft ganz offensichtlich Gier Hirn. Das Unternehmen produziert extrem billig in China und vertreibt seine Produkte in über 200 Länder. Die Website bietet bis zu 1.000 neue Produkte täglich. Die Nachhaltigkeitsplattform utopia.de bezeichnet Ultra Fast Fashion in einem – vernichtenden – Artikel über Shein als „dunkelste Seite der Modewelt“.
Erstaunliche Geisteshaltung, fataler Vertrauensverlust
Shein fällt wegen maximal dreister Produktpiraterie und miserabler Qualität auf. Weil dem Unternehmen zunehmend seine mangelnde Nachhaltigkeit auf die Füße fällt, betreibt es Greenwashing, dass sich die Balken biegen. Und die Zielgruppe? Die hat laut „Spiegel“ „keine Lust auf Shaming“. Das Magazin zitiert eine Influencerin mit der Bemerkung, dass der individuelle Konsum nichts daran ändere, dass in der Modeindustrie so viel schiefläuft. „Statt Käuferinnen und Käufer müsse man die Konzerne zur Rechenschaft ziehen, müsse politisch gesteuert werden.“ Das ist eine erstaunliche Geisteshaltung für eine Generation, die individualistischer ist als jede vor ihr. Sie zeugt aber auch von einem fatalen Vertrauensverlust in Marken.
Zu schlecht fürs Recycling
Laut Greenpeace wurden im Jahr 2020 weltweit rund 200 Milliarden Kleidungsstücke produziert – das sind doppelt so viele wie 2014. Rund 40 Milliarden wurden gar nicht erst verkauft. Bleiben also noch schlappe 160 Milliarden Klamotten. Und die erwartet zum Teil ein trauriges Dasein: Eine Greenpeace-Umfrage unter Kund*innen in Deutschland ergab im Jahr 2015, dass ein Fünftel der Kleidung hierzulande nie getragen wird.
Und selbst die Entsorgung ist mittlerweile ein Problem: Weil billige Wegwerfkleidung zum Großteil aus synthetischen Fasern besteht, lässt sie sich nicht recyceln. Mancherorts, meldet die „tagesschau“, werden schon Altkleider-Container abgebaut, weil man mit dem minderwertigen Zeug einfach nichts anfangen kann. Da fällt einem doch nur noch das Mantra der wunderbaren Modeschöpferin Vivienne Westwood ein, das da lautet: „Kauft weniger! Wählt sorgfältiger aus!“
Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick!