Der MSC steht für „nachhaltige und handwerkliche Fischerei“ und gilt als das größte Öko-Siegel für Wildfisch weltweit. Gegründet wurde es 1997 vom WWF und der Lebensmittelindustrie. Mittlerweile tragen zwölf Prozent der weltweiten Fischproduktionen das Siegel. Doch wie glaubwürdig ist das Siegel wirklich? Um das zu beantworten, macht sich der ARD-Reporter Huismann auf nach Mexiko, Spanien, die Malediven und Kongresse der Fischindustrie, trifft Insider und deckt skandalöse Missstände auf – von denen scheinbar niemand etwas wissen will. So deckt Huismann auf, dass eine mexikanischen Thunfisch-Fischerei Ringwadennetze als Fangmethode einsetzt und auf diese Weise tausende Delfine tötet. Diese Fangmethode ist in den USA und Europa verboten. In Mexiko nicht. Der MSC lizenziere die mexikanischen Betriebe, die diese Fangmethode einsetzen, laut Huismann trotzdem. Denn die Industrie behauptet, sie lasse die Delfine wieder frei. Doch Huismann findet Gegenteiliges heraus: Es würden weiterhin tausende Delfine sterben.
Grundschleppnetze zerstören den Meeresboden
Neben dem Töten von Delfinen benutzen viele der mit MSC-Siegel lizenzierten Fischereien laut Huismann außerdem die umstrittenen Grundschleppnetze, die über den Meeresboden schleifen und verheerende Folgen für die Lebewesen am Meeresboden haben – eine Schlammwüste entsteht, Jungfische haben keine Chance. Und das, obwohl der MSC als Standard verlangt, dass der Fang die Fischbestände nicht gefährden darf.
MSC-Träger unzufrieden mit Vergabe
Mohamed Shanee möchte, dass die Verbraucher über die Augenwischerei aufgeklärt werden (Screenshot: Ard.de)
Natürlich gibt es auch Fischereiproduktionen, die die Standards ehrlich und konsequent einhalten. So wie Mohamed Shanee, Fischereiminister der Malediven. Er verfügt über das MSC-Siegel, zeigt sich in der Reportage aber unzufrieden: „Wir haben Streit mit dem MSC. Wenn unsere Angelfischerei, die sauber und grün ist (…), das Siegel bekommt, genauso wie Fischereien, die Schleppnetze einsetzen oder Ringwadennetze, die die Jungtiere mitfangen, oder Fischreien, die Delfine zur Jagd benutzen, dann sollte der Verbraucher das wissen und sich überlegen, wie ökologisch das Siegel wirklich ist.“
„Sie sind gekapert worden“
Daniel Pauly ist Mitgründer des MSC und bitter enttäuscht über die lasche Lizenzierung (Screenshot: Ard.de)
Sogar der einstige Mitgründer des MSC, Dr. Daniel Pauly, zieht eine traurige Bilanz: „Der MSC sollte die Interesse von zwei Gruppen vertreten: Industrie und Naturschutz. Deshalb wurde er gegründet. Aber er tut das nicht. Er ist von der Industrie gekapert worden. Das hat keiner vorausgesehen. Doch nur so kann man das Verhalten der MSC-Leute erklären. Sonst müsste man sagen, sie sind dumm oder böse. Ich glaube, das sind sie nicht. Sie sind gekapert worden.“
MSC-Geschäftsführer Howes weist Vorwürfe zurück
MSC-Chef Rupert Howes bleibt seinem Siegel treu, auf Kritik geht er kaum ein (Screenshot: Ard.de)
Trotz all dieser Missstände, mit denen Huismann den MSC-Geschäftsführer Rupert Howes konfrontiert, bleibt Howes von seinen Standards überzeugt. Sein Ziel ist, dass jedes dritte Fischprodukt das MSC-Logo trägt. Für jedes Siegel erhält der MSC eine Lizenzgebühr, das macht 17 Millionen Euro im Jahr. Dafür wirbt er auch in Brüssel. Howes verkauft MSC als unabhängig und gemeinnützig, dabei dominieren, wie Huismann herausfindet, im Aufsichtsgremium Vertreter der Fisch- und Lebensmittelindustrie.
MSC veröffentlicht Stellungnahme
Dennoch, der MSC bleibt von seinen Standards überzeugt und reagierte bereits mit einer offiziellen Stellungnahme auf die ARD-Reportage. In dieser zeigt sich der MSC „enttäuscht darüber, dass Rolle, Aufgabe und Programm des MSC in weiten Teilen falsch dargestellt wurden.“ Grundlegend sei festzustellen, dass sich zentrale Anschuldigungen des Films auf Fischereien beziehen, die nicht MSC-zertifiziert sind oder waren. Unter anderem seien „die Filmaufnahmen der mexikanischen Thunfisch-Fischerei, die aus den 80er Jahren stammen, nicht mehr repräsentativ für diese Fischerei. Sie hat ihre Delfinsterblichkeit auf dem langen Weg zur MSC-Zertifizierung um mehr als 99 Prozent gesenkt.“ Außerdem entwickele der MSC seine Zertifizierungskriterien regelmäßig „Dabei wird die Messlatte immer höher – sie wurde noch nie gesenkt, um Fischereien ‚anzulocken‘.“ Überdies arbeite der MSC „mit Industrie, Einzelhandel, Wissenschaft, Politik und Umweltorganisationen gleichermaßen zusammen. Keine Seite hat den MSC ‘gekapert‘.“
„Das Siegel nimmt durch eine solche Reportage sicherlich Schaden”
Ganz gleich, ob Huismann oder der MSC recht haben – oder beide Seiten in Teilen – stellt sich die Frage: Wie sehr schadet eine solche Reportage dem Image des MSC? „Der MSC ist eines der mit Abstand bekanntesten Siegel am Lebensmittelmarkt und eine Beschädigung dieses Siegels birgt die Gefahr, auch andere Siegel zu beschädigen – eben da der Konsument eine ähnliche Systematik der Täuschung auch bei anderen Siegeln vermuten könnte. Das Siegel nimmt durch eine solche Reportage sicherlich Schaden, jedoch fehlt für den Konsumenten schlichtweg eine Alternative. Wer nicht auf den Fischkonsum verzichten möchte – was bei einigen Arten sehr angebracht wäre – wird sich vermutlich weiterhin daran orientieren (müssen)“, sagt Professor Christoph Schank, der an der Universität Vechta auf Unternehmensethik spezialisiert ist.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Auch Dr. Annabel Oelmann, Vorständin der Verbraucherzentrale Bremen, bleibt gegenüber dem MSC skeptisch und sieht die Reportage als Motivation für eine kritischeren Blick seitens der Verbraucher: „41 Prozent der Deutschen trauen dem MSC Siegel. Reportagen wie die von Herrn Huismann, sollten die Verbraucher motivieren, Siegel zu hinterfragen und auch auf die Schattenseiten der einzelnen Siegel zu achten.“ Zudem rät sie dem MSC, sich aufgrund solcher Reportagen selbst zu hinterfragen und eventuell die „neutralen Beobachter“ besser zu überprüfen, die dafür zuständig sind, unabhängige Berichte über die Situation während des Fischfanges zu verfassen. „Durch den Bericht scheint es so, dass der MSC mehr an der finanziellen Seite interessiert ist als an dem Wohl der Tiere und der Umwelt. Für die Verbraucher würden wir uns eine staatliche Überwachung auf EU-Ebene und ein Siegel, das sich an den Bio-Standards orientiert, wünschen“, erklärt Oelmann.
MSC blendet Tierwohl oder Soziales aus
Zudem verweist die Verbraucherschützerin auf die neuste Ausgabe „test“ von Stiftung Warentest vom April 2018, in der das MSC-Siegel noch einmal kritisch hinterfragt wird. Kurzes Fazit: Es ist gut, dass es Siegel gibt. Doch sie könnten weitaus mehr leisten. „MSC achtet dabei fast ausschließlich auf den Schutz von Fischbeständen und Meereslebensräumen. Aspekte wie Tierwohl oder Soziales bleiben weitgehend außen vor. Die Anforderungen schließen die Gefahr einer zeitweiligen Überfischung nicht aus. Dennoch empfiehlt Stiftung Warentest das MSC-Siegel“, so Oelmann. Auch aus der Sicht von Greenpeace gibt es derzeit kein Gütesiegel, dem man uneingeschränkt trauen könnte, obwohl es immer mehr zertifizierte Fischprodukte gibt. Dennoch sind Gütesiegel aus der Sicht Oelmanns wichtige Hilfestellungen für Kunden, wenn sie vor der Fischtheke stehen und die Qual der Wahl haben. „Verbraucher sollten sich die jeweiligen Kriterien ansehen und dann entscheiden, welche für sie selbst besonders wichtig sind.“
Schank ist überzeugt: Hersteller kennen die Schwächen des MSC
Bei so viel Kritik fragt sich: Warum lassen sich nun Händler und Hersteller auf die Verwendung des MSC-Siegels ein? Hinterfragen sie die Standards nicht? „Das MSC-Siegel ist ungemein populär, genießt Bekanntheit und Vertrauen. Viele Hersteller und Händler sehen darin die Möglichkeit, ihr tatsächliches Engagement zu belegen oder aber nicht vorhandenes Engagement vorzutäuschen (Greenwashing). Das Siegel wird allein deshalb verwendet, weil ein Teil der Konsumenten darauf tatsächlich achtet und davon die Kaufentscheidung abhängig macht“, so Schank. Er ist sogar davon überzeugt, dass den Herstellern wie Iglo, Costa und Dr. Oetker die fast schon inhärenten Schwächen des MSC-Siegels durchaus bekannt seien. Zumal offenkundig sei, dass sich einige Populationen in einem kritischen Zustand befinden und auf den Konsum komplett verzichtet werden sollte. „Die Standards werden durchaus hinterfragt und mir sind von den Herstellern auch kritische Rückfragen bekannt, insbesondere was die Schärfe von Kontrollen und die leichtfertige Verleihung des Siegels angeht. Es wird auch durchaus versucht, auf den MSC einzuwirken. Dieser hat inzwischen aber auch eine Größe erreicht, bei der eine gewisse Trägheit spürbar ist.
Machtstrukturen analog zum FSC als Lösung
In meinen Augen wäre ein substantieller Schritt, sich stärker am FSC zu orientieren“, rät Schank. Hier existiert ein Kammersystem, das den Vertretern der Wirtschaft gleichberechtigte Partner aus der Ökologie und dem sozialen Bereich zur Seite stellt wie NGOs oder Betroffenengruppe. „Entscheidungen sind dadurch weitaus reflektierter und bilden pluralistischer verschiedene Anliegen ab. Der MSC in seiner jetzigen Form marginalisiert alle anderen als die kommerziellen Interessen, auch wenn gewisse Strukturen eine starke Position von etwa Umweltschützern oder Wissenschaftlern vermitteln sollen. Dass der Austritt aus dem Siegel ein konsequenter oder gar ethisch gebotener Schritt ist, liegt keinesfalls auf der Hand. Eine deutliche Weiterentwicklung oder Revolution des Siegels, etwa durch paritätische Machtstrukturen analog zum FSC, wäre in meinen Augen sinnvoll“, zieht Schank sein Fazit.
Iglo und Dr. Oetker bleiben dem MSC treu
Und die Händler selbst? Wie reagieren Sie auf die schweren Vorwürfe, die Huismann dem MSC in seiner Reportage macht? Schließlich haben hierzulande Einzelhändler wie Edeka und Lidl ihr Sortiment komplett auf MSC umgestellt. Wir haben Rewe, Lidl, Edeka, Costa, Iglo und Dr. Oetker gefragt, doch nur drei von ihnen bezogen Stellung. Am kürzesten hielt es Edeka. Der Lebensmittelhändler antwortet lediglich, dass er „die Hinweise ernst“ nehme und diesen nachgehen werde. Zudem bat Edeka um Verständnis, „dass wir uns aus Wettbewerbsgründen hier nicht weiter äußern möchten …“.
Ganz anders und sehr viel ausführlicher reagierte Iglo, dessen Leiter der Unternehmens- und Nachhaltigkeitskommunikation Alfred Jansen schreibt:
„Mit seinem 20 Jahre andauernden Engagement zur weltweiten Verbesserung des nachhaltigen Fischfangs, hat der MSC sich zurecht eine hohe Glaubwürdigkeit erarbeitet. So ist – auch laut Meinung der Kritiker – ein einzigartiges Nachhaltigkeitssiegel entstanden, dem die Verbraucher vertrauen. Momentan sind nur zwölf Prozent der weltweiten Fischereigebiete zertifiziert, so dass weltweit noch viel Luft nach oben besteht. Um die Reportage fair zu beurteilen, empfehlen wir, sich die sachlichen Entgegnungen des MSC anzusehen. Aus Sicht von Iglo erwarten wir natürlich dort, wo Verbesserungspotenziale identifiziert werden, dass der MSC das Vertrauen in die Seriosität der Prüfprozesse sicherstellt und Missbräuche bereits im System vermieden werden.
Im Einklang mit der permanenten Weiterentwicklung der MSC-Zertifizierung wird Iglo den MSC und dem eingebundenen, internationalen Expertennetzwerk bei der Überprüfung der bestehenden Audit-Prozesse konstruktiv unterstützen. Iglo nimmt im Rahmen des eigenen Nachhaltigkeitsengagements die Verantwortung an, um eine ständigen Verbesserung des Siegels voranzutreiben. Die gegenwärtige Situation gibt keine Veranlassung, das Siegel grundsätzlich infrage zu stellen oder sogar darauf zu verzichten.“
Auch Dr. Oetker-Pressesprecher Matthias Hanigk hält am Siegel fest und verweist auf die Stellungnahme des MSC:
„Wir verstehen und teilen die Sorge um die Überfischung der Meere. Aus diesem Grund haben wir in den vergangenen Jahren bereits eine Vielzahl an Maßnahmen umgesetzt, um die auf unseren Pizzen verwendeten Zutaten Thunfisch, Lachs und Garnelen verantwortungsvoll einzukaufen. Eine Maßnahme stellt dabei die Zusammenarbeit mit dem Marine Stewardship Council (MSC) dar. Folglich haben auch wir die Reportage mit großem Interesse verfolgt und nehmen die am MSC-Siegel geäußerte Kritik sehr ernst. Gleichwohl sind wir uns sicher, dass es sich hierbei nach wie vor um die derzeit bestmögliche Alternative auf dem Markt der nachhaltigen Fischerei handelt.
2016 wurde der MSC von der Global Sustainable Seafood Initiative (GSSI) geprüft, einer Organisation, die sich aus NGOs, Regierungen, unabhängigen Experten und Mitgliedern aus Handel und Industrie zusammensetzt und durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gefördert wurde. Der MSC ist als Zertifizierungsprogramm für nachhaltige Fischerei von der GSSI anerkannt und hat in der Bewertung die bei weitem höchste Punktzahl aller Zertifizierungsprogramme erzielt.
Wir stehen im konstruktiven Austausch mit dem MSC, der sich stets gesprächsbereit zeigt und seine Standards kontinuierlich überprüft. Umso bedauerlicher ist eine etwas zu einseitige Darstellung, die sich lediglich auf einzelne Negativbeispiele beruft, nicht aber aufzeigt, welche Verbesserungen der MSC seit seiner Gründung vor gut 20 Jahren in der Fischerei bewirkt hat. Die Stellungnahmen des MSC zu den in der Reportage geäußerten Kritikpunkten können Sie hier einsehen.
In Bezug auf unsere Dr. Oetker Pizzen mit Thunfisch können wir Ihnen mitteilen, dass dieser überwiegend aus dem West-Pazifik (Fanggebiet FAO 71) sowie Lachs und Garnelen aus Aquakulturen stammen. Aus dem im Bericht aufgeführten Fanggebiet im mexikanischen Nordostpazifik beziehen wir hingegen keinen Thunfisch.“