Über den Tellerrand hinausschauen

„Wenn der Kunde nur wüsste, was er will!“, „Ständig bringt der Kunde unsere Planungen durcheinander“, „Der Einfluss des Kunden auf unsere Angebotsgestaltung setzt uns erheblich unter Druck“, - Äußerungen wie diese legen die Vermutung nahe, dass der Einfluss des Kunden auf den Leistungserstellungsprozess vielen Anbietern scheinbar ein Dorn im Auge ist.

Entsprechend dürfte auch die Erkenntnis, dass sogar Abnehmer nachfolgender Marktstufen teilweise erheblichen Einfluss auf die Prozesse eines Anbieters ausüben (können), in der Praxis nicht gerade Freudensprünge auslösen. Dass jedoch auch der stufenübergreifende Kundenkontakt nicht nur ein notwendiges Übel sein muss, sondern sogar von Vorteil sein kann, macht Alexander Trommen in seiner kürzlich erschienen Dissertationsschrift deutlich.

„Um Dinge anders zu tun können, muss man sie als erstes anders betrachten“, mit diesem Zitat bringt Alexander Trommen es in seiner Arbeit auf den Punkt: Um sich vom Wettbewerb abzuheben und am Markt erfolgreich zu sein, darf der Marktblick eines Anbieters individueller Leistungen nicht bei den direkten Zulieferern und Abnehmern enden. Erforderlich ist vielmehr die Weitsicht über direkt vor- und nachgelagerte Marktstufen hinaus auf marktstufenübergreifende Zusammenhänge.

So bietet der direkte Kontakt zu Endkunden beispielsweise die Chance, aus der Anonymität der Lieferanten auszubrechen und für die eigenen Teilleistungen Marktgeltung aufzubauen. Gelingt dies, so können Wettbewerbsvorteile erzielt und die Abhängigkeit vom direkten Abnehmer (zum Beispiel vom OEM) reduziert werden. Ebenso ermöglicht der direkte Zugang zu Informationen über die Letztverwender der angebotenen Leistung einen Wissenszuwachs, der den Informationsvorsprung zwischengelagerter Abnehmer abschwächt und zur Reduktion von Entwicklungskosten und -zeiten führen kann.

In der Praxis bereits verbreitet – aber nicht immer bewusst

Die Einbindung der Kunden des Kunden in die eigenen Prozesse kann also für einen Lieferanten auch zu einer Verbesserung seiner Machtposition gegenüber direkt nachgelagerten Nachfragern beitragen und ist somit durchaus mit positiven Effekten verbunden.

Trommen spricht in diesem Zusammenhang von „mehrstufiger Kundenintegration“. Im Gegensatz zur einstufigen Kundenintegration beeinflusst dabei der Nachfrager nicht nur die Wertschöpfung eines Anbieters der direkt vorgelagerten Marktstufe, sondern auch die Dispositionen der Anbieter bzw. Zulieferer noch weiter vorgelagerter Stufen. Dieses Phänomen ist in der Praxis gar nicht selten (auch wenn es den Beteiligten nicht immer bewusst ist) und daher von hoher Relevanz.

Beispiel Bahnindustrie

Sowohl im Konsumgüterbereich als auch im Business-to-Business-Bereich lässt sich feststellen, dass mehrstufige Integrativität immer dann auftritt, wenn zu Beginn einer Transaktion, die mehrere Beteiligte auf unterschiedlichen Stufen betrifft, noch nicht alle zur Leistungserstellung notwendigen nachfragerseitigen Faktoren (z.B. Informationen des Kunden) vorliegen bzw. die Leistung nur unter Beteiligung des Kunden erbracht werden kann. Zu denken ist beispielsweise an eine Reise, die von einem Nachfrager zwar im Reisebüro gebucht werden kann, die eigentliche Realisierung des Leistungsergebnisses (der Flug, ein Hotelaufenthalt oder ähnliches) jedoch in Interaktion mit dem Reiseveranstalter unter Mitwirkung des Kunden erfolgt.

Auch im Business-to-Business-Bereich wird die Bedeutung einer stufenübergreifenden Zusammenarbeit der Beteiligten bei näherer Betrachtung deutlich, wobei sich hier die Zusammenhänge oftmals weitaus komplexer darstellen. Bei der Beschaffung innovativer Fahrzeuge in der Bahnindustrie beispielsweise beeinflusst der Betreiber als Endkunde mit seinen Spezifikationen oder Freigabeanforderungen etc. nicht nur die Leistungsfindung des OEM, sondern auch die des vorgelagerten Systemlieferanten. Eine Abstimmung zwischen dem Betreiber, dem OEM und dem Systemlieferanten ist dabei unumgänglich, wobei der Lieferant durch gezielte Aktivitäten zu einer reibungslosen Zusammenarbeit beitragen und auch darauf hinwirken kann, überhaupt erst einmal als „preferred supplier“ in das Geschäft eingebunden zu werden. Der bewussten Einflussnahme auf den indirekten Abnehmer kann dabei eine entscheidende Bedeutung zukommen.

Fazit

Die Arbeit von Trommen gibt einen Einblick in die in der wissenschaftlichen Literatur bislang eher vernachlässigte Thematik der mehrstufigen Kundenintegration. Im Fokus stehen dabei die leistungstheoretische Analyse marktstufenübergreifender Transaktionen und vor allem die Frage, ob und wie Anbieter und/oder Nachfrager individueller Leistungen Vorteile aus entsprechenden Transaktionsdesigns vor- oder nachgelagerter Transaktionen ziehen können.


Autor: Beate Dahlke (Weiterbildendes Studium Technischer Vertrieb)
Literaturangabe:
Trommen, Alexander: Mehrstufige Kundenintegration in Wertschöpfungssystemen – Analyse der Beteiligung direkter und indirekter Kunden am Leistungsprozess und Ableitung einer Marketingstrategie für Lieferanten.
ISBN 3-8244-7688-6