Das Marketing steht vor einem Rätsel. Mit welchen Medien und welchem Kommunikations-Mix lässt sich die Zielgruppe noch effektiv erreichen? Wenn TV zwar quantitativ keine Zuschauer verliert, aber offenbar an Hinwendung, bei wem genau verliert es an Wirkung?
Warum guckt fast niemand auf Kabel1 „24“, die spektakulärste TV-Serie der Welt? Weil es die Fans schon längst aus dem Internet kennen? Warum verbannt das ZDF „Mad Men“, die preisgekrönteste Serie der USA auf ZDFneo, wo sie dazu verdammt ist, nicht gesehen zu werden? Weil die Peers die Staffel drei längst kennen? Sind das alles nur stupide Fehler der Programmverantwortlichen?
Warum „trashen“ uns die Sender nicht mehr nur nachmittags, sondern inzwischen auch während der Prime Time mit TV-Müll wie „Frauentausch“ und „Tatort Internet“ zu? Die Antwort ist simpel: Weil sie nur so ihre Quoten halten können. Nun will ich die ewige Debatte um das Unterschichten-Fernsehen nicht strapazieren. Tatsache ist aber, dass die TV-Sender mit ihrer Programmqualität bewusst auf Quote in bestimmten Teilen der Bevölkerung verzichten. Um Quote zu machen beim größeren Teil der Bevölkerung, der sich genüsslich an Bildern aus „Messi“-Haushalten und herzzerreißenden scripted-reality-Stories von einsamen, liebestollen Bauern ergötzt.
Es ist ein schleichender Prozess. Die Bildungs-Elite hat nie viel ferngesehen. Künftig wird aber auch immer mehr Mittelschicht abwandern und sich anderen Medien zuwenden. Was dann an treuen TV-Addicts bleibt, kann man getrost mit „Masse“ umschreiben.
Print und TV driften dabei diametral auseinander. Print kostet Geld und wird in Zukunft noch deutlich teurer. Print wird daher, stärker als bisher, von einkommensstärkeren Schichten konsumiert werden. TV wird kaufkräftige Mittelschichtler verlieren und damit seine Stärke in den bildungs- und einkommensfernen Schichten ausbauen.
Ein Horrorszenario fürs Fernsehen? Keinesfalls. Denn es wird seinen zweiten Rang in der Liste der umsatzstärksten Werbeträger dadurch auch nach dem Jahr 2012 noch eine ganze Weile behalten.
Werbung für Bier und Vodka? Genau richtig für die TV-Gemeinde. Werbung für das Urlaubsportal und die 199-Euro-Pauschalreise? Genau richtig. Für den Kleinwagen unter 9 000 Euro? Für anonyme Dating-Sites? Genau richtig. Für die Apotheken-Umschau, Burger-Bräter, Discounter, Joghurt, Suppen und Shampoo? Alles richtig. Womit die wesentlichen Einnahmequellen der heutigen TV-Sender aufgeführt wären.
Abwandern werden Marken, die längst auf Internet-Brautschau sind und die auf die attraktiven Leser von Print nicht verzichten können. Hochpreisige Marken und Personenkraftwagen-Hersteller, Banken und Finanzdienstleister, die auf die TV-(Massen-) Reichweite künftig verzichten. Sie werden nicht komplett aus TV abwandern. Sie werden eine neue, geeignete Rolle für TV innerhalb ihres Media-Mix finden. Wie es Adidas bereits für 2011 umsetzt. Dann können sich die Biere, Joghurts, Suppen und Shampoos um die Werbeblöcke schlagen.
Marken, die auf eine aktive Auseinandersetzung mit ihrer Botschaft setzen, werden TV in Teilen infrage stellen. Marken, die relevante Botschaften besitzen und den Dialog mit ihrer Zielgruppe suchen. Wir werden in nicht ferner Zukunft unterscheiden: Zwischen „aktiven“ und nur „passiven“ Medien. Dann folgt auf die Revolution der Mediennutzung auch die längst fällige Revolution der Kommunikationsplanung.
Folge 1: TV: Vom Leit- zum Begleit-Medium?
Über den Autor: Thomas Koch ist Inhaber der Agentur „Warum Wippt der Fuß?“ und ist mit seiner Beratungsfirma „tk-one“ als freier Media- und Medien-Berater, strategischer Consultant und Gutachter tätig. Zudem ist er Herausgeber des Branchenmagazins „Clap“.