Lonely Planet hat seine Trendziele für das Jahr 2020 veröffentlicht. Bhutan ist das Top-Länderziel. Neben dem Himalaya-Staat stehen England, Nordmazedonien, Aruba und Swasiland auf der Länderliste des „Best in Travel 2020“-Buches. Als Top-Städte führt die Verlagsjury Salzburg, Washington DC, Kairo und sogar Bonn (Platz fünf) auf. Die Erfahrung zeigt, dass nun die Buchungen für diese Destinationen deutlich an Fahrt aufnehmen. Was der Reiseliteraturanbieter für trendy hält, wird auch trendy. So mancher Reisegeheimtipp wurde durch die Australier beinahe zur Massendestination.
Die Reiseführer von Lonely Planet sind unbestritten die Nummer 1 bei Millennials. Kaum eine Marke hat in der Reisebranche eine derartige Strahlkraft wie Lonely Planet. Dies ist beachtlich, da Reiseliteraturanbieter generell durch Bewertungsportale aus dem Internet erheblich an Relevanz und damit an Umsatz verloren haben. Gerade die deutschen Anbieter haben zu kämpfen. Bei der Frankfurter Buchmesse wurde ihnen ein äußerst schlechtes Zeugnis ausgestellt. Ihnen fehle oft der Zeitgeist. Was können hiesige Anbieter also von der Marketingstrategie der Australier lernen?
Fast ein halbes Jahrhundert Markentradition
Seit 46 Jahren existiert die Marke Lonely Planet. Damals hat sie die Branche revolutioniert, indem sie nicht nur klassische Sehenswürdigkeiten beschrieben, sondern in Routen, Touren und Erlebnissen gedacht hat. Heute, nach mehr als 100 Millionen verkauften Büchern und der Präsenz auf sämtlichen digitalen Kanälen, entwickelt sich die Marke stetig weiter. Ein Kernpunkt der Strategie von Lonely Planet: Zielgruppe werden anhand ihres Reisebedarfs und nicht anhand spezifischer demografischer Daten betrachtet. Der Ansatz hilft, Probleme im Voraus zu lösen und das Reiseerlebnis der Menschen zu jedem Zeitpunkt der Reise zu bereichern. Angebot und Produkte werden so an die Absichten der Kunden angepasst. So erreicht die Marke neben der breiten Masse auch Nischenurlauber.
Luis Cabrera, seit Beginn diesen Jahres CEO des Unternehmens, sieht Wachstumschancen für die Bereiche Abenteuersuche, Essen, Wellness, nachhaltiges Reisen und Familien. Diese bezeichnet er als Trends für die Masse. Ebenso will er Nischeninteressen wie beispielsweise Astrotourismus und Freiwilligentourismus befriedigen, um Kunden wirklich auf allen Ebenen und ein Leben lang zu erreichen. Schlüssel ist die Nähe zum Verbraucher, so Cabrera. Eine Abteilung ist ausschließlich damit beschäftigt, Feedback von Verbrauchern – sowohl für Druckprodukte als auch für das digitale Geschäft – zu sammeln und für das Produktteam aufzuarbeiten. Zudem befragt das Marketingteam regelmäßig Reisende auf der ganzen Welt, um sicherzustellen, dass die Produkte relevant bleiben und hohes Ansehen genießen. Lonely Planet führt auch ethnographische Studien durch, um Ärgernisse oder unerfüllte Bedürfnisse von Reisenden zu verstehen.
All dies führt zur strategischen Ausrichtung. Cabrera setzt auf eine Kombination aus hochqualifizierten Mitarbeitern, die sich ständig weiterentwickeln, und Expertenagenturen, um sicherzustellen, dass das Unternehmen nicht in seiner Komfortzone verbleibt. Entscheidend dabei sei auch der Blick auf andere Branchen. Investitionen in Social Media wurden dieses Jahr verdoppelt. Reisen und soziale Medien seien eng miteinander verbunden, so Cabrera. Dort müssen seine Mitarbeiter ständig mitlesen und Gespräche mit den Kunden führen. Entscheidend sind dabei auch die eigenen Lonely-Planet-Foren. Diese besuchen jeden Monat Millionen von Besuchern, diskutieren tiefgehend und erklären explizit ihre Interessen und Wünsche. Durch Mitarbeiter auf der ganzen Welt kann das Unternehmen rund um die Uhr Informationen und Aktualisierungen zu allen Orten abrufen, an denen Reisende unterwegs sind.
Kürzlich hat Cabrera zudem in eine neue Personalisierungstechnologien investiert, um Kunden nicht nur in ihrer Gesamtheit, sondern auch als Individuum zu begreifen. Die wichtigste Erkenntnis und damit der Garant für zukünftigen Erfolg sei: Keine zwei Reisenden sind gleich. Es ist daher wichtig, dass Erkenntnisse über Markttrends mit detaillierteren Verbraucherdaten kombiniert werden. Nicht alles muss Inhouse passieren.
Klimadebatte belastet die Branche
Dennoch steht auch Lonely Planet laut Eigenausssage derzeit vor der größten Herausforderung: der Klimadebatte. Zwar steht kaum ein anderer Reiseanbieter so glaubwürdig für Nachhaltigkeit, dennoch war Fliegen immer essentieller Teil der Lonely-Planet-Reisen. Gerade weil die Marke für exotischere Reiseziele steht. Auch hier setzt der Verlag erst einmal auf Diskussion und gibt in seinem „Best in Travel 2020“-Buch Ratschläge zu „Emissionsarm unterwegs“, „Going local“ oder „Von indigenen Kulturen lernen“. Er stellt aber auch die Frage: „Sollten wir alle weniger fliegen?“ Wer aufs Fliegen verzichte, dem eröffneten sich neue Horizonte, schreiben die Autoren. Zugreisen, Windjammertörns, Radtouren und Elektrofahrzeuge etwa seien CO2-sparende Alternativen. Per Bahn durch die Rocky Mountains in Kanada oder mit dem E-Mobil entlang der südafrikanischen Garden Route, im Bus auf der Great Ocean Road in Australien, sind nur einige von vielen Vorschlägen.
Ganz so einfach ist es mit dem umweltfreundlichen Reisen dann aber nicht. Der Weg eines Europäers zum kanadischen Zug ist ohne Flugzeug in einem klassischen Urlaub beinahe unmöglich. Daher will Lonely Planet eher zum Nachdenken über das eigene Reiseverhalten anregen. Sicherlich ist es dabei kein Zufall, dass die Trendliste für 2020 für alle Kunden weltweit Destinationen enthält, die sie theoretisch auch ohne Flugreise erreichen können. Dazu müssen sich Deutschlands Backpacker, die hierzulande immer noch die größte Zielgruppe von Lonely Planet sind, nur noch für Mozartfestspiele in Salzburg und Beethoven in Bonn begeistern lassen.