Mehr als drei Millionen iPads gingen bereits über den Ladentisch, und schon kündigt Apple-Chef Steve Jobs noch für dieses Jahr weitere sensationelle Produkte an, die das Leben der „Digital Natives“ bereichern sollen. Erfreulich für die digitale Wirtschaft ist die wachsende Zahl der Internetnutzer in Deutschland, die im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr um 2,9 Prozentpunkte auf 72 Prozent der Bevölkerung anstieg, dokumentiert die Studie (N)Onliner Atlas 2010 von TNS Emnid/TNS Infratest und Initiative D21, für die rund 30 000 Personen ab 14 Jahren befragt wurden.
Konsequent rückt das Web bei den Unternehmen ins Zentrum ihrer Marketingaktivitäten. Das Budget für Online-Werbung wächst, im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 28 Prozent auf 998 Millionen Euro brutto, ermittelte der Werbemarktforscher Nielsen. Netto fällt das Wachstum geringer aus. Dennoch erwartet der Online-Vermarkterkreis (OVK) im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) für 2010 immerhin ein Nettowachstum von acht bis neun Prozent. Marktforscher Gartner prognostiziert, dass 90 Prozent der Werbekampagnen der 1 000 weltweit wichtigsten Unternehmen Ende 2011 mindestens ein Online-Element enthalten. Die Forscher sprechen von einer eindeutigen Verschiebung der Spendings ins digitale Marketing. Wie in allen Märkten bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis. Die Preise in Nicht-Premium-Umfeldern rutschten in diesem Jahr zwischen 25 und 30 Prozent unter das Niveau von 2009. Der Bewegtbildwerbung attestieren Branchenkenner die größten Preissprünge.
Auch die Professionalisierung in der Online-Werbung schreitet voran. Allerdings zeigt sich überall der Trend zu immer niedrigeren Click-through-Raten. 84 Prozent aller Internet-User „klicken“ überhaupt keine Werbung an, lediglich acht Prozent der weltweiten Internetgemeinde generieren 85 Prozent aller Klicks auf Werbung. Doch diese Entwicklung sollte nicht als Indiz dafür genommen werden, dass Online-Werbekampagnen nicht wirken. Die Untersuchung „Whither the Click Europe“ von Comscore belegt: Gerade in europäischen Ländern wirken sich Online-Werbekampagnen trotz geringer Klickraten (Click-through-Raten) sehr positiv auf das Verhalten der Konsumenten aus. Der Kontakt mit Online-Display-Werbung erhöhte die Besuche auf der Webseite des werbenden Unternehmens stärker, als die meist geringe Klickrate vermuten lassen würde. Darüber hinaus werden in der Online-Werbung angepriesene Marken und Produkte öfter in Suchmaschinen eingegeben werden. Die Suchanfrage nach Markennamen sei zudem ein signifikanter Indikator für die Kaufabsicht, heißt es in einer Studie vom Vermarkternetzwerk Specific Media.
Einen Schub erhofft sich die Branche durch die Änderungen bei der Online-Forschung, die mehr Transparenz und Planungssicherheit bieten soll. „Je schneller der Nachweis von Mehrwert und die Schaffung übergeordneter Währungen gelingen, desto schneller entwickelt sich das digitale Marketing. Andernfalls verliert man den Kunden im wahrsten Sinne des Wortes aus den Augen“, meint Manfred Kluge, CEO der Agenturgruppe Omnicom Media Group Germany.
Erste Fortschritte verzeichnet die Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF), die ihre Reichweitenstudie Internet Facts reformiert hat. So wurde das Multi-Client-Modell neu definiert, was erheblichen Einf luss auf die Nettoreichweiten der Werbeträger in der jüngsten Ausweisung Internet Facts 2010-I zur Folge hat. Während die Forscher bei einem Multi-Client-User bisher maximal nur zwei Rechner erfasst haben, werden in Zukunft bis zu vier Rechner beziehungsweise Browser berücksichtigt. Der Grund ist, dass die User mehr Rechner nutzen. Auch wurden EU-Ausländer und deutschsprachige Ausländer ab 14 Jahren erfasst. Damit erhöhte sich die Grundgesamtheit durch einen leichten Anstieg der Internetnutzer. Dazu kommt ein saisonaler Effekt. Der weiteste Nutzerkreis (WNK) der letzten drei Monate umfasst nun fast 50 Millionen Menschen. Bei den Internet Facts 2009-IV waren es erst rund 43 Millionen. Doch damit ist es längst noch nicht getan.
Die Arbeitskreise erproben eine Beschleunigung des Veröffentlichungsrhythmus, statt vierteljährlich monatlich. Die Reichweite von mobilen Angeboten soll ebenfalls durch eine eigene Studie, die „Mobile Facts“, transparent werden. Aktuell werden nach Angaben der AGOF die Daten erhoben, die erstmals auf der Internetmesse Dmexco in Köln (15.09. bis 16.09.2010) präsentiert werden. Eine weitere Baustelle ist die passende Methodik zur Erhebung von zeitbezogenen Leistungswerten, die insbesondere die Vermarktung von Video- und Audioinhalten vorantreiben sollen. Eile ist geboten beim Thema Social Media für die Planung von Display-Werbung. Die AGOF hat ein weiteres Modell zu den bekannten Leistungsparametern (Unique User) entwickelt, das die Aktivität der Nutzer berücksichtigt. Künftig sollen vier Aktivitäten gemessen werden: die Vernetzung der Nutzer untereinander, die aktive Produktion von Inhalten, die Verbreitung von Inhalten via Weiterleiten, Verlinken, Weiterempfehlung und die direkte Kommunikation über E-Mail oder Instant-Messenger.
Zu den wichtigsten Trends im Online-Geschäft gehört das mobile Marketing. Jeder fünfte deutsche Internetnutzer surft heute bereits mit seinem Mobiltelefon im Web, belegt die Studie „Mobile Web Watch“ von Accenture. Und für den, der einmal damit angefangen hat, wird das mobile Surfen schnell zum Alltag. So gehen 43 Prozent der Nutzer heute bereits täglich ins mobile Internet – 2009 waren es noch 33 Prozent. Die Gründe für diese Entwicklung liegen in den besseren Geräten, Daten-Flatrates und schnelleren Mobilfunknetzen. Hochwertiges vermarktbares Inventar ist noch begrenzt. Maximal rund 50 mobile Sites verzeichnen zweistellige Zugriffszahlen im Millionenbereich. Allein das Flaggschiff Bild Mobil verzeichnet laut Axel Springer Media Impact 96 Millionen Pageimpressions im Monat.
Interessant für Marken, die lokale Werbung platzieren wollen, sind Locationbased-Services, mit denen Smartphone-Besitzer ihren Freunden im Netz mitteilen, an welchem Ort sie sich gerade befinden, die mit Details zum Ort, Angeboten und Freizeittipps verknüpft werden können. Zu den bekanntesten Anbietern gehört Foursquare aus den USA. Mithilfe des GPS-Empfängers im Handy ermittelt der Service den aktuellen Aufenthaltsort und listet sämtliche Bars, Restaurants, Geschäfte und Büros in der Nähe auf. Sobald der Smartphone-Nutzer das Geschäft oder Lokal betritt, hat er die Möglichkeit, den Standort seinen Freunden über die Funktion „Check-in“ mitzuteilen. Das Konto kann der Nutzer mit seinen Accounts bei Facebook und Twitter verbinden. Stammgäste, die sich an einem Ort, etwa in einer Bar, öfters „einchecken“, erhalten Gratisleistungen und Vergünstigungen. Es ist vor allem die Fashion-, Club- und Restaurantszene, die von der Verknüpfung der On- und Offline-Welt profitieren will. In Deutschland bietet das Café St. Oberholz in Berlin seinen treuesten Kunden mit den meisten „Check-ins“, die als „Mayor“ einzustufen sind, eine Kaffee-Flatrate an. Foursquare hat mittlerweile knapp zwei Millionen Nutzer. In Deutschland ist der Boom noch nicht ganz angekommen. Doch Oliver Hermes, Mitinhaber der Agentur Berger Baader Hermes in München, bekräftigt: „Sobald erste Unternehmen, wie bereits in den USA, über Foursquare aktiv ortsbezogene Angebote platzieren, wird Geolocation Marketing an Bedeutung gewinnen.“
Branchenberichten zufolge plant Facebook, einen ähnlichen Dienst zu integrieren. Auch Google bietet mit Latitude solch einen Service an, indem der Mobilfunk-User auf der virtuellen Karte „Google Maps“ für seine Freunde sichtbar wird. Für das Online-Branding können Unternehmen solche Dienste nutzen, sollten die Erwartungen an die Reichweite aber nicht zu hoch schrauben. Vielmehr gilt es, die Nutzer als Multiplikatoren zu gewinnen und vor allem zu halten, um Reichweite aufzubauen.
„Niemand weiß, wie sich Social Media nach dem Abflauen der ersten Begeisterung entwickeln wird.“
Herr Ehrlich, wie ist Ihr Unternehmen durch die Krise gekommen?
MATTHIAS EHRLICH: Natürlich haben auch wir die Verunsicherung und Zurückhaltung der werbetreibenden Industrie im vergangenen Jahr zu spüren bekommen. Alles in allem aber und im Vergleich zu vielen anderen sind wir recht gut durch die schwierige Zeit gekommen. Und 2010 profitieren wir jetzt von unserer in den vergangenen 18 Monaten verstärkten Basisarbeit in Sachen Online-Werbung: Die Krise hat uns noch einmal Beine gemacht.
Wie läuft es in diesem Jahr?
EHRLICH: Wir sind mit der derzeitigen Entwicklung sehr zufrieden. Alle Zeichen stehen auf Wachstum und auf Wachstumsraten, wie wir sie vor der Krise gekannt haben. Insbesondere die vermehrten deutlichen Signale für strukturelle Änderungen in den Mediabudgets zugunsten Online stimmen mich sehr zuversichtlich. Allerdings belässt im Moment die wirtschaftliche Gesamtsituation eine gewisse Unsicherheit im Markt.
Hat sich das Geschäft mit Display-Werbung erholt? Ist der Preisverfall beendet?
EHRLICH: Das Geschäft hat sich in erstaunlich hohem Maß erholt. Zum einen investieren inzwischen deutlich mehr Werbungtreibende in klassische Online-Werbung, auch bislang eher traditionell klassisch werbende Segmente wie die FMCG-Branche. Zum anderen hat sich die Preisentwicklung in den vergangenen Monaten weiter ausdifferenziert und gleichzeitig in relevanten Bereichen stabilisiert: Während klassische Display-Werbung insbesondere im Bereich der (UAP-)Standardformate aufgrund des anhaltenden Angebotsüberhangs weiter unter hohem Preisdruck steht, haben sich die Preise für großflächige Premiumformate mit hohem Werbe-Impact durch Mediaaussteuerung und für den Bewegtbildbereich mit Videostreams und In-Page-Videowerbung stabilisiert – hier ist die Nachfrage nach qualifizierter Reichweite aktuell höher als das Angebot. Beide Entwicklungen tragen dazu bei, dass wir jetzt zur Jahresmitte von einem deutlich höheren Wachstum der Online-Display-Werbung im Bereich von knapp 25 Prozent ausgehen.
Die Konkurrenz wird immer größer. Google dringt in den Display-Markt vor. Treibt Ihnen diese Entwicklung Sorgenfalten auf die Stirn?
EHRLICH: Um weiter wachsen zu können, muss Google in den Display-Markt einsteigen – das Inventar im Keyword-Advertising-Geschäft ist endlich. Was mich dabei beschäftigt, ist der Umstand, dass Google mit seinem vollautomatisierten Mediasystem einen für den gesamten Markt verheerenden Preisdruck von unten erzeugt. Online-Media wird hier zur undifferenzierten, rein handelsgetriebenen Massenumschlagware – eine Entwicklung, die Online vor allem in der Wahrnehmung und Akzeptanz als hochwertiges Brandingmedium nur schaden kann.
Wie beurteilen Sie die Rolle von Facebook im Werbemarkt? Wandern die Etats von Google jetzt zu Facebook?
EHRLICH: Nein, nicht signifikant. Es ist kein Geheimnis, dass ich – wie die meisten Experten der etablierten Online-Welt – die Bedeutung von Social Networks für klassische (Online-)Werbung, die nach geplanten und zuverlässigen Mustern Millionen von Konsumenten erreichen und aktivieren muss, um Produkte in der Masse abzuverkaufen, deutlich skeptischer sehe als viele Social-Media-„Addicted“. Niemand weiß, wie sich Social Media, auch und gerade in ihrer Bedeutung und Rolle für die Marketing- und Werbewelt, nach dem Abflauen der ersten Begeisterung entwickeln wird. Die neuen Mediamöglichkeiten sind Experimentierfeld. Wie in anderen Bereichen des Online-Universums werden wir auch hier lernen müssen, was funktioniert und was nicht – und ob zum Beispiel jeder „Follower“ tatsächlich etwas wert ist und, wenn ja, was. Möglicherweise erweisen sich Social Networks als viel relevanterer Kanal für andere Kommunikationsdisziplinen wie PR oder Relationship Management. Wenn wir hier belastbare und nachhaltige Wirkungsmuster erkennen können, werden wir auch wissen, wofür Social Media eine sinnvolle Ergänzung sein kann. Ich glaube aber nicht daran, dass Social Media etablierte und in der Masse erfolgreiche Marketinginstrumente ersetzen kann und wird.
Wie läuft das Geschäft mit mobiler Werbung?
EHRLICH: Der Markt für mobile Display-Werbung wird innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre sicher an Bedeutung gewinnen. Gemessen an der Größe des Marktes verläuft das Mobile-Advertising-Geschäft für uns sehr zufriedenstellend – meine Umsatzplanung baue ich aber noch nicht darauf auf.
Das Gespräch führte Sandra Fösken.
Matthias Ehrlich ist als Vorstand der United Internet Media AG, einem Unternehmen der United Internet Gruppe, für die Mediavermarktung der konzerneigenen Portale wie Web.de, Gmx, 1&1 und das Werbenetzwerk AD Europe verantwortlich
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„Geolocation Marketing wird an Bedeutung gewinnen.“
In den USA ist Facebook Marktführer. In Deutschland sind es die VZ-Netzwerke mit 17 Millionen Mitgliedern. Warum spricht jeder über Facebook, aber nicht über die VZ-Netzwerke?
OLIVER HERMES: Facebook bietet durch die Möglichkeit, eigene Seiten und Applikationen kostenfrei zu integrieren, viele Freiräume für Kommunikation und Commerce. Dadurch kann jedes Unternehmen frei experimentieren und lernen. Facebook ist aufgrund der weltweiten Marktführerschaft inzwischen das Synonym für Social Networks. VZ ist immer einen oder zwei Schritte hinterher und bietet die Integration von Kampagnen und Applikationen nur gegen hohe fünfstellige Investments an. Es ist eine Frage der Zeit, bis VZ die Strategie ändert oder vom Markt verschwindet.
Was muss sich beim Datenschutz noch ändern, damit mehr Internetnutzer in Social Networks aktiv sind?
HERMES: Noch mehr? Die Digital Natives sind zu fast 100 Prozent in Social Networks. Datenschutz ist für die Masse kein relevantes Thema.
Was empfehlen Sie?
HERMES: Der verantwortungsvolle Umgang innerhalb Social Media sollte besser schnell Bestandteil von Lehrplänen werden als dauernd Diskussionen zu führen.
Das Gespräch führte Sandra Fösken.
Oliver Hermes ist Mitinhaber der Agentur Berger Baader Hermes in München.