Traut Euch! Mit Agilität zu mehr Kundenorientierung

Diejenigen, die schnell auf Veränderungen reagiert haben, waren schon vor Corona und erst recht mit und nach Corona die Gewinner. Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und Geschwindigkeit sind ihre Erfolgstreiber. „Nein, etwas Entscheidendes fehlt“, schreibt DMV-Geschäftsführer Florian Möckel in seiner aktuellen Kolumne: „Kundenorientierung!“
Florian Möckel
DMV-Geschäftsführer Möckel: "Wir müssen über den Tellerrand schauen und die Rucksäcke der alten Denkmuster ablegen." (© privat)

Von DMV-Geschäftsführer Florian Möckel

Das gute alte Buzzword „Kundenorientierung“ erlebt gerade in Corona-Zeiten eine Renaissance. Viele Unternehmen haben mit kreativen Ideen genau sie bewiesen und ihr Geschäft gemacht, während andere auf Corona-Hilfen warteten.

Es geht doch darum, den echten und wahren Kundenbedarf zu ermitteln, zu ergründen und nicht den offensichtlichen, den jeder sofort erkennt und meint, damit die Kundenorientierung schon erreicht zu haben. Das ist die Kunst und der Schlüssel zum Erfolg. Dafür müssen wir jedoch wieder lernen, genau hinzuschauen, zu beobachten und Gespräche zu führen.

Listen louder and watch deeper!

Nur wer genau weiß, wie seine Produkte von den Kunden verwendet werden und den Leistungserstellungsprozess der Kunden exakt kennt, der kann innovative Produkte und Dienstleistungen mit echten Kunden-Mehrwerten erzeugen und sich so vom Wettbewerb differenzieren.

Schnell, flexibel und kreativ bleiben oder endlich werden

Kundenbedürfnisse sind keine Konstanten, sondern unterliegen ständigen Veränderungen. Daher ist es umso wichtiger, permanent auf der Hut zu sein und Anpassungen oder Neuentwicklungen vorzunehmen. Innovationen generell und besonders die Entwicklung innovativer Produkte und Dienstleistungen erfordern daher ein Umdenken der traditionellen Strukturen und insbesondere des Projektmanagements. Wir müssen über den Tellerrand schauen, querdenken und vor allem die „Rucksäcke der alten Denkmuster“ ablegen. Es ist wichtig, die Ideen und Erfahrungen der Mitarbeitenden aus allen Bereichen des Unternehmens zu nutzen. Wir müssen den Rucksack neu packen, damit wir schnell, flexibel und kreativ bleiben oder endlich werden.

Genau hier schlägt die Stunde agiler Prozesse wie zum Beispiel Scrum oder Design Thinking. Durch diverse, heterogene Entwicklungsteams kommen die Vielfalt in Unternehmen und unterschiedliche Erfahrungen und Kompetenzen der Mitarbeitenden zum Tragen. Man muss sich trauen, die traditionelle Zusammensetzung von vermeintlich bewährten Expertenteams aufzulösen und neue Teams mit anderen Zusammensetzungen zu etablieren. Damit werden neue Schwerpunkte, Sichtweisen und Impulse gesetzt sowie andere Ideen entwickelt. Neben der Diversität der Teams ist deren Selbststeuerung und Eigenverantwortung für die Ergebnisse entscheidend. Auch hier gilt: Traut Euch und habt Vertrauen! So entfalten sich die Potenziale der Teammitglieder – was auch zu einer höheren Zufriedenheit führt.

Das Ganze ist aber nur in einem richtigen Umfeld mit den richtigen Rahmen und Instrumenten erfolgreich. Was ist damit gemeint? Die Einführung agiler Strukturen muss gut begleitet werden, da es eine andere Philosophie erfordert, ein Change ist. Es ist wie bei einer neuen Software: Die kann noch so gut sein – wenn ihre Einführung nicht richtig begleitet wird, dauert es lange, bis sie die erhoffte Wirkung entfaltet.

Servant Leader sind gefragt

Bei der Einführung agiler Prozesse ist der Gedanke und das Prinzip des Servant Leader – der dienenden Führungskraft – essenziell. Also weg von Anweisungen hin zur Unterstützung, zur Anleitung, zum Freiraum und Vertrauen. Jeder Mensch strebt danach, immer besser zu werden, sich selber zu verwirklichen. Nur in einem Umfeld mit Freiraum und Eigenverantwortung – natürlich mit entsprechenden Leitplanken – können sich Menschen entwickeln. Viele vermeintliche Mauerblümchen entwickeln sich zu Orchideen, entfalten ihr Potenzial.

Wichtig ist es, Anforderungen zu formulieren und nicht Lösungen vorzugeben. Sonst wird die Entwicklung guter Gedanken und Ideen verhindert, da sich alle im eingeschränkten Lösungsraum befinden und nur an das denken, was bereits bekannt ist. Traut Euch und dient! Gebt Freiheit zur Entfaltung! Anstelle des ewigen „Das und dieses ist falsch und muss sofort so und so geändert werden“ hin zu „Mir sind folgende Symptome und Probleme aufgefallen, seht ihr das auch so? Was meint ihr dazu? Wie könnten wir diese lösen?“

Eigenverantwortung ist kein Selbstzweck und soll auch nicht zu black boxes in einem Projekt, einer Entwicklung führen. Regelmäßige Treffen mit klaren Fragestellungen sind der Schlüssel für den Erfolg. Knapp und klar, kein ewiges Palaver nach dem Motto „Alles gesagt, aber noch nicht von jedem“. Daily oder weekly Treffen, 15 bis 30 Minuten, mit den Fragen: Was haben wir erreicht? Was wollen wir als nächstes tun? Was hindert uns daran? Auch das regelmäßige Abgleichen von Zeit- und Kostenbudgets gehört natürlich dazu. Keine Esoterik, kein „wir haben uns alle lieb“, sondern professionelles Arbeiten.

Keine starren To-Do-Listen

Agile Strukturen schaffen Flexibilität und Freiraum, um auf Veränderungen während des Projektes einzugehen und die Potenziale der Mitarbeitenden zu nutzen. Es gibt für jede Entwicklung/Teilprojekt im Team erarbeitete und klar formulierte Anforderungen auf der Grundlage echter und wahrer Kundenbedürfnisse und entsprechende Abnahmekriterien, um zu prüfen, ob das Ergebnis den Erwartungen und Bedürfnissen der Zielgruppe entspricht. Also keine im Vorfeld vom Projektmanager detailliert ausgearbeiteten und über viele Monate reichenden starren Projekt- und To-Do-Listen, die Anpassungen während der Entwicklung behindern.

Nach dem Abschluss ist eine Retrospektive erforderlich und sinnvoll; offen, selbstkritisch und wertschätzend untereinander. Alle Beteiligten müssen reflektieren: Was war gut? Wo können wir besser werden? Was hat unseren Erfolg beeinflusst? Warum haben wir unsere Ziele nicht erreicht? Haben wir als Team gut interagiert und kommuniziert?

Eine gut vorbereitete und durchgeführte Retrospektive hilft enorm, die nächsten Aufgaben noch erfolgreicher zu bewältigen. Lernen aus Erfolgen und vor allem aus Misserfolgen führt zu kontinuierlichen Verbesserungen. Auch ist es wichtig, Fehler zuzulassen und zu begehen, um daraus neue Erkenntnisse zu gewinnen. Keiner kann in die Zukunft schauen und weiß alles im Vorhinein. Nichts machen aus Angst, etwas falsch zu machen, ist in den sich schnell ändernden Umfeldbedingungen keine erfolgversprechende Option.

Jede Organisation ist individuell

Es gibt nicht den idealtypischen Prozess bei der Umsetzung beziehungsweise Einführung agiler Methoden. Es kommt auf die Unternehmens- und Führungsphilosophie, die Organisationsstruktur, die Art des Geschäftsmodells an. Jede Organisation ist individuell. Es gibt nicht richtig oder falsch, sondern nur erfolgreich oder nicht erfolgreich!

Traut Euch, agil zu werden. Dazu gehören der Fokus auf Kundenorientierung mit Ergründen des wahren Kundenbedarfs (listen louder and watch deeper), heterogene und diverse Teams mit Selbststeuerung und Eigenverantwortung, das Etablieren von Servant Leadership, die Definition der Anforderungen und Abnahmekriterien, regelmäßige agile Treffen, eine Retrospektive und das Vertrauen in die Teammitglieder. That’s it and go!


Florian Möckel lehrt Agilität an der IUE Hochschule in Basel, ist Präsident des Marketing Clubs Augsburg und Geschäftsführer des Deutschen Marketing Verbands (DMV).