Es gibt Markennamen, bei denen schlägt einem die Tradition geradezu entgegen. Viele von ihnen sind heute vom Markt verschwunden. Die „Hannoverische Maschinenbau-Actien-Gesellschaft vormals Georg Egestorff“ zum Beispiel, kurz Hanomag. Oder ITT Schaub-Lorenz, einst eine bekannte Radiomarke.
Konsequente Transformation
Auch die Lebensversicherung von 1871 a.G. München, kurz LV 1871, hat einen altmodischen Namen. Seit drei Jahren zeigt die Marke aber, wie durch konsequente Transformation der Sprung ins digitale Zeitalter gelingen kann. Der Spezialversicherer hat dafür einen interessanten Weg gewählt: Statt, wie viele andere, auf Online-Direktvertrieb zu setzen, schult er unabhängige Versicherungsmakler darin, in den digitalen Dialog mit den Endkunden einzusteigen. Ein echter Enabling-Ansatz also. „Unser Ziel ist es, in unserem Marktsegment bevorzugter digitaler B-to-B-Partner zu werden“, sagt Marketingleiter Thomas Heindl.
Der 44-Jährige war im März 2018 von der Fondsgesellschaft DJE Kapital zur LV 1871 gekommen, mit dem klaren Ziel, die Traditionsmarke zu modernisieren. Die Überschrift seiner ersten Kampagne lautete: „Wirkt angestaubt, wird aber Ihr Leben rocken.“ Sie zeigte einen hüftenschwingenden Senior im pinkfarbenen Siebzigerjahre-Anzug, Hawaiihemd und Goldkettchen inklusive. Als Versicherer mit fast 150 Jahren Erfahrung wirke man „vielleicht etwas uncool“, biete aber „sehr moderne Vorsorgelösungen“, hieß es im Text. Die Ansprache dürfte im eigenen Haus durchaus für Überraschung gesorgt haben. Doch das war erst der Auftakt.
Webdays und White-Label-Inhalte für Social Media
Heindl beließ es nicht bei einem neuen Corporate Design und frechen Kampagnen, sondern legte für die rund 8000 Vertriebspartner der Firma ein digitales Fitmacherprogramm auf.
- Die Versicherungsmakler wurden zum Beispiel zu „Webdays“ eingeladen, bei denen sie lernen konnten, wie Suchmaschinenoptimierung funktioniert und was ein Profil bei Google My Business bringt.
- Vertieft werden konnten die Kenntnisse im Online-Marketing während so genannter Summer beziehungsweise Winter Schools, an denen bis zu 2000 Vermittler teilnahmen.
- Darüber hinaus stellt die LV 1871 ihren B-to-B-Partnern per Webshop digitales Informationsmaterial zur Verfügung, das sich personalisieren lässt. Auch White-Label-Inhalte für Social Media sind abrufbar oder Vorlagen für Kunden-Emails.
Die Bilanz: rund 3800 angemeldete Nutzer und mehr als 100.000 Downloads. „Wissen weitergeben, Touchpoints und die Marke neu gestalten – das hat die Aktion glaubwürdig und erfolgreich gemacht“, sagt Marketingleiter Heindl.
B-to-B-Partner müssen digital fit sein
Hinter der Zielgruppenstrategie steckt die Überlegung, dass Konsumenten bei komplizierten Produkten auch heute noch gern eine persönliche Beratung in Anspruch nehmen – nur zwei Prozent des Umsatzes mit Lebensversicherungen beruhten in Deutschland auf reinem Online-Vertrieb, sagt Heindl.
Die LV 1871 ist auf maßgeschneiderte Produkte wie Berufsunfähigkeits- und private Rentenversicherungen spezialisiert, Standardpolicen wie Kfz oder Haftpflicht sind nicht im Programm. Deshalb glauben die Münchner, dass sie für ihren Vertrieb auch in einigen Jahren noch B-to-B-Partner brauchen. Die aber müssen fit sein fürs Digitale, denn gerade jüngere Kunden erwarten Beratung und Service ganz selbstverständlich per Videokonferenz und Whats App. „Corona hat da noch einmal einen deutlichen Schub gebracht“, sagt der Marketingchef.
Film- und Tonstudios für Videos und Podcasts
Da liegt die LV 1871 mit einer weiteren Neuerung voll im Trend: Seit Oktober werden die sechs Filialdirektionen um professionelle Film- und Tonstudios ergänzt, in denen Versicherungsmakler Podcasts aufnehmen und Videos drehen können. Auch die eigenen Vertriebskollegen sollen die Fazilitäten nutzen können, um eigene Werbemittel für Geschäftspartner zu produzieren, etwa lokale Infos oder Weihnachtsgrüße. Eine solche Dezentralisierung des Marketings führt, wie Erfahrungen zeigen, durchaus mal zu Missgeschicken. Heindl ficht das nicht an: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“
Unter seiner Ägide hat die LV 1871 auch ein Corporate-Influencer-Programm aufgelegt, dessen 35 Mitglieder frei schreiben dürfen, freilich nach eingehender Schulung.
„Ganz schönes Investment„
Wie viel die Neuausrichtung der Marke kostet, sagt Heindl nicht, er spricht nur von einem „ganz schönen Investment“. Dafür wachse das Neugeschäft seit 2018 zweistellig, was zuvor nicht der Fall gewesen sei. Abgeschlossen ist die Transformation der Traditionsmarke dabei noch lange nicht: Für das Jahr 2022 strebt Heindl eine großangelegte Imagekampagne an.