Unternehmen, die mit geringer Kundenfrequenz hohe Umsätze erwirtschaften und die gleichzeitig versuchen, innovative Lösungen am Markt zu platzieren, haben es enorm schwer, über Google ihre Kunden zu finden. Wichtige Keywords weisen nur geringe Suchvolumina auf oder finden auf Google gar nicht statt. Generische SEA-Kampagnen haben enorme Streuverluste. Es bleibt häufig nur der Weg, über Umfeld-Targeting bei Business-Themen, und dieser Weg ist steinig: Die KPI-Messung ist extrem komplex und die zur Verfügung stehenden Bannerformate haben oft unterirdische Klickraten.
Eine Lösung für dieses Problem heißt Thought Leadership. Das ist die B2B-Version von Influencer-Marketing, nur mit dem Unterschied, dass die Influencer oft in den eigenen Reihen zu finden sind: Es sind die Fachexperten, die in Themenforen Beiträge leisten und Diskussionen begleiten, die zur Anlaufstelle werden, wenn ein bestimmtes Thema für ein Unternehmen relevant wird. Diesen Ansatz gibt es natürlich schon länger und in vielen Unternehmen wird er von der PR getrieben, um sich auch in Expertenkreisen einen guten Leumund zu erarbeiten.
Neu ist, dass die Datenmodelle Schritt für Schritt so gut werden, dass man auch solchen Kontakten einen Abverkaufswert zuordnen kann. Aus klassischer PR wird Performance-PR. „Der größte Fehler, den Unternehmen immer wieder machen, ist, dass sie redaktionellen Content nicht an Call-to-Action binden“, sagt Jaime Pham. Sie berät Firmen dabei, wie sie LinkedIn nicht nur für den Markenaufbau, sondern sehr konkret auch für die Leadgenerierung nutzen können. Einer aktuellen Studie zufolge ist es für 42 Prozent der Einkäufer in B2B-Unternehmen der direkte Weg zum potentiellen Lieferanten, wenn man einen Thought Leader in den sozialen Netzwerken identifiziert.
Inhalte besser instrumentalisieren
Thought Leadership ist eines der wichtigsten Buzzwords der diesjährigen Dmexco am 11. und 12. September in Köln. Es geht darum, mit gutem Content in sehr frühen Phasen der Interessensbildung, die Richtung vorzugeben. Und Pham ist nicht so egozentriert, dass das nur auf LinkedIn stattfindet: „Der zweite Fehler ist, dass guter Content nicht umfassend genutzt wird“, fährt sie fort. Derzeit konzentriert sich viel auf Video-Content, dabei ist im Business-Alltag der Text nach wie vor relevanter: „Macht bitte ein Transkript zum Video, daraus macht Ihr ein Executive Summary und koppelt Infografiken aus. Das verteilt Ihr dann so breit wie möglich“, rät die Kalifornierin.
LinkedIn kann allerdings detailliert Auskunft darüber geben, wer den Content wie genutzt hat. Thyssenkrupp Industrial Solutions hat die Plattform tief in die eigene Marketing-Kette integriert. Man identifiziert dort Trends, steuert zu den Gruppen Inhalte bei und kann anhand der LinkedIn-Statistiken sehen, welches Unternehmen oder welche Branche damit interagiert. „Daraus bilden wir dann Buyer-Personas, gleichen das mit unserem CRM ab, und gehen in die Akquise“, beschreibt Mike Kleinemaß den Prozess.
Kleinemaß verantwortet Digital Communications für die Industriesparte und wählt die Kanäle themen- und kampagnenspezifisch: „Von Google kommt viel Traffic, das bringt Sichtbarkeit und Anfragen. Auf LinkedIn generieren wir branchen- und funktionsbezogen Traffic und Leads.“
Von der Konversation zum Produkt
Eine aktuelle Kampagne von Thyssenkrupp Industrial Solutions kann illustrieren, welchen Wert das soziale Netzwerk für das Unternehmen hat. Das reicht von Awareness über Geschäftsanbahnung und das Testen von Kampagnen-Creatives bis zur Entwicklung neuer Produkte.
Ausgehend vom Megatrend „Luftverschmutzung“ suchte Kleinemaß mit seinem Team nach den Ländern, bei denen das Problem am stärksten auftritt. Neben einigen südamerikanischen Ländern war das vor allem in Indien der Fall. Und eines der gravierendsten Probleme besteht darin, dass die Bauern ihre Ernteabfälle auf den Feldern einfach verbrennen, statt sie zu entsorgen. Dadurch entsteht nicht nur Luftverschmutzung, auch die Böden werden kontaminiert, weil eingebrachte Pestizide mit verbrannt werden.
Dieses Problem gab man an die Ingenieure des Unternehmens weiter. Die machten sich auf die Suche nach einem Kessel, in dem das organische Material zu Biomasse umgewandelt werden kann und somit als Treibstoff für Bioenergieanlagen funktioniert. In Dänemark wurde man fündig. Mit einem Kooperationspartner wurde ein Kessel entwickelt, der sich in die Thyssenkrupp-Anlagen integrieren läßt.
Nun suchte man potentielle Kooperationspartner in Indien für ein Pilotprojekt. Hierzu wurde eine zielgerichtet ausgesteuerte Kampagne auf LinkedIn geschaltet: mit Erfolg. Über den Aufbau und Betrieb des Piloten wurde in Artikeln und mit Videos berichtet und nachdem das Projekt über die Bühne gegangen war, meldeten sich weitere Energieunternehmen aus Indien, aber zum Beispiel auch aus Brasilien.
Sales-Agent kennt den Bedarf frühzeitig
Für Kleinemaß war es spannend zu beobachten, dass verschiedene Branchen und Länder unterschiedlich auf die Anzeigenmotive reagierten. Das war ein wichtiges Learning auch für den klassischen Vertrieb. „In den LinkedIn-Statistiken können wir sehen, wer wie mit unseren Content-Pieces oder Werbemitteln interagiert. Inklusive Firmenname“, freut sich der Kommunikationsprofi. Diese Daten werden in der Folge mit dem CRM abgeglichen und dann geht es in die klassische Akquise – allerdings mit entscheidendem Vorsprung: Der Sales-Agent weiß vorher schon, dass ein Bedarf besteht.
Fazit: Die frühzeitige Präsenz in Foren und Gruppen auf sozialen Netzwerken, die sich mit relevanten Themen beschäftigen, wirkt wie eine externe Nabelschnur aus dem Unternehmen. Im direkten Dialog mit potentiellen Kunden erfährt man deren Nöte und Probleme und kann mitunter neue Marktsegmente für sich identifizieren. Gleichzeitig zeigt man sich als Unternehmen dialogbereit und serviceorientiert, was für viele Kunden ein entscheidendes Kaufkriterium ist.
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