Vorab: Ich habe mir wochenlang überlegt, ob ich über Jaguar schreiben soll – weil es schon fast jeder getan hat und weil es so naheliegt. Dennoch habe ich mich dafür entschieden. Und zwar deshalb, weil es zu wichtig ist, als dass ich es ignorieren könnte. Zu groß ist der Widerhall, die Entrüstung, die Internet Memes, der internationale Aufschrei. Man könnte fast meinen, die Automobil-Design- und Marketing-Bubble hätte jahrelang auf diesen Case gewartet.
Nun gut, hier ist er jetzt: Jaguar hat es gewagt, das legendäre Wappentier – den Leaper – mit all seiner PS-strotzenden Maskulinität (beinahe) in Rente zu schicken und dafür ein schickes, modernes und wokes Erscheinungsbild zu präsentieren – irgendwo zwischen Dyson, Michael Kors und einer chinesischen Chanel-Kopie, garniert mit gender-fluiden Models und ganz viel Rosa.
Erst ein Aufschrei, dann der Aha-Moment
Ich zitiere hier nur einige der weltweiten Kommentare zur Visualität des neuen Auftrittes – ein paar davon hätten auch von mir sein können. Aber wie so oft ist der erste Eindruck nur der erste Eindruck. Dahinter steht eine ganze Menge mehr. Ich sprach unlängst mit einem Bekannten, der eine hohe Position bei JLR (Jaguar Landrover) innehat – und der riet mir eins: “Before you judge, wait for the car!” Ich wartete zwei Wochen und als in Miami der Vorhang fiel, wusste ich, was er meinte.
Vom Totgesagten zum Überflieger
Wer sich mit der Marke Jaguar beschäftigt hat, weiß, dass diese in ihrer Geschichte schon mehrfach dem Untergang geweiht schien – und dann kam sie mit einem Auto heraus, was in der jeweiligen Zeit Maßstäbe setzte. So geschehen mit dem E-Type von 1961, der zur automobilen Legende wurde, oder mit der Pace-Serie ab 2016, die den Absatz der Marke innerhalb von zwei Jahren verdoppelte.
Exakt das haben sie jetzt wieder vor. Ob es gelingt, wird die Zukunft zeigen.
Zwischen Ambition und Design-Desaster
Wer sich aber das neue Showcar ansieht, merkt erstens: Hier ist eine Marke mit großen Ambitionen. Und zweitens: Ganz so schlimm ist das Branding dann eben doch nicht. Der Schriftzug: geschenkt, da gibt es schlimmere Beispiele moderner Car Rebrandings – es ist modern und unterstreicht den Anspruch, Sehnsuchtsmarke einer neuen Generation zu sein, die nicht mit “Top Gear” aufgewachsen ist. Der Leaper wandert in Gold auf die Fahrzeugseite und springt jetzt immer noch nach vorne – wenn auch nicht als Kühlerfigur. Die war seit Jahren eh nicht mehr auf der Motorhaube, sondern das Jaguar Face von 1957. Und hier kommt jetzt doch eben auch von mir eine große Kritik. Dieses unsägliche Monogramm ist kein vorwärts gewandter Ersatz, sondern bewegt sich in der Tat auf dem Niveau von “Wannabee Fashion Brands”. Die Aufgabe wäre gewesen, ein modernes Jaguar Face zu zeichnen, was einen von der Felge anfaucht. Das geht auch elektrisierend. “Copy nothing.” Der Spruch endet eben leider hier.
Ein PR-Geniestreich!
Die Frage ist nun, wäre der Hype um die Marke genauso groß gewesen, hätten sie zuerst das Auto und beiläufig das neue Logo präsentiert? Ich denke nicht. Vielmehr kann man die orchestrierte Kommunikation als absoluten Marketing-Geniestreich bezeichnen. Es gibt heute keine Auto-interessierte Person auf der ganzen Welt, die das „New Jaguar” nicht gesehen hat – dabei wurde es nur auf einer Kunstmesse, der Art Basel Miami vorgestellt.
So viel Earned Media zu bekommen, ist bemerkenswert. Da kann man auch schon mal ein paar Shitstorms in Kauf nehmen. Wie es so schön heißt: “There is no such thing as bad PR – there is just PR.”
Am Ende ist es doch verwunderlich, dass so viele Menschen sich dermaßen aufregen, als hätte man ihre absolute Lieblingsmarke der Gotteslästerung preisgegeben. Hätten dieselben Leute mehr Jaguars gekauft, wären die Verkaufszahlen in den letzten Jahren nicht auf weniger als die Hälfte eingebrochen – und dann hätte sich bestimmt auch der indische Eigentümer Tata Motors wohlüberlegt, ob er da nicht Markenkapital vernichtet.
Bollywood-Vibes und ein Blick nach Indien
So heißt es also: Neustart für die Marke. Wer weiß, vielleicht wird sie in Indien zum Statussymbol – schließlich leben dort nicht nur die meisten, sondern auch viele der reichsten Menschen der Welt. Wer genau hinguckt, der entdeckt in der neuen Kampagne auch einen Hauch Bollywood. Zufall?
Hier endet meine Betrachtung. Das britische Empire und mit ihm die westliche Welt sollten ihre Arroganz gegenüber der ehemaligen Kolonie einstellen. Es ist wie mit unserer heimischen Automobilindustrie: Times, they are a changing.