Die größte Messe für Konsumelektronik hat ihre Tore geschlossen und im Vergleich zu letztem Jahr verlief sie ernüchternd oder gar enttäuschend, zumindest wenn man das Thema Innovationen auf Produktebene direkt betrachtet. Highflyer waren erneut Firmen wie Byton, die ihr cleveres Elektroauto nun in der Nähe der Serienreife haben. Mercedes pendelte wieder mal den Strip selbstfahrend auf und ab. Diesmal mit einem Kollektivfahrzeug, das stark an Toyotas letztjährige Vorstellung der ePallete erinnert.
Das Mehrpersonen-Fahrzeug von Mercedes beflügelte die Phantasien der CES-Berichterstatter nur mäßig
Samsung und LG – die klassischen Dickschiffe in Las Vegas – schraubten Konnektivität und KI in noch mehr Alltagsgegenstände und bleiben den Beweis zum wiederholten Mal schuldig, was das dem Kunden im Alltag wirklich bringt. Die Idee, dass der Kühlschrank bestellt, was der Herd braucht, um das perfekte Gericht zu erzeugen, welches die Nährstoffe enthält die – so ermittelt die Waschmaschine – dem Träger des soeben gewaschenen T-Shirts fehlen, ist so absurd, dass man nicht Nostalgiker sein muss, um sich die fünfstellige Investition in den smarten Gerätefuhrpark sparen zu wollen.
Der Grund für die Enttäuschung mag in überzogenen Erwartungen liegen. Die sinnvollen Anwendungsbereiche für KI, IOT oder smarte Sensorik sind hinreichend ausdefiniert. Weitere, bahnbrechende Entwicklungen brauchen Zeit. Da hilft es auch nicht, wenn LG Chef I. P. Park in seiner Vorabend-Keynote selbstkritisch hinterfragt, was die letzten zwanzig Jahre an technologischem Fortschritt eigentlich für den Lebensalltag gebracht haben.
Er analysierte klar, dass Produktivitätsfortschritte wie sie vor 100 Jahren die Wasch- oder Spülmaschine sowie der Staubsauger gebracht haben, durch Smartphone, Alexa und Co. nicht zu wiederholen sind. Gleichzeitig kostet uns die Konnektivität Lebenszeit in Form der omnipräsenten Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten. Park zog aber den falschen Schluss. LGs Vision ist die oben beschriebene Vollautomatisierung. Und weil die gewonnene Freizeit durch die komplette Aufgabe der Entscheidungsfreiheit ein unangenehmes Vakuum hinterlässt, gilt es, dieses zu füllen und zwar mit Fernsehen. LG bietet nun auch ein Entertainment System für Auto an. Fürs autonom fahrende Auto versteht sich.
Vermutlich noch nie in der Geschichte der CES hat eine Keynote so wenig Applaus bekommen, wie die von Park. Die spannenden Details seiner Rede gehen unter in einem theoretischen Konnektivitätsbrei, den sich so recht keiner als künftige Lebenswirklichkeit vorstellen mag. Bezeichnend, dass DAS einzelne Produkthighlight der CES der aufrollbare Fernseher ist, den LG letztes Jahr schon präsentierte und der im Sommer in Serie gehen soll, zum erschwinglich-fünfstelligen San-Francisco-Tarif.
Was sagt es über die CES, wenn ein Fernseher zum Messe-Highlight gekrönt wird?
Hier geht es zur Fortsetzung des Artikels: „CES 2019 (Teil 2): Was lernt das Marketing aus der CES 2019? Drei große Lektionen?„
Echte Produkt-Highlights
Der Beobachter, der sich nicht von den theoretischen Visionen der Konzerne blenden ließ, fand sie dennoch, die Innovationen. Und zwar jede Menge davon. Viele Neuerungen passieren im Kleinen oder sind nur eine produkt-gewordene Veränderung des Bestehenden und somit weniger spektakulär. Aber es gibt auch die erkennbaren Trends.
1. KI wird zur Personalisierung genutzt
Vermutlich ist das der Megatrend der CES. Sensoren, Kameras und Mikrofone sammeln Daten und das Empfangsgerät passt sein Verhalten an diese Daten und damit an den Nutzer an. Offensichtlich ist das bei den Smart Home Companions, also den digitalen Knuddeltierchen, die Kinder überwachen, gefallenen Senioren Hilfe holen und Einbrecher vertreiben. Jeder einzelne Hersteller wiederholt, dass die Maschine von Tag zu Tag besser wird, wenn sie aus dem Verhalten seiner Herrchen lernt. Und dazu zählen inzwischen auch Emotionen. Fast jeder Companion hat Gefühlserkennung eingebaut und versucht, genervtes Augenrollen zu detektieren.
Die kluge Zahnbürste denkt mit: Y-Brush aus Frankreich war eines der meistvorgestellten Produkte auf der CES
2. Das Comeback der Hardware
Das Gaming-Smartphone hat an den Schultern physische Druckknöpfe. Der clevere Lenovo Wecker hat eine echten, drückbare Snooze-Taste, die man sogar im Dunkeln findet. Fast wie früher. Das Smartphone hat so verschiedene Einsatzbereiche, dass das eine Universaldisplay ausgedient hat. Man macht entweder zwei – ein kleines und ein großes – wie Samsung. Oder man macht das große Display faltbar, damit es in die Hosentasche passt.
Bei der Reduktion digitaler Komplexität spielt Spezialhardware eine große Rolle. Lenovo, Google und Kitchenaid zeigten ein dezidiertes Küchen-Tablet mit stabilem Ständer sowie schmutz- und wasserabweisend.
Und inzwischen gehört es auch in den USA zum guten Ton, das Thema Datenschutz frontal zu bearbeiten. Gleich mehrere Anbieter warben damit, dass die von der KI ausgewerteten Daten eben nicht in die Cloud verdunsten sondern lokal ausgewertet werden. Das Grusel-Attribut „creapy“ ist bei den US-Kommentatoren längst zum feststehenden Begriff geworden, wenn Technik auch nur das theoretische Potential zeigt, die Überwachung zu weit zu treiben.
Komplexe Technik in einfacher Spezialhardware, wie hier der Google-Lenovo-Wecker waren ein Trend der CES
3. Health- und Beauty-Tech
Ja, die Autoindustrie muss ihren Platz an der Spitze der Aufmerksamkeits-Hitliste räumen. Jetzt ist der Milliardenmarkt Gesundheit dran. Die smarte Toilette überwacht den Stuhlgang. Der Zuckerkranke kann den Insulinhaushalt kontrollieren, ohne sich zu stechen. Jedes zweite Wearable misst die Herzfrequenz und viele der Unternehmen, die sich mit Robotics beschäftigen setzen auf Maschinchen, die Kranken und Behinderten ihren harten Alltag erleichtern. Bemerkenswert zum Beispiel der aufrechte Rollstuhl, der einem Querschnitt-Gelähmten einen ganz anderen Zugang zur Alltagswelt geben kann.
Der aufrechte Rollstuhl von Qolo steht stellvertretend für das boomende Segment von Health-Tech auf der CES
Aus Marketingsicht stechen zwei Unternehmen heraus, denn sie kommen nicht aus der Gesundheitsbranche, sorgen dort aber für gewaltigen Wind. Entsprechend groß ist die Kommunikationsaufgabe.
Die Rede ist von L´Oreal und Procter & Gamble. L´Oreal zeigte letztes Jahr den UV-Sensor und brachte ihn nach wenigen Monaten flächendeckend unters Volk. Dieses Jahr geht es um den PH-Wert der Haut. Ein wesentlich komplexerer Ansatz, der – da es sich um persönliche Gesundheitsdaten handelt – auch den Segen der medizinischen Aufsichtsbehörden braucht.
Procter & Gamble konzentrieren sich ebenfalls auf das Thema Haut. Der Hautflecken-Reparaturstift Ote aus der Skincare-Serie ist ein kosmetisches Produkt voller Hightech. Er scant die Haut und appliziert in einem Arbeitsgang abdeckende Kosmetik, die zum Rest der Haut passt. Photoshop für die reale Welt sozusagen. Der Scan aus dem Opte-Stift lässt sich aber auch dermatologisch auswerten.
Gesichtsscanning wie hier bei SK2 macht die Beauty- und Gesundheitsbranche zum Plattformgeschäft
4. Virtual Reality setzt sich fest
Diese Erkenntnis ist nun doch eine Überraschung. Die Prognosen für VR deuten eher auf langsames Wachstum, und im Wohnzimmer wird das auch stimmen. Aber jeder zweite Stand auf der Messe zeigte seine Produkte in VR und vor allem in einem Segment zeigt die Technik auch veritablen Nutzwert – mal abgesehen vom mental bereits abgehakten Unterhaltungssegment.
Die Rede ist von Training. Und zwar Training jeder Art. Handbücher zu Produkten werden inzwischen in VR produziert. Sprachkurse und eLearning setzen immer stärker auf diese Technologie. Und dabei kommt es nicht auf den ultimativen HighEnd-Perfektionismus an. Vor allem die günstige Einsteigerbrille Oculus Go hat die Einstiegshürde drastisch gesenkt. Und wer etwas lernen will, der ist auch bereit, sich in die Funktionsweisen der Systeme einzuarbeiten.
Stellvertretend für eine ganz neue Kategorie nämlich Virtual Sports, steht der Eishockey-Simulator. Der Spieler benötigt einen mit Sensoren ausgestatten Schläger und trainiert dann Dribblings und Schlagschüsse ohne echten Puck. Genauso funktionieren Golfsimulatoren, Tennis- und Fitnesstrainer. Nintendo Wii für Erwachsene, könnte man sagen. Der Box Bot ist fürs Wohnzimmer vermutlich zu teuer, aber das Fight Studio mit 1000 Dollar liegt im erschwinglichen Bereich für echte Box-Fans.
Sense Arena aus Prag nutzt Virtual Reality zum Eishockeytraining und für die Reha verletzter Spieler