Die Reise eines Rucksacks – vom Stoff aus dem Ausland über die Schnallenproduktion bis hin zum Transport – wird sichtbar. Dank eines IT-Systems, das Andreas Schechinger einst für die interne Kosten- und Warenkontrolle entwickelt ließ, können Kund*innen nun genau nachvollziehen, wie ihr Produkt entstanden ist. Seriennummer eingeben, auf „Details“ klicken, und schon wird klar: Nachhaltigkeit heißt hier Transparenz.
„Traceability“ nennt sich die Software. Für den Chef des schwäbischen Familienunternehmens Tatonka ist sie mehr als ein Tool: Sie zeigt, wie aus einer klassischen Tugend wie Qualitätssicherung ein Wettbewerbsvorteil wird. „Alles, was wir tun, muss langfristig funktionieren“, sagt Schechinger – ein Grundsatz, der für den 56-Jährigen weit über Zahlen hinausgeht.
Langlebige Produkte: Eine Frage der Ehre
Tatonka sitzt in einem Gewerbegebiet nahe Dasing, zwischen Augsburg und München. Dort begann alles in den 1980er-Jahren: Gründer Winfried Schechinger baute auf einem Erbpachtgrundstück ein bescheidenes Unternehmen auf.
Heute erwirtschaftet Tatonka einen Umsatz von 43 Millionen Euro – deutlich weniger als Konkurrenten wie Jack Wolfskin (290 Millionen Euro) oder Vaude (133 Millionen Euro). Doch die Nische ist bewusst gewählt: Tatonka ist Spezialist für Rucksäcke und Taschen. Die Produkte gelten als durchdacht, langlebig und robust – Werte, die die Fans der Marke schätzen. „Wenn ich Chichi verkaufen würde, hätte ich ein schlechtes Gewissen“, so Schechinger.
Als einziger deutscher Outdoor-Hersteller produziert Tatonka in eigenen Fabriken in Vietnam. Das erste Werk baute Winfried Schechinger in Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon), später kam ein zweiter Standort in der Binh-Dinh-Provinz hinzu. Rund 1000 Mitarbeitende fertigen dort unter zertifizierten Sozialstandards. Einmal wöchentlich öffnen sich die Werkstore für Besuchergruppen, darunter auch prominente Gäste wie der Münchner Kardinal Reinhard Marx.
Schechingers Ziel: maximale Kontrolle und Transparenz. „Wissen, was läuft“, lautet sein Grundsatz. Dieses Prinzip zieht sich durch das gesamte Unternehmen – von der eigenen Software über die Produktion bis hin zum Kundenservice.
Händler mögen, dass Tatonka ihnen zuhört
Das Sortiment mit 600 Artikeln umfasst neben Rucksäcken und Taschen auch Kochgeschirr, Trinkflaschen und Zelte. Dem grünen Branchentrend folgt Tatonka durch Einsatz recycelten Materials oder dem „Green“-Label für besonders umweltfreundliche Produkte. Und schon seit Gründung der Firma können Kund*innen vielgereiste Rucksäcke nach Dasing schicken, um in der hauseigenen Werkstatt abgerissene Druckknöpfe oder defekte Reißverschlüsse ersetzen zu lassen.
Vertrieben wird vorwiegend über den Fachhandel, knapp ein Drittel des Verkaufs läuft übers stationäre Geschäft. Dort hat der Mittelständler einen guten Ruf: „Es gibt feste Ansprechpartner, sie hören zu und setzen Anregungen zu Produktverbesserungen tatsächlich um,“ sagt etwa Christian Brottka, Inhaber des Outdoorladens Paderborn. Zur Werbung am Point of Sale stellt Tatonka Online-Content zur Verfügung, liefert Material für die Auslage und unterstütze bei Spenden-Aktionen. Klar: Auch im Marketing läuft bei den Dasingern fast alles in Eigenregie; das Briefing von Agenturen findet Schechinger zu aufwendig.
Zweitmarke Tasmanian Tiger versorgt Polizei und Feuerwehr
Tatonka heißt übrigens „Bison“ in der Sprache der Sioux. Laut Tierpark Hagenbeck sind die Tiere trotz massiger Statur „erstaunlich schnell und von großer Ausdauer“. Was außer Brancheninsidern kaum jemand weiß: Es gibt in Dasing noch ein weiteres Tier. Seit 1996 führt der Mittelständler neben der Konsumentenmarke die B2B-Marke „Tasmanian Tigers“, die Profis wie Polizei, Feuerwehr, Bahn und Militär mit Rucksäcken versorgt.
„Viel Ausschreibungsgeschäft“, sagt Schechinger. Mit rund 21 Millionen Euro setzt der Bereich inzwischen mehr um als die B2C-Sparte. Und dann ist da noch die Produktion für andere Unternehmen, wie Notfallrucksäcke der Marke PAX, die rund vier Millionen Euro jährlich bringt. „Drei Standbeine sind stabiler als eins“, findet der Chef. Auch das eine klassische mittelständische Tugend: Risiken begrenzen und vorausschauend den Erhalt des Unternehmens sichern.
Die Zeiten werden ja nicht einfacher. Wie seine Konkurrenten hat auch Tatonka in den vergangenen Jahren von einer Sonderkonjunktur profitiert, doch jetzt seien die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen „auch in der Outdoor-Branche angekommen“, sagt Christoph Lamsfuß, Experte am Institut für Handelsforschung Köln (IFH Köln).
Sonja Koschel, Inhaberin des Marktforschungsinstituts MarketMedia24, sieht in der Konsolidierung aber auch eine Chance: Besonders kleinere Hersteller könnten sich „durch Spezialisierung und Authentizität von größeren Wettbewerbern abheben“. Nach einer aktuellen Studie von MarketMedia24 ist das wichtigste Kaufkriterium für Outdoor- Konsument*innen derzeit die Produktqualität. Für Tatonka dürfte das eine gute Nachricht sein.