t3n-Gründer Andreas Lenz: “Idealismus bezahlt keine Rechnungen“

Am 9. September feiert das Medienunternehmen t3n seinen zehnten Geburtstag. Mittlerweile ist aus dem einstigen Abschlussprojekt eine etablierte Publishing-Marke im Tech- und Business-Bereich geworden. absatzwirtschaft sprach mit Ko-Gründer Andreas Lenz über Wachstum im Nischenmarkt, die Möglichkeiten der Monetarisierung und eine flexible Unternehmenskultur

Das erste Heft von t3n erschien im September 2005 und war als Diplomarbeit von Jan Christe, Andreas Lenz und Martin Brüggemann zum Thema „Webbasiertes Publishing mit Open-Source-Technologie“ angelegt. Auf der Domain t3n-magazin.de startete gleichzeitig eine Art Newsticker, der vor allem das Print-Magazin bewerben sollte. Mittlerweile besteht das Team aus 35 Mitgliedern, die verkaufte Auflage des vierteljährlich erscheinenden Magazins liegt bei 20.000 (2. Quartal 2015), was einem Zuwachs von 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Die Website t3n.de zählt rund 2,5 Millionen Visits.

Der typische t3n-Leser, das habe eine Leserbefragung des Unternehmens kürzlich ergeben, ist offline knapp unter 40 Jahre alt, online im Schnitt 35. t3n spricht zudem vor allem Männer an – nur 16 Prozent der Leser sind weiblich. Gut die Hälfte sind in Agenturen und Start-ups beschäftigt oder selbstständig, ein Drittel hat einen IT-Hintergrund.

Herr Lenz, das t3n-Magazin ist seit Februar nicht mehr im Computer- sondern im Wirtschaftsregal zu finden. Wieso?
Wenn der Inhalt zu technisch ist, bleibt man in der Nische stecken. Mit dem Heft wollen wir aber auch neue Zielgruppen erschließen. Und die Digitalisierung hat sich so sehr ins allgemeine Management hinein entwickelt, dass der Themenfokus automatisch breiter wurde. Wir wollen eine Brücke bauen zwischen wirtschaftlichen Themen und denen aus der digitalen Welt.

Zwischen welchen Magazinen würden Sie sich am ehesten positionieren?
Im Handel werden wir zwischen der Wired, Business Punk, Brand Eins und dem Manager Magazin ausgelegt. Wir fühlen uns genau dort wohl – am ehesten würde ich uns vom Themenmix her aber wahrscheinlich zwischen dem Manager Magazin und der Wired sehen. Das Manager Magazin ist noch etwas nüchterner und für unseren Geschmack nicht technisch genug, die Wired wiederum zu Consumer-lastig. Wir bewegen uns stärker im B2B-Bereich, deswegen sind wir ja das Magazin für die digitale Wirtschaft.

Mit Verlaub: Das Manager Magazin steht vor allem für kritischen und tiefgehenden Journalismus, Wired für visionäre Geschichten. t3n ist jetzt nicht dafür bekannt, Debatten anzustoßen, die Beiträge haben oft eine Art „Wohlfühl“- oder „Ratgeber“-Charakter. Fehlt da nicht der kritische Journalismus?
Dem widerspreche ich: Natürlich decken auch wir Geschichten auf und berichten kritisch über Geschehnisse aus der Branche. Wenn wir in der Tonalität nicht mit der Brechstange rangehen, heißt das ja nicht, dass t3n nicht genau nachhakt: Wir haben gerade die Woche als erste kritisch über die neuen AGBs von Spotify berichtet und äußern uns regelmäßig zu für unsere Leser relevanten Themen. 

T3n ist aber kein Investigativ-Magazin, wir wollen eine Brücke zwischen Wirtschaft und der Digitalwelt bauen. Dabei verstehen wir uns auch als Begleiter: Ratgeber und Tipps gehören da natürlich zum Repertoire. Debatten laufen bei uns in und mit der Community. Aber wir wollen uns nicht streiten, sondern Wissen vermitteln. 

Wie muss Journalismus in Ihren Augen heute sein, um Erfolg zu haben?
Er muss zum einen die Stammleserschaft binden und inspirieren. Ein gutes Zeichen sind wachsende Abonnentenzahlen oder eine wachsende wiederkehrende Community, die mitgestaltet und sich am Produkt erfreut. Zusätzlich sind es gute Geschichten, die unsere Expertise herausstellen: Wir haben den Anspruch, Trends zu erkennen, die tatsächlich auch in naher Zukunft eintreten und möchten damit so gut wir können Ideen und Impulsgeber für Digitalisierung und digitale Transformation sein. 

In einem Interview haben Sie mal gesagt: “Für t3n war einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren der vergangenen zehn Jahre, immer zu wissen, was wir nicht können und nicht machen wollen.” Was können und wollen Sie nicht?
Damit meine ich vor allem, dass wir stark auf Kritik und Anregungen aus dem Kollegenkreis, dem unternehmerischen Umfeld und der Community hören. Wir justieren dann relativ schnell nach. Und: Wenn wir etwas nicht können, dann sehen wir das auch ein. Wir nutzen die Peripherie sehr stark. Das bedeutet, dass wir gerne und oft Autoren oder Autorinnen zu Themen heranziehen, die Experten auf einem Gebiet sind. Der zuständige Redakteur bei uns schreibt den Beitrag dann mit ihnen zusammen oder leitet sie an. Bei uns kommen heute bestimmt 50 Prozent der Beiträge von externen Autoren.

Das bedeutet: Sie können den Tiefgang nicht? Deswegen beauftragen Sie andere damit?
Wie gesagt, kommt es darauf an, was man selbst kann und was man besser gemeinsam mit Profis zum Thema gemeinsam veredelt. Beispiel: Unser Ressortleiter im Bereich E-Commerce, Jochen Fuchs, ist Experte auf dem Gebiet. Wenn wir uns für einen Artikel zum Einsatz der besten Payment-Lösungen für Onlineshops entscheiden, arbeitet Fuchs natürlich mit Branchenexperten zusammen, die im besten Fall schon hunderte Payment-Schnittstellen implementiert haben. Was wir absolut nicht wollen, ist, dass Leser Artikel kommentieren, weil sie merken: das kommt von jemandem, der keine Ahnung hat. Sowas passiert viel zu oft. Journalisten müssen nicht alles wissen – sie müssen aber in der Lage sein, eine möglichst neutrale Perspektive zu bieten. Und lieber lassen wir eine Fachfrau oder einen Fachmann zu Wort kommen und ordnen das ein, als wenn wir uns mit fremden Federn schmücken, die abfallen, sobald ein wenig an der Oberfläche gekratzt wird.

Haben Sie keine Angst, zu sehr vom ursprünglichen Markenkern, der technischen Expertise, abzudriften?
Uns ist klar, dass das eine Gratwanderung ist, denn auch wenn der Fokus sich weitet, gehört unsere technische Expertise ja eindeutig zu unseren USPs. Das Nerdige haftet uns noch immer an, Online und in Print. Wir sehen das nach wie vor als Stärke. Aber wir glauben auch, dass unsere Leser mit uns gewachsen sind. Als wir vor zehn Jahren anfingen, waren das vielleicht Studenten, die dann zu Entwicklern wurden oder ins Management von Tech-Unternehmen gegangen sind – eine natürliche Evolution der geekigen, jüngeren Zielgruppe. Wir wollen das Technische daher nicht subtrahieren, sondern unser Angebot einfach ausweiten: Auf die Themen der Branche, die die herangewachsene Leserschaft eben auch interessieren. Wir sind dafür vor allem Online sehr experimentell aufgestellt und stellen pro Jahr zwei bis drei neue Mitarbeiter ein.

„Medien machen und monetarisieren war noch nie so einfach wie heute”, haben Sie behauptet. Den Leuten fehle nur das kaufmännische Handwerk. Wer sind die Leute und was machen sie falsch?
Es gibt heutzutage jede Menge tolle journalistische Projekte: ob Krautreporter, Der Sender oder Substanz. Wenn ich mir die Teams anschaue, frage ich mich aber immer: Wer von denen hat das Thema Vermarktung gelernt? Da kümmert sich doch niemand um SEO und Traffic-Generierung. Ich frage mich auch generell: Warum gibt man Journalisten das kaufmännische Handwerkszeug nicht gleich mit an die Hand? Die wenigsten Lehrpläne vermitteln, welche technischen Möglichkeiten zur Monetarisierung von Inhalten es heute gibt. Dabei brauchen Journalisten in Zukunft immer mehr ein Verständnis der kaufmännischen Basis, auf der ihre Arbeit stattfindet.

Das Prinzip vieler solcher Projekte ist aber ja gerade die Werbefreiheit, um unabhängigen Journalismus zu garantieren.
Das mag sein und prinzipiell verstehe ich das auch. Crowdfunding ist meines Erachtens aber keine Basis für die Funktionalität einer Firma. Und das sind diese Projekte letztlich nun mal: Da müssen auch Gehälter und Produktionskosten bezahlt werden. Das eigentliche Problem ist doch, dass die meisten Journalisten keine Lust darauf haben, einen ‘Werbefuzzi’ bei sich im Team zu haben. Da steht sich der journalistische Anspruch in meinen Augen selbst im Weg: Idealismus bezahlt keine Rechnungen – dazu braucht es auch ein Team mit kaufmännischem Know-how.

Was schlagen Sie vor?
Im besten Fall besetzt man die Vermarktungsseite genauso stark wie die Redaktion und schaut sich die Möglichkeiten dann gemeinsam an.

Der Anspruch eines von ökonomischem Druck befreiten und damit unabhängigen Journalismus bleibt damit dann aber auf der Strecke.
Naja, unabhängig ist guter Journalismus immer, das bleibt er auch in einem kaufmännisch durchdachten Modell. Ich sage auch nicht, dass ich Ansätze wie den der Krautreporter falsch finde. Die Reichweitengenerierung ist aber mit Hilfe von kostenfreier Infrastruktur und Vermarktungssystemen heute so einfach wie nie. Mich wundert es einfach, dass sie nicht intensiver genutzt wird. Und die Frage der Monetarisierung von Inhalten können Leute mit kaufmännischer Denke eben viel besser beantworten als Leute mit journalistischer Denke.

Über welche Quelle wird bei t3n am meisten in die Kassen gespült?
Wir haben immer darauf geachtet, dass wir breit aufgestellt bleiben. Unsere Jobbörse deckt gut 15 Prozent der Einnahmen ab, die Printabos ebenfalls. Online-Werbung bestreitet einen ähnlichen Anteil, genau wie Print-Anzeigen. Was stark wächst, sind die Themen Native Advertising und Content Marketing: Hier haben sich die Buchungen im vergangen Jahr nahezu verdoppelt. Das ist für uns ein neuer Wertschöpfungsbereich, der auch in die Redaktion hineinragt. Manche unserer Mitarbeiter lehnen das auch ab. Aus diesem Grund sind wir dabei, eine reine Service-Redaktion aufzubauen.

Der Idealismus, der keine Rechnungen bezahlt, ist also auch bei Ihnen zu Hause?
Natürlich, auch als Salesfuzzi freue ich mich über Scoops und bzw. oder meinungsstarke Stücke, beispielsweise zum Thema Netzneutralität, die mir aus der Seele sprechen, die mit erheblichem Aufwand produziert worden sind, aber miserabel geklickt werden und monetarisieren. Wie immer kommt es doch am Ende einfach auf eine gute Mischung an, die Stammleser honorieren oder eben nicht. 

Wie groß darf der Anteil von Native und Content Advertising sein, bevor man an Glaubwürdigkeit einbüßt?
Vor fünf Jahren haben wir mal die Obergrenze von maximal drei Sponsored Posts pro Woche festgelegt. Mittlerweile sind wir in diesem Bereich über Wochen ausgebucht. Aber auch das Volumen redaktioneller Inhalte ist stark gewachsen. Daher überlegen wir, die Obergrenze auf fünf pro Woche zu erhöhen. Die Entscheidungshoheit darüber hat aber die Redaktion. Die kriegt letztlich das direkte Feedback der Nutzer. Ich glaube aber, dass sie zustimmen wird – die Proportion ist ja ähnlich geblieben. Für sie bedeutet es außerdem: Mehr Einnahmen, also mehr Personal und damit mehr Spielraum für eigene Ideen und aufwändigere Stücke.

Haben Sie mal darüber nachgedacht, eine Bezahlschranke einzuführen?
Nachgedacht ja. Wir haben dazu auch Musterkalkulationen durchgeführt. Die sind aber so mager ausgefallen, dass wir beschlossen haben, das System weiterhin offen zu lassen und lieber die Vermarktung zu optimieren. Unser größtes Problem dabei sind Adblocker, die uns zunehmend Geld kosten.

Erst kürzlich hat eine Studie ergeben, dass weltweit rund 21 Milliarden US-Dollar an Werbeeinahmen durch Werbeblocker in der Versenkung landen. Wie gehen Sie damit um?
Wir beschäftigen uns intensiv damit, wie Werbung aussehen muss, damit sie die Nutzer nicht nervt. Im besten Fall soll sie unsere Leser sogar interessieren. Wir hatten auch mal die Idee, Adblocker-Nutzern ein Overlay einzublenden, nach dem Motto: „Wir finanzieren die Autoren dieses Beitrags mit der Werbung, die du blockst. Wenn du das akzeptierst, kannst du weiterlesen.“ Noch sind wir uns aber unsicher, denn der Gegenwind ist bei solchen Aktionen immer enorm. Aktuell ist der Handlungsdruck auch noch nicht übermächtig: Viele unserer Stammleser setzen t3n.de auf die Whitelist ihres Adblockers, so dass die wirtschaftlichen Ausfälle sich im Rahmen halten.

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Ihr Ziel ist, auf jeder sozialen Plattform jährlich 20 Prozent zu wachsen. Sie betreiben ein Nischenmedium und wollen trotzdem die Masse. Wie passt das zusammen?
Jeder Arbeitsplatz hängt heute mit der Digitalisierung zusammen – insofern haben wir zwar vielleicht in der Nische angefangen, sind ihr aber längst entwachsen. Ein Medium, das sich mit digitalem Business befasst, wandelt sich zurzeit quasi automatisch zum Mainstream-Medium. Da müssten wir uns schon sehr dumm anstellen, um nicht zu wachsen.

In einem Interview haben Sie betont, dass jeder Ihrer Mitarbeiter letztlich zum Markenbotschafter werden soll. Dazu gehört auch die Nutzung sozialer Medien. Kann man bei Ihnen arbeiten, ohne ständig auf Facebook oder Twitter unterwegs zu sein?
Unser Kollege Florian Blaschke hat vor einem Jahr seinen privaten Facebook-Account wegen Datenschutz-Bedenken zugemacht. Das fand ich für einen Online-Redaktionsschef zunächst ein No-go. Er hat mir aber versichert, dass er über unsere Tools trotzdem noch auf Kommentare auf der t3n-Fanpage reagieren und die Seite steuern kann. Gleichzeitig probiert er um so intensiver neue Dienste aus und testet Anbieter, die Datenschutz größer schreiben. Aus seinen Erfahrungen hat er eine populäre Story gemacht und viel positives Feedback erhalten. Ich denke also: Jeder so, wie er will. 90 Prozent unserer Mitarbeiter sind bei Facebook und Twitter aktiv, wenn auch unterschiedlich stark. Wir schreiben nichts vor oder erheben Einstellungskriterien. Allerdings haben wir festgestellt, dass eine höhere Affinität der Mitarbeiter auf die Marke einzahlt.

T3n ist ein sehr junges Unternehmen: Das Durchschnittsalter liegt bei 27 Jahren. Wie „jung“ ist die Unternehmenskultur? Welche Rolle spielen flexible Arbeitsmodelle?
Wir sind dabei, unsere Home-Office-Regelung auszuweiten, auch wenn wir als Arbeitgeber der Ansicht sind, dass der Präsenzbetrieb für mehr Produktivität sorgt. Wir schreiben sehr viel über Flexibilität, Eigenverantwortung und moderne Arbeitskultur, klar, dass da Wünsche und Anreize entstehen, Dinge selbst auszuprobieren.

Elternzeit, Teilzeit und Mutterschutz sind bei Ihnen noch kein wirkliches Thema, oder?
Das stimmt. Hinzu kommt, dass wir am Anfang nicht nur jung, sondern auch sehr männlich besetzt waren. Mittlerweile sind die Verhältnisse recht ausgeglichen, was uns sehr freut. Und da wir durchschnittlich älter werden, rücken die Kinder- und Familienthemen natürlich stärker in den Fokus. Das wird ein Umbruch. Wir informieren uns daher, beschäftigen uns mit Möglichkeiten, Familienplanung und betriebliche Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Was wir nie machen würden, wäre, einen Mann einer Frau vorzuziehen, nur weil sie vielleicht schwanger werden könnte.