Strombranche im Wandel: neue Chefs bei E.on und RWE

Atomausstieg und Energiewende haben die Stromkonzerne E.on und RWE zu einem weitreichenden Umbau ihrer Geschäftsmodelle gezwungen. Die Architekten dieses Wandels, Johannes Teyssen und Rolf Martin Schmitz, treten jetzt ab. Ihre Bilanz fällt unterschiedlich aus.
E.on
E.on sieht sich mit einer Gesamtlänge seines Stromnetzes von 1,5 Millionen Kilometern als "die Drehscheibe der europäischen Energiewende". (© E.on)

Als Johannes Teyssen im Jahr 2010 zum Chef des E.on-Konzerns aufstieg, übernahm er die Leitung eines Stromriesen. Mehr als 275 Milliarden Kilowattstunden produzierte E.on damals. Nur ein gutes Zehntel ist davon übrig geblieben, da Teyssen (61) an diesem Donnerstag (1. April) das Ruder an seinen Nachfolger Leonhard Birnbaum (54) abgibt. Wenn die letzten drei Atomkraftwerke Ende kommenden Jahres abgeschaltet sind, wird sich E.on ganz von der Stromproduktion verabschiedet haben.

Teyssens spektakultäer Deal mit RWE

Teyssen hat den Konzern in den vergangenen Jahren komplett umgekrempelt – aus dem Kilowatt-Champion ist so die Nummer eins der Energienetze geworden. Unter dem Druck des Atomausstiegs und der Energiewende hatte er zunächst die Stromerzeugung aus Kohle und Gas abgestoßen und dann in einem spektakulären Deal mit dem langjährigen Rivalen RWE die Geschäftsfelder der beiden Unternehmen neu verteilt. E.on übernahm die Strom- und Gasnetze und das Kundengeschäft der RWE-Tochter Innogy und gab seine erneuerbaren Energien an RWE ab.

Johannes Teyssen, Vorsitzender des Vorstands der E.on SE (links) und Rolf Martin Schmitz, Vorsitzender des Vorstands von RWE (Foto: E.on)

Bei Atomkraft „im Labyrinth“ verirrt

Teyssen selbst vollzog in dieser Zeit einen Positionswechsel. Bei seinem Amtsantritt hatte er die Atomkraft als unverzichtbar bezeichnet, weil sie Kosten für die Kunden niedrig halte, ohne das Klima zu belasten. Inzwischen ist die Kernenergie für ihn „zu teuer, zu riskant und politisch zu brisant“, wie er kürzlich dem „Handelsblatt“ sagte. Beim Thema Atomkraft hätten er und seine Kollegen sich damals „im Labyrinth verrannt“.

Dominant wie einst bei der Erzeugung ist E.on inzwischen beim Transport und dem Verkauf von Strom. Mit einer Länge von rund 700.000 Kilometern betreibt E.on das mit Abstand umfassendste Verteilnetz in Deutschland. Auch die Kundenzahl ist mit 14 Millionen in Deutschland unübertroffen. Europaweit beliefert E.on sogar gut 40 Millionen Haushalte und Betriebe mit Strom und Gas und sieht sich mit einer Gesamtlänge seines Stromnetzes von 1,5 Millionen Kilometern als „die Drehscheibe der europäischen Energiewende“.

Schwere Stellung für mittelständische Wettbewerber

Kleinere Versorger sehen das mit Sorge. E.on und RWE könnten „mittelständische Wettbewerber aus dem Markt drängen“, warnen sie. In vielen deutschen Regionen könne E.on beim Stromverkauf auf einen Marktanteil von bis zu 70 Prozent kommen. Mit zwei Klagen vor dem Gericht der Europäischen Union versuchen sie deshalb, die Genehmigung des Deals durch die Brüsseler Kommission nachträglich zu Fall zu bringen.

Teyssen hält solche Befürchtungen angesichts der großen Zahl von Stromanbietern in Deutschland für unbegründet. Er kann dabei auf Zahlen der Bundesnetzagentur verweisen, nach denen die Haushalte durchschnittlich zwischen 138 Stromanbietern wählen können.

Energiebranche vor Digitalisierung

Die Konkurrenz fürchtet die Finanzkraft von E.on bei der Digitalisierung der Energiebranche. „Wer nicht voll digital arbeitet, arbeitet bald gar nicht mehr“, hat Teyssen-Nachfolger Birnbaum bereits als Devise ausgegeben.

Dazu passend zieht zum 1. April 2021 Victoria Ossadnik in den E.on-Vorstand ein. Sie ist derzeit Vorsitzende der Geschäftsführung der E.on Energie Deutschland. Ossadnik wird im Vorstand für die Digitalisierung des Konzerns verantwortlich sein ubnd ist die erste Frau in dem Führungsgremium.

In Verbindung mit den Energienetzen biete die Digitalisierung große Wachstumschancen für E.on, denn ob Solaranlage oder Windrad, alle neuen Anlagen „müssen an unsere Netze angeschlossen werden“. Je entschlossener die Energiewende vorangetrieben werde, desto besser für E.on.

An der Börse hat die neue E.on bislang keine große Begeisterung ausgelöst. Der Aktienkurs ist seit der Bekanntgabe des Deals mit RWE nur wenig gestiegen, während die RWE-Aktie deutlich zugelegt hat. E.on habe ein „beträchtliches Aufholpotenzial“, räumte Teyssen in der vergangenen Woche ein, als er seine letzte E.on-Bilanz vorlegte.

RWE und der Hambacher Forst

Bei RWE folgt der Chefwechsel Ende April, wenn der Vorstandsvorsitzende Rolf Martin Schmitz (63) den Stab an seinen bisherigen Finanzchef Markus Krebber (48) übergibt. Schmitz stand als Chef des größten europäischen Braunkohleverstromers in den vergangenen Monaten viel stärker in der Kritik als Teyssen. Vor allem im Ringen um den Erhalt des Hambacher Forsts wurde er zum Buhmann der Klimaaktivisten.

„Es gibt keine Chance, den Wald stehen zu lassen“, gab sich der in Mönchengladbach am Rande des Braunkohlereviers geborene Ingenieur lange beinhart. Am Ende wurde der Erhalt des umkämpften Walds im Kohleausstiegsgesetz festgeschrieben. RWE bekam eine Entschädigung von 2,6 Milliarden Euro für das Braunkohle-Aus zugesagt. Kritiker nennen das ein Milliardengeschenk.

RWE sieht sich als führend beim Ökostrom

Lieber als über die Braunkohle will Schmitz über Ökostrom reden. RWE sei inzwischen eines der weltweit führenden Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien. In mehr als 15 Ländern drehen sich Windräder oder liefern Solarparks der Essener Strom. Die aktuellen Produktionszahlen spiegeln den angestrebten Wandel noch nicht so recht wider. Im vergangenen Jahr kam gerade ein Fünftel des von RWE erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien. Das soll sich schrittweise ändern. Bis zum Jahr 2040, nach dem Aus des letzten Braunkohlekraftwerks, will RWE klimaneutral sein.

he/dpa