Die Corona-Krise beschleunigt in atemberaubender Geschwindigkeit das, was sich seit Beginn des Jahrtausends bereits abgezeichnet hat, was durch die letzte Finanzkrise noch mal verstärkt wurde und sich in einer digitalisierten, globalisierten Welt verfestigt hat: In Zeiten des Überflusses kaufen Menschen nicht mehr das „Was“, sondern das „Wie“ und „Warum“ einer Marke. Der Mehrheit der Markenverantwortlichen dürfte das mittlerweile bewusst sein. Fraglich ist, wie gut sie das bisher umgesetzt haben. Die Corona-Krise wird auch diesbezüglich zum Stresstest für Marken.
Eigene Beobachtungen und auch Studien belegen, dass Konsumenten die Haltung von Marken durchaus wahrnehmen. Und darüber hinaus: Das Edelmann Trust Barometer stellte bereits 2019 fest, dass sich bis zu 64 Prozent der Befragten bei ihrer Markenwahl von deren Haltung zu gesellschaftlichen und sozialen Fragen beeinflussen lassen. Dieser Trend verstärkt sich in der aktuellen Krise, denn Menschen werden sensibler in ihrer Wahrnehmung.
Die Krise wird zum Teilchenbeschleuniger für Entwicklungen in der Gesellschaft
Eine wesentliche Rolle für diese Entwicklung spielt sicher der Umstand, dass wir vor Corona in einer Zeit lebten, in der wir alles zu jeder Zeit von überall her in rauen Mengen produzieren, liefern und somit auch konsumieren konnten; gepaart mit den Lebensumständen und den Anforderungen der Millennials, die seit diesem Jahr die Konsumentengruppe mit dem größten Anteil in der Bevölkerung darstellen. Je mehr alles immer und überall von vielfältigsten Anbietern zu haben war, desto mehr wuchs gerade bei den Millennials die Sehnsucht nach dem Sinn hinter den Angeboten. Marken, die diesen Anforderungen nicht gerecht werden, gehen nicht nur wirtschaftlich geschwächt aus der Krise, sie verlieren auch ihre Begehrlichkeit bei ihren Fans, Kunden und Mitarbeitern.
In einer Zeit, in der Menschen unsicher, voller Ungewissheit und Angst vor einer schweren Krankheit oder Jobverlust und mit existentielleren Nöten konfrontiert sind, hat der Konsum nur noch eine nachgelagerte Bedeutung. Die Überlebensfähigkeit von Marken wird dadurch auf eine harte Probe gestellt.
Menschen erwarten von Marken Lösungen
Mitarbeiter wie Kunden erwarten von Marken und den dahinterstehenden Unternehmen kein schrilles Werbegeschrei, sondern passende Informationen sowie Maßnahmen, um die Corona Krise zu überstehen. Sie erwarten von Marken echte Unterstützung, um die Gesellschaft vor weitreichenden Schäden zu bewahren. Wir merken, dass in solchen Zeiten Menschen höchst sensibel sind und aufnahmefähig für feine Signale, die von Marken ausgesendet werden. Gemessen wird eine Marke zukünftig daran, ob sie weiterhin versucht, Kunden zu verführen oder ob sie sich für die Menschen, für den Zusammenhalt und die Lösung gegen das Coronavirus und andere gesellschaftliche Herausforderungen wirklich interessiert und einsetzt.
Je unsicherer und ungewisser die Zeiten sind, desto mehr sehnen wir uns nach Sicherheit, Stabilität, Vertrauenswürdigkeit und nach Lösungen aus der Krise. Marken, die aus ihrer angestammten Haltung heraus etwas zum Wohl der Gesellschaft tun, erhalten gerade sehr positives Feedback von ihren Kunden. Diesen Unternehmen wird es gelingen, die sogenannten „Belief-Buyers“, also Kunden, denen eine klare Haltung von Marken zu gesellschaftlichen Problemen wichtig ist, für sich zu gewinnen und nach der Krise zu halten.
Das könnte auch Coca-Cola gelingen. Das Unternehmen hat sich dazu entschieden, sämtliche Werbemaßnahmen zu stoppen. Dabei geht es Coca-Cola nicht nur darum, Geld zu sparen. Gemeinsam mit seinen Abfüllpartnern und der Stiftung The Coca-Cola Foundation will das Unternehmen weltweit 120 Millionen Dollar für COVID-19-Hilfsmaßnahmen spenden und sich so der gesellschaftlichen Herausforderung durch die Corona-Krise stellen. Jede Marke, die es schafft, sich um die aktuellen emotionalen Knappheiten der Kunden und der Gesellschaft zu kümmern, wird punkten. Marken, die das aus reinem Profit-Kalkül, als Marketingtaktik in der Krise tun, werden entlarvt.
Wer keine Haltung hat, offenbart das in der Art, mit der Krise umzugehen
In den letzten beiden Jahren hatten nahezu alle Unternehmen, mit denen ich arbeiten durfte, die Themen Purpose und Haltung auf der Agenda. Dabei wurde klar, dass es nicht nur entscheidend ist, ob man sich mit diesen Themen beschäftigt, sondern wie umfassend und tiefgreifend man das tut: Ist das gesamte Unternehmen involviert oder ist es ein reines Kommunikationsthema für das Marketing. Das aktuelle PR-Desaster von Adidas wirft die Frage auf, welche Haltung und welchen Purpose diese Marke tatsächlich hat, und ob die Werte von den Verantwortlichen vorgelebt werden. Es steht außer Zweifel, dass Unternehmen derzeit Kosten reduzieren müssen. Aber auf die eigenen Werte, beispielsweise den Teamgeist, wurde zu Beginn der Kommunikation nicht genügend Bezug genommen, erst wieder bei der öffentlichen Entschuldigung. Da war es zu spät, und das hinterlässt Spuren – bei Fans, Mitarbeitern und allen anderen Stakeholdern.
Im Gegensatz dazu punkten derzeit Marken wie BASF, Trigema oder dm. Sie haben schon seit langer Zeit ihre Haltung in ihrer Unternehmensstrategie und Markendefinition festgeschrieben und drücken diese in ihren Entscheidungen, Maßnahmen und in ihren Botschaften aus. Somit werden diese Unternehmen auch jetzt positiv wahrgenommen, da sie sich für die Gesellschaft einsetzen: egal ob sie die Produktion auf Desinfektionsmittel oder Gesichtsmasken umstellen oder unter dem Hashtag #füreinander den Einkauf für hilfsbedürftige Menschen oder Risikopatienten organisieren.