So langsam will niemand mehr eine Kolumne mit dem Satz: „Die letzten Monate haben einige grundsätzliche Veränderungen herbeigeführt…“ beginnen – und dennoch bringt er die Sache auf den Punkt. Dazu gehören auch Veränderungen, die bisher trotz ihrer Relevanz zumindest in Deutschland kaum thematisiert wurden: Die gesteigerte Bedeutung der Strategie-Disziplin im Marketing und in der Zusammenarbeit zwischen Agentur und Kund*in ist eine davon – und hier hat sich zuletzt einiges getan.
Selten werden Schwachstellen und Verbesserungspotenziale so deutlich spürbar wie in Krisenzeiten. In diesen unsicheren Phasen wird Rat bei Strateg*innen gesucht, die in der Krise eine führende Rolle übernehmen konnten. 95 Prozent der in einer globalen APG-Studie befragten Strateg*innen bestätigten, dass Kund*innen sich während der Pandemie mehr auf sie verlassen haben. Denn die veränderte Situation hat dazu geführt, dass wichtige und neue Herausforderungen gemeinsam gelöst werden mussten, und das meistens schnell.
Eine Stärke, die Strateg*innen mitbringen: Sie betrachten die Krise aus unterschiedlichen Perspektiven, bringen Ordnung und Struktur ins Chaos und schaffen so Raum für neue Ideen, innovative Ansätze und ungeahnte Entwicklungen.
In einer aktuellen Studie von Gartner wird Markenstrategie mittlerweile als wichtigste Strategie-Disziplin vor der lange führenden Marktforschung genannt. Markenstrategie nimmt eine holistische Perspektive ein und unterstützt Unternehmen dabei, auf die Bedürfnisse und Wünsche von Konsument*innen eine prägnante und präzise Antwort zu geben und diese nachhaltig zu kommunizieren. Etwas, das gerade in schwierigen Zeiten, einen enormen Wettbewerbsvorteil bieten kann.
Veränderungen verlangen nach Strategie
Doch Strategie ist mittlerweile weit mehr als nur Markenstrategie. Die Pandemie hat nicht nur die Bedeutung der klassischen Strategie-Disziplinen gestärkt, sondern auch neueren strategischen Bereichen wie E-Commerce einen enormen Boost verliehen. So verändert sich mit den aktuellen Entwicklungen auch die Strategie-Disziplin selbst.
Schon seit Längerem wird die Welt der Kommunikation immer komplexer: Die Vielfalt der Kanäle wächst stetig, die Zielgruppen werden immer fragmentierter, Unternehmen haben immer mehr zu sagen – diese Veränderungen verlangen nach mehr strategischem Denken.
Hinzu kommen aktuelle Themen wie Diversity oder Nachhaltigkeit, auf die Unternehmen eine relevante und vor allem glaubwürdige Antwort finden müssen. Diese Bereiche sind nicht mehr nur nice-to-have, sondern sind integraler Bestandteil der Unternehmens- und Kommunikationsstrategie geworden.
Strategie wird komplexer
Doch die Veränderungen gehen noch tiefer: Auch Verhalten und Wünsche von Verbraucher*innen befinden sich pandemiebedingt in einem signifikanten Wandel. Daraus ergeben sich immer mehr und komplexer werdende Fragestellungen, die strategisch beantwortet werden müssen. Kundenorganisationen selbst können diese vielschichtigen Herausforderungen jedoch oft nur teilweise oder gar nicht bewältigen.
Um diese Entwicklungen zu spiegeln, zeichnet sich auch die Strategie-Disziplin selbst durch zunehmende Vielfalt und damit Komplexität aus. Ausgehend von den klassischen Disziplinen des Creative, Account und Media Planning, kommen immer mehr Bereiche hinzu – wie Data, Social Media, Customer Engagement, Commerce und Experience Strategy oder Consulting. Und die Liste geht weiter. Auch die wachsende Bedeutung von Daten und Technologie im Marketing beeinflussen die strategische Arbeit zunehmend und verlangen eine konstante Weiterentwicklung von Skillsets, Tools und Frameworks, um mit den rasanten Entwicklungen mithalten zu können.
Strateg*innen werden zu Ansprechpartner*innen auf Augenhöhe
Diese sich verändernden Aufgabenstellungen und Anforderungen haben natürlich auch Auswirkungen für die Strateg*innen selbst. Zunehmend profitieren sie von den sogenannten T-Shaped Skills – also einem breit aufgestellten Fachwissen mit tiefem Expert*innenwissen in einem definierten Bereich. Sie vereinen die Vorzüge von Generalisten und Spezialisten, wodurch sie ihren Kund*innen eine umfassende Beratung bieten können.
In den vergangenen Monaten ließ sich laut WARC weltweit beobachten, dass Strateg*innen zunehmend zu direkten Ansprechpartner*innen für Kund*innen wurden und damit eine noch aktivere Rolle in der Agentur-Kunde-Beziehung einnehmen. Das wiederum führt dazu, dass sich die Strateg*innen von ihrer früher oft begrenzten Funktion als Leitplankenleger einer kreativen Idee, weiterentwickeln zu Partner*innen auf Augenhöhe und sogar Treiber*innen der Agentur-Kunde-Beziehung.
Neue Möglichkeiten für Talente in der Strategie
Diese Entwicklungen öffnen das Profil von Strateg*innen – und bieten damit auch ganz neue Chancen für Talente. Die Disziplin birgt spannende Weiterentwicklungsmöglichkeiten, sei es tiefgreifend in einem der verschiedenen Bereiche der Disziplin, oder fachübergreifend.
Talente mit den unterschiedlichsten Werdegängen bereichern die Position, egal ob sie aus der Start-up-Welt oder aus den Bereichen Tech oder Innovation kommen. Die verschiedenen Hintergründe und Erfahrungshorizonte können wertvolle Impulse bei der täglichen Arbeit liefern. Umgekehrt bietet die strategische Arbeit in Agenturen viel Abwechslung und einen intellektuellen Spielraum, den Unternehmen, Start-ups oder Tech-Konzerne in dieser Form nicht immer oder nur in begrenztem Maße bieten können. Gerade junge Talente können in Agenturen dank dieser Vielseitigkeit von einer besonders steilen Lernkurve profitieren.
Die Evolution der Strategie ist also in vollem Gange. Um diesen wichtigen Bereich in den Fokus zu rücken, ist es jetzt an der Zeit, die Rolle und Aufgabe von Strategie weiterzudenken. Das gilt gleichermaßen für Agenturen wie für Unternehmen – aber eben auch und vor allem in der Zusammenarbeit.