„Zerreißprobe für Schwedens Regierung“, titelte die Nachrichtenredaktion der ARD am 3. Dezember. Die junge schwedische Minderheitsregierung sieht sich nach gerade mal zwei Monaten Amtszeit einer handfesten Krise ausgesetzt. Sie hat den eigenen Haushaltsentwurf im Parlament nicht durchgebracht. Stattdessen erhält der Schattenhaushalt der Opposition breite Unterstützung.
Zeitgleich auf Twitter. Jeanette Fors-Andrée rät der schwedischen Regierung zu Offenheit und Transparenz und dazu, Fehler zuzugeben. „Wussten Sie, dass es zum natürlichen menschlichen Verhalten gehört, sich während Krisen zu verstecken? Die Herausforderung für Leader ist es, ihrem natürlichen Instinkt zu widerstehen“, tweetet die 35-jährige Krisenmanagerin, die unter anderem Politiker berät. Sie tut das nicht auf ihrem eigenen Twitterkonto, sondern auf dem offiziellen schwedischen Account @Sweden. Jeanette ist für eine Woche die Twitter-Stimme Schwedens und so lange sie keine Gesetze bricht, darf sie dort schreiben, was sie will.
Zensur oder öffentliche Empörung?
Curators of Sweden heißt das Projekt, das gerade ins dritte Jahr geht. Jede Woche darf ein anderer Schwede das Twitterkonto führen. Man wollte die Vielfalt schwedischer Lebenswelten zeigen. Eben mehr als Abba, Ikea, Eishockey und ein Sonnenuntergang über Stockholm. Einen Löwen in Cannes hat man im Juni 2012 gewonnen und wurde von der Weltpresse mit Lob überhäuft. Und zwei Tage später brach im Swedish Institute, einer Regierungsagentur unter der Federführung des Außenministeriums, die Hölle los. „Wir sehen, wie das demokratische Twitter-Experiment vor unseren Augen implodiert“, lautete die Schlagzeile der News-Plattform Gawker. Und Vanity Fair Daily sah das Projekt zusammenbrechen wie ein Ikea-Regal.
Was war geschehen? Sonja Abrahamsson war zur Twitter-Stimme der Woche ernannt worden. Die damals 27-jährige alleinerziehende Mutter widmete sich im Detail allerhand Körperthemen, etwa der eigenen Geschlechtskrankheiten oder der Idee, sich die Gebärmutter auszureißen und sie dann zu essen, um ja keine weiteren Kinder mehr zu bekommen. Geschmackssache.
Das Fass zum Überlaufen brachten allerdings dann acht Tweets, die sich mit „den Juden“ beschäftigten. Vor allem der erste, in dem Sonja darauf hinwies, dass man Juden kaum von anderen Menschen unterscheiden könne, es sei denn, man sieht sie nackt, erzürnte vor allem die US-Presse. Sonja und @Sweden schafften es bis in die die Nachrichtensendungen der großen Networks. „Das war die härteste Zeit meines Lebens“, sagt Frida Roberts. Sie leitet das Swedish Institute und @Sweden ist „ihr Baby“.
Mehr Lob fürs Durchhalten als für die Idee
Man setzte sich zusammen und überlegte, den Account zu schließen. In der Diskussion wurde aber schnell deutlich, dass Sonja mit ihren Äußerungen keine Gesetze verletzt hatte. Somit stellte sich die knifflige Frage, ob man mit der Schmach der ausländischen Medien Leben wollte, oder ob man sich eventuell noch mehr Vorwürfe in Sachen Zensur einhandeln könnte, wenn man das Projekt beendet. Das Außenministerium entschied sich durchzuhalten. „Wir wollen für Meinungsfreiheit und –vielfalt stehen“, meint Roberts.
Nach wenigen Tagen kippte die Stimmung in den Medien und die Skandinavier sammelten fürs Durchhalten fast noch mehr Lob ein, als für den Start der Initiative selbst. Davon ließen sich auch die Iren anstecken. Im Sommer letzten Jahres kopierte man das Projekt für den Twitter-Account @Ireland.
Kommunikation harmloser als befürchtet
Inzwischen kann Frida Roberts in der Regel durchschlafen. Der Account hat sich etabliert und niemand nimmt mehr wirklich Anstoß daran, wenn ein Kurator wie Tanja Suhinina über die Vorzüge der Mischung von Absinth mit Champagner als Partygetränk fabuliert. Die nächste Krise wird kommen, das weiß auch Frida, aber die Handling-Mechanismen sind eingerichtet.
„Tatsächlich hat sich die Kommunikation als harmloser entpuppt, als wir zunächst befürchteten“, sagt die Marketing-Managerin. Die wichtigsten Themen, die auf dem Account diskutiert werden sind Tourismus, Natur und Kultur, gefolgt von gesellschaftlichen Themen. Erstaunlich wenig Raum nimmt Sport ein mit gerademal zwei Prozent aller Tweets. Freuen darf sich Frida über inzwischen 77 000 Follower und vor allem sehr hohe Interaktionsraten, die die Wirkung einzelner Tweets in Sachen Reichweite teilweise verfünffachen.
„Wir wollten nicht darüber sprechen, dass Schweden offen, tolerant und transparent ist, wir wollten es beweisen“, erklärt Frida Roberts. Story-Doing statt Story-Telling nennt sie das. „Nur etwa jeder fünfte Schwede nutzt Twitter, das limitiert unsere Möglichkeiten bei der Auswahl der Kuratoren“. Nur jeder Fünfte!