Dabei hat Jobs das Geheimnis selbst offenbart – man muss nur seine berühmte Stanford-Rede zu Rate ziehen. Sie zeigt, dass Steve Jobs im Geiste immer ein Kind der kalifornischen Hippiebewegung geblieben ist („stay hungry, stay foolish“). Der eigentliche Geist, mit dem Jobs seine Produkte beseelt hat, besteht aus Elementen der „kalifornischen Ideologie“, einem in den 60er- und 70er-Jahren entwickelten Gebräu von romantischen, existentialistischen, utopistischen, buddhistischen und hinduistischen Philosophemen.
Ausgehend davon lässt sich die (Produkt-)Philosophie von Steve Jobs auf die folgenden Kernwerte herunterbrechen:
Unbedingte Selbstverwirklichung („Love what you do. If you haven’t found it yet, keep looking. Don’t settle.“): Apple-Produkte – so ihr Mythos – sind Werkzeuge für Freigeister, die einen unbedingten Willen haben, ihr Ding durchzuziehen. Entsprechend hat sich Apple mit der Markenvision „think different“ in eine Reihe mit abweichlerischen Genies der neueren Kulturgeschichte gesetzt: Einstein, Picasso, Gandhi und Lennon. Natürlich ist nicht jeder Apple-Nutzer ein Picasso, aber mit Apple-Produkten bewegt man sich im grauen Alltag in einem „reality distortion field“, das die eigenen Tätigkeiten wohltuend narzisstisch überhöht.
Die Schönheit der perfekt reduzierten Form („Throughout the campus every poster, every label on every drawer was beautifully hand calligraphed.“): Die Design-Schule von Apple interpretiert die Ideen von Bauhaus und Zen für die digitale Ära neu. Was oberflächlich als Erfolgsfaktor Design beschrieben wird, verweist auf eine Mentalität: Die Liebe zum Detail macht die Dinge erst wertvoll. Die Apple-Kunden spüren beim Gebrauch der Produkte: Hier hat sich ein Design-Team voll und ganz der Aufgabe hingegeben, dem Nutzer ein perfektes und einfaches Nutzungserlebnis zu bereiten.
Technologie als Befreiung von Individuum und Gesellschaft („We designed it all into the Mac. It was the first computer with beautiful typography“): In der Tradition der Hippies hat Steve Jobs Apple als ein Projekt der Counter-Culture begonnen. Computer waren bis Mitte der 70er-Jahre hässliche Großrechenmaschinen der angepassten Corporate-Business-Welt. Steve Jobs und Steve Wozniak waren als Pioniere des Personal Computers Maschinenstürmer der neuen Art. Der Spirit des Nicht-Angepassten ist bis vor Kurzem ein Leitmotiv der Apple-Markenstory geblieben. Gegen den Mainstream, gegen Microsoft, gegen das Uncoole, gegen das Unästhetische. Tatsächlich hat der Personalcomputer die Kreativität des Einzelnen freigesetzt. Die ganze Arbeitskultur hat sich komplett von statischer Ab-teilung (im Sinne von abteilen) und Hierarchisierung zu offener, projektbezogener Vernetzung gewandelt.
Apple nach Steve Jobs? Im zweiten Stadium der Markenführung ist die Marke Apple bei einer Paradoxie angekommen: Der Massenerfolg unterminiert den subversiven Geist des Gründers. Die Markenkonstruktion weist eine die ödipale Falle auf: Wie eigene Identität gewinnen, wenn man nur das Erbe des Stammvaters lebt? Ein guter Markenberater könnte den Nachfolgern von Steve Jobs allerdings mit einem weiteren Satz aus der Stanford-Rede weiterhelfen: „Don’t be trapped by dogma — which is living with the results of other people’s thinking.“ Und dann auch: Bitte immer nach eigener, gut fundierter Intuition entscheiden und nicht der oberflächlichen Plebiszit-Marktforschung folgen. Denn schließlich wollen auch wir Markenberater zukünftig mit schönen Macs, iPhones und iPads arbeiten.
Über den Autor: Dirk Ziems ist Managing Partner beim Marktforschungsinstitut Concept M. Darüber hinaus hält er Lehraufträge unter anderem an der Hochschule für Wirtschaft Berlin, UMC Potsdam, International Film School Cologne und Hochschule für Design in Zürich.