In Schweden greift das Phänomen Flugscham um sich. Greta Thunberg ist nicht die einzige, die nicht mehr zu Konferenzen fliegen will. Immer mehr Schweden haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie den Flieger nehmen. Dies gilt besonders, wenn das Fliegen dem privaten Vergnügen dient. Die „Flygskam“ ist in aller Munde. Der soziale Druck ist groß. Studien belegen, dass viele Schweden sich schlicht nicht mehr trauen, zuzugeben, dass sie in den Urlaub fliegen. Posts in den sozialen Medien über Urlaubsflüge haben 2019 stark nachgelassen. Gleichzeitig erfreut sich etwa ein Instagram-Account großer Beliebtheit, der Prominente an den Pranger stellt, wenn sie für Fernreisen werben. 250 Mitarbeiter der Film-Branche unterstützen einen Aufruf in der größten schwedischen Tageszeitung „Dagens Nyheter“, wonach Produzenten Dreharbeiten im Ausland beschränken sollen.
Dieser Trend trifft die Flugbranche in Schweden schwer. Die Nachrichtenagentur Bloomberg erklärt die Flugscham „zu einer wachsenden Bedrohung für Fluglinien in Europa“. Dabei flogen die Schweden stets gerne. Es gibt es ein großes Angebot an Billigfliegern. Der Ausstoß klimaschädlicher Abgase bedingt durch Auslandsflüge ab Schweden stieg seit 1990 um 61 Prozent. Um acht Prozent sank seit Beginn dieses Jahres die Zahl der Passagiere auf schwedischen Inlandsflügen, meldet der Flughafenbetreiber Swedavia. Es sind jetzt so wenige wie seit der Finanzkrise 2008/2009 nicht mehr. Im vergangenen Winter verzeichnete die Schwedische Bahn SJ gleichzeitig einen Anstieg der Geschäftsreisen um 21 Prozent.
Klarna und Nordea verzichten auf Flüge
Um einen Imageschaden von sich abzuwenden, stellen sich viele Firmen um: Das Finanz-Start-up Klarna schickte beispielsweise seine 600 Stockholmer Mitarbeiter diesen Herbst medienwirksam mit Bahn und Bus zu einer Betriebsfeier nach Berlin. Auch Nordea, der größte Finanzkonzern Skandinaviens, streicht Kurzstreckenflüge. Airlines versuchen sich gleichzeitig grüner zu rechnen. Die skandinavische SAS setzt zum Beispiel auf die Entwicklung von Biokraftstoff. Gleichzeitig soll die Airline Kritikern zu Folge den eigenen CO₂-Ausstoß falsch berechnet und somit Kunden getäuscht haben. Während SAS jedem einzelnen Passagier für den Flug nach Bangkok und zurück einen CO₂-Ausstoß von 1,1 Tonnen zuschreibt, kommen unabhängige Rechenmodelle auf eine Zahl, die drei bis vier Mal so hoch ist. So oder so ein Imageschaden. Derzeit wird dieser medial lustvoll ausgeschlachtete.
Mit dem Flugscham geht ein Trend zu Staycation einher – dem Urlaub in der Heimat. Schwedische Tourismusverbände und Reisebüros haben in Reaktion auf das wachsende Interesse an nachhaltigem Reisen in diesem Jahr viel Geld in die Förderung des Inlandsreisens investiert. Die nationale Eisenbahngesellschaft SJ arbeitet daran, die Buchung internationaler Zugreisen zu vereinfachen und die Fahrpläne so anzupassen, dass grenzüberschreitende Reisen bequemer werden. Das Reisebüro Ving startete in diesem Jahr Pauschalreisen mit dem Zug. Auch lokale Bahnbetreiber, darunter Stockholms SL und Skånetrafiken im Süden, haben in die Förderung des Staycation-Konzepts investiert, indem sie günstige, flexible Tickets anbieten, mit denen die Einheimischen im Sommer ihre Region mit dem Zug erkunden können. Im Sommer sahen die heimischen Campingplätze einen regelrechten Ansturm von Schweden, die offenbar beschlossen hatten, im eigenen Land Urlaub zu machen statt ins Ausland zu reisen.
Rückläufige Zahlen und die Zementierung der aktuellen Trends zwingen auch Reiseveranstalter in Schweden auf Heimaturlaub in der Außendarstellung zu setzen. TUI wirbt prominent mit dem Staycation-Konzept und stellt das Marketing darauf um, Schweden an Hotels und Ziele im eigenen Land heranzuführen. Auf sämtlichen Werbekanälen wirbt der Reiseanbieter mit dem Staycation-Konzept. Der Anteil der Einnahmen von im eigenen Land urlaubenden Schweden war bis vor zwei Jahren bei der TUI vernachlässigbar. Ebenso waren keine Werbemittel darauf ausgerichtet. Heute fließt nahezu der gesamte Etat darein.