Das Team um Timo Marks hat sich nicht weniger als die Vermessung des Kunden zum Ziel gesetzt. Als Anbieter von 3D-Technologie ist das junge Unternehmen OneFID 2018 aus dem Zusammenschluss zweier anderer Start-ups, Die Schuhleister und Mifitto, entstanden. Zu den Kunden der Kölner gehören (Sport)Bekleidungs- und Schuhketten sowie Hersteller von Arbeitssicherheits- und Skischuhen. Die Endkunden bekommen eine One Fitting ID, vergleichbar mit einem persönlichen Fingerabdruck, die den Einkaufsprozess wesentlich vereinfacht. Das Unternehmen vereint biomechanisches und orthopädisches Know-how mit Retail- und IT-Fachkenntnissen.
Wer sich mit Timo Marks unterhält, stellt schnell fest, dass der Gründer eine Vision hat, die den Kunden in den Mittelpunkt stellt und nachhaltige Verbesserungen für die Branche anstrebt: „Es muss zur Normalität werden, dass Kunden mit dem 3D-Datensatz ihrer persönlichen Maße einkaufen und nicht mehr den Trial-&-Error-Prozess von heute durchlaufen“, sagt er. Durch den Einsatz der KI-basierenden Technologie würden gleich mehrere Probleme des Modehandels angegangen, die von der Corona-Krise noch verstärkt wurden: Dazu gehören die enormen Retouren-Quoten im Onlinehandel, aber auch die teure Warenlagerung für die Händler, die Rabattschlachten und sogar die Zerstörung von unverkaufter Ware: „Die Industrie hat durch Corona festgestellt, dass es nicht mehr so funktioniert, wie bislang: Dass also viele Monate lang im Voraus massenhaft Waren produziert werden. Die Branche sollte stattdessen viel näher am Endkunden fertigen“, fordert der Start-up-Unternehmer.
Die Multi-Channel-Lösung des Start-ups reicht vom stationären Scanner-Terminal für den Einzelhandel zur On-Demand-Fertigung über Apps für Verkaufspersonal und Endkunden, die sich damit vermessen können, bis zu Plug-Ins für Onlineshops. Durch die Technik wird auch Einzelfertigung möglich: Der Kunde ist dann Auslöser für die Produktion, wie beim Beispiel Arbeitsschutzschuhe: „Wir scannen Füße von Mitarbeitern, dann werden die Daten direkt in die Produktion gegeben und die Schuhe erst produziert, nachdem sie verkauft sind“, erklärt Marks. Zudem könnten große Modeproduzenten von der umfangreichen Datenbank des Start-ups profitieren. „Unsere Erkenntnisse sind ein großer Schatz. Wir liefern Daten zur Passung von Artikeln, mit denen die Hersteller näher an den Endkunden herankommen“, so der Gründer. Heute werde allzu oft zwei- oder dreimal im Jahr Ware in den Markt gedrückt und dann meistens über Rabatte verkauft. „Man könnte es eigentlich auch umdrehen und sagen, ich bringe erstmal nur eine geringere Stückzahl eines neuen Schuhs auf den Markt, weiß aber, die passen meinen Kunden.“
Kunden erhalten kompletten 3D-Datensatz
Egal ob im Handel oder in der Industrie, viele Unternehmen hätten selbst noch nicht den perfekten Weg gefunden, den Endkunden anzusprechen. „Das haben sie gemerkt, als der stationäre Handel durch den Lockdown von jetzt auf gleich schließen musste“, erinnert sich Marks. Seinen Kunden konnte er Hilfe anbieten: „Unsere Technologie ist darauf ausgelegt, den Endkunden multichannel mitzunehmen: Er wird stationär gescannt, kann sich später mit seinem kompletten 3D-Datensatz im Onlineshop anmelden und dort einkaufen.“
Dennoch seien dem Unternehmen während des Lockdowns auch Kunden im stationären Handel weggebrochen. „Wir haben mit Nachdruck versucht, neue Projekte und Kunden zu gewinnen, um das auszugleichen“, sagt Marks. Es sei immerhin gelungen, die Auftragslage so stabil zu halten, dass für keinen seiner 30 Beschäftigten Kurzarbeit anmelden musste. Dennoch sei Umsatz weggefallen, daher musste auch OneFID wie zahlreiche andere Unternehmen staatliche Soforthilfe für KMUs in Anspruch nehmen.
Nun will Marks einen neuen Anlauf nehmen. Um seine Vision Wirklichkeit werden zu lassen, muss OneFID zunächst mehr Partner finden. „Das Thema muss eine gewisse Omnipräsenz bekommen, sonst bringt es weder der Industrie noch dem Endkunden etwas“, sagt der Gründer. Er höre immer wieder von Kunden, dass sie die Technologie möglichst in allen Einkaufsprozessen nutzen wollten und die Industrie fragt ihn, wie viele Endkunden er denn schon habe. „Das ist die Henne-Ei-Problematik. Wir müssen beide Seiten mitnehmen.“
Geringere Lagerkapazitäten und kleinere Ladenflächen
Die Überzeugungsarbeit war ein Teil der Arbeit während der Corona-Krise: „Wir sind auf verschiedene Unternehmen zugegangen und haben versucht, ein Umdenken anzustoßen, die Supply Chain anders zu denken.“ Das ermögliche nicht nur geringere Lagerkapazitäten, sondern auch kleinere Ladenflächen. Die Idee dahinter: Der Kunde geht in den Shop, um sich Kleidungsstücke anzuschauen und zu befühlen. Dann lässt er sich scannen und bekommt das Produkt später nach Hause geschickt. Die umständliche Anprobe fällt komplett weg.
Eine ferne Zukunftsutopie? Keineswegs. Wie das Beispiel der „Virtual Subway Stores“ des US-Lebensmittelhändlers Tesco zeigt: Das Unternehmen habe den südkoreanischen Markt erobert, ganz ohne auch noch ein physisches Geschäft zu eröffnen, erläutert Marks. „Sie haben Regalbilder in die U-Bahn geklebt. Die Kunden konnten dort den QR-Code von Produkten abfotografieren und bekamen die Waren noch am selben Tag nach Hause geliefert.“ So etwas sei technologisch möglich und hätte in der Corona-Zeit zu geringeren Problemen geführt.
Einen Schwerpunkt zum Thema Start-ups in der Corona-Krise finden Sie in der Print-Ausgabe 09-2020 der absatzwirtschaft. Diese und weitere Ausgaben können Sie hier bestellen.