Alle Welt schielt in Sachen Unternehmensführung auf Tesla, The Body Shop und Patagonia. Aber wer wirklich etwas über Purpose und Stakeholder Value lernen will, sollte mal nach Emmerich, Stuttgart oder Gerolstein fahren.
Ein Beispiel: In der New York Times sorgte jüngst eine Anzeige des Business Roundtable für Aufsehen. 200 US-Wirtschaftsführer unterzeichneten darin eine Selbstverpflichtung zum Purpose ihrer Unternehmen. Sie erklärten den Paradigmenwechsel vom Shareholder Value zum Stakeholder Value. Tolle Sache! Nur das Rad haben sie damit nicht neu erfunden.
Denn das große Wort des Stakeholder Values ist im Grunde eine Makro-Variante der Überzeugung, dass jeder Verantwortung dafür trägt, die Welt im Kleinen wie im Großen lebenswerter zu gestalten. Für viele deutsche Mittelständler eine gelebte Selbstverständlichkeit.
Langfristiger Erfolg als Maxime
Beim Prinzip Stakeholder Value geht es um einen Mindshift von kurzfristigen Gewinnen zu langfristigem Erfolg. Um eine Auseinandersetzung damit, um welchen Preis Gewinne erwirtschaftet werden. Um eine ehrlichere, transparentere, eigenverantwortlichere Art zu wirtschaften. An die Stelle der reinen Gewinnorientierung für die Shareholder tritt verantwortungsvolles Handeln allen Interessensgruppen gegenüber – vom Produzenten in Asien, über die Mitarbeiterin am Stammsitz bis hin zu den Konsumenten.
Unternehmen wie die Carl Kühne KG oder die Hochland Kaffee Hunzelmann GmbH & Co. KG leben diese Art der Unternehmensführung bereits. Sie sind in Sachen Stakeholder Value einige von vielen Hidden Champions mit Vorbildcharakter.
Tue Gutes und rede darüber
Deutsche Unternehmen, auch viele Mittelständler, sind in Sachen Stakeholder Value viel weiter, als alle (oft vor allem sie selbst) glauben. Die Münchener Rück Stiftung, Fleurop oder Allplan arbeiten klimaneutral. Vaude, Hochland oder Lambertz setzen sich für faire und verantwortungsvolle Produktionsbedingungen ein. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist der größte nicht-staatliche Sportförderer.
Warum weiß das keiner?
Die US-Unternehmen sind laut, sie gehen das Thema Purpose selbstbewusst an und verkaufen sich gut. Deutsche Mittelständler hingegen sind leiser – ein klassischer Fall von „underpromise and overdeliver“. Sie haben mehr Respekt vor Shitstorms. Sie wollen am Ende nicht diejenigen sein, deren Umweltengagement als reines Greenwashing abgewertet wird.
Ein anderer Grund ist das fehlende Bewusstsein für die eigenen Errungenschaften. Weil man das schon immer so gemacht hat. Weil gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, enge Kooperation mit regionalen Partnern oder verantwortungsvolles Handeln gegenüber Mitarbeitern, Umwelt und Gesellschaft von den Stakeholdern längst als Commodity angesehen werden.
Eine dritte Ursache ist die tiefe regionale Verankerung, die den Mittelstand in manch anderer Hinsicht so stark macht. Zum einen, weil die Unternehmen viele ihrer regionalen Initiativen als national nicht relevant einstufen. Was kümmert es Berlin, wenn man im Gerolsteiner Umland hilft, die Wälder auf den Klimawandel vorzubereiten? Zum anderen fehlt es an internationalen Kooperationen. Es braucht eine machtvolle Vereinigung des Mittelstandes, um regionale Stärken in internationale Synergien zu überführen.
Die Zeit ist jetzt – das Momentum nutzen
In der Gesellschaft und bei Unternehmen steigt weltweit das Bewusstsein dafür, dass Wachstum und Ressourcen endlich sind. Um diese Welt lebenswert zu halten und Unternehmenserfolg langfristig zu sichern, darf es nicht weiter um reine Profitmaximierung gehen.
Das ist eine große Chance für deutsche Hidden Champions, mit ihren ohnehin bestehenden Geschäftspraktiken aus dem Schatten zu treten. Sie sollten sich darüber bewusst werden, dass es ihre Welle ist, die da gerade anrollt und von anderen bereits medienwirksam gesurft wird. Sie können sich mit ihren Initiativen international als Vorreiter in Sachen Purpose und Stakeholder Value positionieren. Dazu müssen sie den Mut haben, auf diese Welle aufzuspringen. Sie müssen darauf vertrauen, dass Gutes tun und darüber reden am Ende des Tages mehr bringt als schadet.