Ein Gastbeitrag von Rainer Volland, Managing Partner bei elaboratum New Commerce Consulting
Spricht man von künstlicher Intelligenz (KI) im Handel, werden Chatbots und Sprachassistenten oft in einem Atemzug genannt. Dabei handelt es sich um völlig verschiedene Systeme, allein schon durch die unterschiedlichen Eingabemethoden Text und Sprache. Wie intelligent diese Systeme sind, hängt allerdings weit weniger von den Eingabemethoden ab, als von der dahinterliegenden Logik, die noch oft an ihre Grenzen stößt.
Das „Ich verstehe Dich nicht“-Problem bei Spracheingabe resultiert weit weniger daraus, dass das System die Sprache nicht in Text umsetzen konnte. Die Erfolgsquote bei Google liegt bei über 90 Prozent. Und Amazons Alexa ist immerhin mit acht Lautsprechern ausgestattet. Vielmehr ist gemeint: „Ich habe den Sinn Deiner Worte nicht verstanden.“ Die Interpretation der Sprache und vor allem deren Verarbeitung bereiten den Systemen Probleme. „Alexa, mach mir ein Bier auf“, wird das System zwar verstehen, aber eben nicht umsetzen können.
Realistische Erwartungen an KI
Wie definiert man also Intelligenz? Selbst der symbolträchtige Sieg für die künstliche Intelligenz, als IBMs Supercomputer Watson 2011 seine menschlichen Gegenspieler in der US-Spielshow „Jeopardy“ schlug, zeigt: Es handelt sich lediglich um eine Inselbegabung. Hätte man den gleichen Computer in ein Auto gebaut, wäre er nicht so erfolgreich gewesen. Künstliche Intelligenz wird momentan meist in einer Domäne umgesetzt. Dann ist der Computer der beste Jeopardy-Spieler oder kann am besten Auto fahren, aber eben nicht beides. Das ist noch Zukunftsmusik.
Wirklich smart sind Sprachassistenten und Chatbots erst, wenn sie mit lernenden Systemen verknüpft sind. Die KI kann Verhaltensmuster der Nutzer sehr gut auswerten und lernt schnell, was man braucht: Eine vierköpfige Familie, die über Alexa mehrfach Toilettenpapier gekauft hat, kann zukünftig von Amazon erinnert werden, neues zu kaufen. Solche Funktionen sind nahe liegende und realistische Szenarien für die Zukunft.
Sie zeigen aber auch, dass Amazon dabei alle Vorteile auf seiner Seite hat und mit Alexa noch stärker als bisher in die Wertschöpfungskette eingreift. Der Kunde wird gleich zu Beginn der Customer Journey abgeholt und praktisch nicht wieder losgelassen. Amazon verändert die Customer Journey beim Einkauf damit fundamental.
Hoher Vermarktungsaufwand für Skills
Welche Ansatzpunkte gibt es für Händler außerhalb des Amazon-Kosmos? Eigene Skills könnten eine Option sein. Ein Skill für Alexa ist wie eine App für ein Smartphone. Es erweitert Alexa um bestimmte Fähigkeiten und Sprachkommandos. Ist also ein Skill für einen Händler eine echte Chance?
Bislang kann man mit Alexa nur bei Amazon einkaufen. Alle anderen bleiben außen vor, sogar Google. Und selbst wenn Händler einen eigenen Shop in Alexa einbinden könnten, wären Einkaufsszenarien wie „Alexa, kaufe bei Edeka ein Bund Orangen“ nicht wirklich realistisch. Denn dem Kunden ist egal, wo er bestellt, solange er das bekommt, was er will. Alles andere regelt Amazon.
Allenfalls wäre regionales Alexa-Marketing, wie „Alexa, wo ist die nächste Edeka-Filiale?“ eine Option. Die Warenhauskette Real testet derzeit die Vermarktung ihrer Angebote der Woche als Alexa-Skill. Das Problem: Man muss es schon genauso formulieren: „Alexa, was ist das Angebot der Woche bei Real?“ Um überhaupt darüber Kunden in die Läden zu locken, muss dieser Skill umfangreich vermarktet werden, beispielsweise über Plakate in Real-Märkten. Schließlich muss der Kunde zunächst erfahren, dass es diese Funktion überhaupt gibt. Hinzu kommt: Skills sind sehr erklärungsbedürftig. Den Skill Store kennen bislang nur die wenigsten. Der Vermarktungsaufwand ist also erheblich.
Die verfügbaren Skills umfassen bislang vor allem einfache Kommandos. „Wie wird das Wetter“, „Setze Salz auf die Einkaufsliste“ oder „Mach das Radio an“ bieten sich für Sprachassistenten an. Über Sprache kommuniziert man über inhaltlich einfache Dinge. Chatbots dagegen können komplexere Situationen abbilden, weil der Nutzer die Möglichkeit hat, Antworten zu lesen und sich dabei Zeit zu nehmen.
Amazon beherrscht die Customer Journey
Amazon hat das erkannt und mit Echo Show reagiert. In Deutschland hat gerade die Auslieferung des Systems als Kombination aus Sprachassistent und Touchscreen Bildschirm begonnen. Denn Sprache alleine reicht nicht aus. Die Entwicklung geht in Richtung Kombination aus Touch-Display und Spracheingabe: „Alexa, ich brauche Olivenöl.“ Dann bekomme ich fünf zur Auswahl angezeigt und kann eins auswählen.
Auch wenn Händler nur mit Aufwand an dieser neuen Customer Journey partizipieren können, sollten sie das Thema Sprachassistenten keinesfalls ignorieren, sondern genau analysieren, wie sie mit diesem neuen Medium umgehen könnten: Ist es sinnvoll einen Alexa Skill zu entwickeln? Oder einen Chatbot? Ein Händler mit viel Traffic auf seiner Website könnte Chatbots einsetzen und beispielsweise als Produktfinder anbieten. Der Outdoor-Ausrüster North Face nutzt IBMs Watson als Onlineassistenten, der Kunden helfen soll, die richtige Ausrüstung für eine bestimmte Outdoor-Aktivität zusammenzustellen. Kunden können über eine App mit dem Assistenten kommunizieren und erhalten von ihm Vorschläge, welche Bekleidung und Ausrüstung für sein Vorhaben sinnvoll sind – auch unter Berücksichtigung von externen Parametern wie Wetter, Jahreszeit etc.
Momentan sind Chatbots die naheliegendere Technologie für Händler, um mit Kunden in Kontakt zu treten. Sie hat den Vorteil, dass man sie sowohl auf der Website als auch im Messenger unterbringen kann. In Kombination mit Sprachsteuerung könnte sie maximalen Komfort für den Kunden bieten. Am Beispiel North Face: Der Kunde formuliert Anforderungen und bekommt via Display Produkte zur Auswahl gezeigt, die er gleich bestellen kann.
In Zukunft wird eine spannende Frage, ob Amazon zulassen wird, dass North Face seinen eigenen Shop in die Alexa-Umgebung einbringt. Inwieweit wird Alexa eine offene Plattform, an der sich auch andere beteiligen können? Oder bleibt sie ein reiner Amazon-Verkaufskanal? Schließlich geht es auch darum, möglichst viel über den Kunden zu lernen.
Über den Autor: Rainer Volland ist seit Oktober 2015 als Managing Partner im Team von elaboratum. Seine Schwerpunkte sind die Bereiche Innovation, digitale Transformation und Lean Product Development. Als E-Commerce- und Telekommunikations-Profi mit fast 20 Jahren Erfahrung in Projektmanagement, Teamführung und Organisationsentwicklung vereint er besondere Expertise in den Bereichen Produktentwicklung, Agilität und Digitalisierung. Zahlreiche Innovations-Projekte führte er mittels der Lean-Startup-Methodik im Konzernumfeld zum Erfolg.