In der groß angelegten Studie, deren ersten Teil „Das bedrohte Paradies – Deutschland zwischen Plätscher-Party und brodelnder Unruhe“ Rheingold zuvor veröffentlicht hatte, wurden in 52 Tiefeninterviews deutsche Wahlberechtigte befragt. Zusätzlich wurde in Kooperation mit der Kölner Agentur Infospeed eine Social-Media-Analyse durchgeführt. Diese Ergebnisse wurden anschließend noch einmal mit einer Online-Befragung von mehr als 1.000 Personen quantitativ unterfüttert.
Spott stößt auf Unverständnis
In den „Anti-Merkel-Motiven“ der aktuellen SPD-Kampagne („Merkels Kompetenzteam“; „Beste Regierung seit der Einheit“ und „Privatsphäre: Neuland für Merkel?“) werden ungewollt gerade die Qualitäten der Kanzlerin in den Blick gerückt, die die Wähler an Angela Merkel schätzen. Die SPD macht sich damit in den Augen vieler Bürger zum Nestbeschmutzer und verspottet die mütterliche, fürsorgende Kanzlerin. Und genau das geht in den Augen vieler Wähler „wirklich gar nicht“.
Wenn – wie in dem Motiv „Beste Regierung seit der Einheit“ – Philipp Rösler (FDP) neben der Kanzlerin auf der Regierungsbank sitzt, dann können viele Wähler ihre augenscheinliche Genervtheit regelrecht nachvollziehen. Denn Rösler wird als quengelndes Kind in innerfamiliärer Opposition erlebt. Die Kanzlerin schließt zwar ihre Augen und ballt innerlich ihre Faust, lässt ihren Junior aber nicht fallen. Sie sitzt ihre Genervtheit geduldig aus – und zeigt damit ein vorbildliches Mutterverhalten, das vom Betrachter eher beneidet und bewundert wird.
Greift die SPD – wie in dem Motiv „Privatsphäre“ – die Kanzlerin direkt persönlich an, läuft sie Gefahr, eine Art Mutter-Beschmutzung zu betreiben, die von vielen Wählern nicht verziehen wird. Der symbolische Vatermord ist zwar in der Politik gang und gäbe. Der symbolische Muttermord ist jedoch ein politisches Tabu. Und die mit dem Angriff auf die Mutter verbundene Aggression wird zum Bumerang. Dieser Effekt tritt ein, wenn die Kanzlerin dabei abgelichtet wird, wie sie in ihrer Handtasche und damit quasi in ihren „privaten Innereien“ wühlt. Das erzeugt auch bei vielen SPD-Wählern ein unbehagliches Gefühl und wird als „Ferkelei“ und nicht als Merkel-Mäkelei erlebt.
Menschen wirken wie eingefroren
Mehr Resignation als Mobilisation erzeugt auch die Wir-Kampagne, in der die SPD selber Position bezieht: „Für ein Alter ohne Armut“, „Für mehr Kita-Plätze“, „Für bezahlbare Mieten“ und „Für gesetzlichen Mindestlohn“. Hier machen die SPD-Wähler zwar inhaltlich ihre Kreuzchen, aber die Kampagne erzeugt statt Begeisterung eher eine gedrückte Grundstimmung. Das liegt vor allem daran, dass ein Wir-Gefühl eine gemeinsame Ausrichtung und eine begeisternde Bewegtheit braucht. Genau das wird aber in der SPD und auf den Plakaten vermisst.
Die abgebildeten Menschen wirken wie stillgelegt oder eingefroren. Man hat nicht das Gefühl, dass sie mit Begeisterung und Überzeugung für ihre Positionen einstehen, sondern eher, dass sie einem „Wachsfigurenkabinett“ entstammen. Die Reinigungskräfte im Blaumann, die auf den SPD-Plakaten für den Mindestlohn „einstehen“, wirken nur herausgeputzt, nicht authentisch. Sie vermitteln weder Spaß am Putzen oder Freude daran, politisch auf den Putz zu hauen. Angriffs- oder Aufbruchsstimmung sind hier wie weggewischt.
Das Motiv der „scheinbar alleinerziehenden Mutter“ mit „farbigem Kind“ vermittelt den Wählern ein Ausmaß von Verzweiflung und Unbehaustheit, das auch durch einen Kitaplatz nicht aufgehoben werden kann. Und die beiden Senioren, die für ein Leben ohne Altersarmut eintreten, stehen steif und statisch vor einer Hauswand, als wüssten sie mit ihrem gereiften Leben herzlich wenig anzufangen. Einzig das Miet-Motiv mit der Familie vermittelt den Wählern einen Anflug von Wir-Gefühl und motivierender Bewegtheit.
Ein Sinnbild für die Kampagnen-Wirkung ist das massige rosarote Quadrat, das wie ein unüberwindlicher Klotz „links von der (Bild-)Mitte“ thront. Es scheint jede Bewegung zu erdrücken. Und in diesem Klotz prangt in großen ausgestanzten Lettern das Wort „Wir“, durch das man durchsehen kann. Es wirkt ungewollt inhaltsleer.
Das Gegenbild: Friede, Freude, Eierkuchen
Die CDU-Plakate werden zwar von den Befragten ebenfalls als weitgehend inhaltsleer erlebt. Sie erzeugen aber eine fröhlich-freundliche Bewegtheit, die niemandem etwas abverlangt. Ihre Botschaft ist letztlich „Friede, Freude, Eierkuchen“. Inszeniert wird ein Leben, das vor allem um die privaten kleinen Alltagsthemen kreist und die globalen Minenfelder und ungelösten Zukunftsfarben einfach ausblendet. Die Kampagne schafft daher ein seichtes Wohlfühlklima, das zur derzeitigen deutschen Stimmung im Land prima zu passen scheint.
Auch der erste Teil der Studie „Das bedrohte Paradies – Deutschland zwischen Plätscher-Party und brodelnder Unruhe“ kann bei Rheingold kostenlos angefordert werden. (rheingold institut / asc)