Sparen ist schön, verzichten will keine*r 

Warum ist gebrauchte Unterhaltungselektronik nicht längst ein Massenmarkt? Denn die Vorteile liegen auf der Hand. Tim Seewöster, Geschäftsführer des Refurbishers Asgoodasnew in Frankfurt (Oder), nennt im Green Wednesday die Antworten.
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Gebrauchte Konsumelektronik gehört zu einer zirkulären Wirtschaft dazu. (© Asgoodasnew)

Herr Seewöster, Refurbishing spielt in Deutschland bislang eine untergeordnete Rolle. Sie aber glauben, dass der Markt für gebrauchte Produkte den für Neuwaren auf lange Sicht überholen wird. Weshalb? 

Weil es Vorbilder wie den Autohandel gibt. Jeder zweite Deutsche hat schon einmal einen Gebrauchtwagen gekauft. Das Angebot ist etabliert und vielfältig; niemand würde auf die Idee kommen, dass es nur Neuwagen geben soll. In diese Richtung werden sich auch andere Märkte entwickeln, nicht zuletzt der für Unterhaltungselektronik. Nach repräsentativen Umfragen kann sich schon jeder Fünfte den Kauf eines gebrauchten Smartphones vorstellen. Bei der Generation Z sind es sogar 40 Prozent.  

Ein Gebrauchtwagen ist allerdings für viele Konsumierende alternativlos, während sich die meisten ein neues Smartphone durchaus leisten können.  

Das ist richtig. Und es ist auch richtig, dass es Menschen gibt, die unbedingt ein fabrikneues Smartphone ihr Eigen nennen möchten. Aber es gibt ja auch die anderen, Familien mit Kindern zum Beispiel, die durchaus mit der zweiten oder dritten Generation zufrieden sind. Oder Studierenden, die früher preiswerte Neugeräte gekauft haben und jetzt höherwertige gebrauchte als Alternative entdecken.  

Geht es denen ums Sparen oder um Nachhaltigkeit?  

Es wäre vermessen zu sagen, dass die meisten bei ihrem Kauf an Nachhaltigkeit denken. Klar, es gibt Leute, für die CO2-Emissionen, der Verbrauch Seltener Erden und die verantwortungsbewusste Beschaffung solcher Geräte wichtig sind. Bei unseren Kund*innen würde ich diesen Anteil auf zehn bis 15 Prozent schätzen. Der Großteil ist einfach sehr preisbewusst.  

Aber Nachhaltigkeit liegt doch im Trend. Vielleicht müssten Sie das grüne Asset stärker herausstellen? 

Stimmt schon, das Thema trifft den Zeitgeist. Nur – wenn man diese Debatte zu stark führt, ist das auch riskant. Alle haben mittlerweile Angst vor Greenwashing-Vorwürfen, auch wir. Klar, es ist ökologischer, ein Gerät der zweiten oder dritten Generation zu kaufen als ein fabrikneues Produkt. Aber ist es nachhaltig, wenn jemand alle zwei Jahre sein gebrauchtes Smartphone wechselt? Müsste er, damit es nachhaltiger Konsum ist, das Gerät nicht viel länger bei sich tragen und auf diese Weise den Lebenszyklus strecken?  

Refurbisher Asgoodasnew / Tim Seewöster
Tim Seewöster, Geschäftsführer des Refurbishers Asgoodasnew

Und schon führen wir eine Verzichtsdebatte.  

Eine Verzichtsdebatte ist der falsche Weg, damit gewinne ich keine neuen Kund*innen. Das überzeugende Argument ist der Mehrwert. Der Preis ist ein Punkt, das gute Gewissen auch – manche schmücken sich damit, einem Gerät ein zweites oder drittes Leben zu schenken. Ein weiterer Pluspunkt ist die Verfügbarkeit. Es gab früher immer wieder Marktlagen, bei denen bestimmte Geräte im klassischen Handel nicht erhältlich waren. Bei uns aber schon, weil wir von Privatleuten kaufen.  

Wogegen ich mich sperre: Dass politisch ein Weg vorgegeben wird, der für Einzelne womöglich naheliegend ist, weil sie schon seit Jahren so leben. Aber für die, die das nicht machen, ist es ein weiter Sprung. Ich spreche deshalb lieber von verantwortungsbewusstem Konsum. Denn es geht ja nicht nur darum, dass Refurbishing wertvolle Ressourcen spart, sondern auch darum, dass es lokal fair bezahlte Arbeitsplätze schafft. Bei uns bedeutet das, dass hundert Leute in Frankfurt/Oder einen sicheren Job haben.  

Kann der Verzicht auf Neugeräte nicht schick werden, so wie der Verzicht auf Fleisch?  

Wir haben kürzlich einen Refurbishment-Atlas erstellen lassen: Die meisten überarbeiteten Smartphones werden ausgerechnet im wohlhabenden München verkauft. München-Gärtnerplatz, Berlin-Mitte, das sind Hotspots, von denen aus Trends langsam durchsickern. Es muss einfach normal werden, ein gebrauchtes Gerät zu besitzen, so wie es heute normal ist, dass sich Leute vegan oder vegetarisch ernähren. Ob das gelingt, ist auch eine Frage der Kommunikation. 

Es gibt aber auch emotionale Hürden. Schon Kinder rollen die Augen, wenn sie Kleidung älterer Geschwister auftragen sollen… 

Unsere Geräte sind wie neu und sehen aus wie neu. Wir müssen dahin kommen, dass sie einen entsprechenden Status haben. Was wir austauschen, sind Verschleißteile wie Batterie oder Display. Das ist, wie wenn Sie beim Auto die Reifen wechseln oder die Wasserpumpe. Leider machen es uns die Hersteller schwer, um den Nimbus der Neugeräte zu erhalten. Vom iPhone 12 aufwärts beispielsweise sind Verschleißteile mit einem Chip versehen. Wenn Sie die tauschen und das iPhone mit einem nicht originalen Bauteil starten, erscheint eine entsprechende Nachricht auf dem Display. Viele Kunden empfinden das als Makel.  

Sie vermissen mehr Unterstützung der Hersteller*innen? 

In meinen Augen führt kein Weg daran vorbei, dass es in absehbarer Zeit so läuft wie auf dem Gebrauchtwagenmarkt, wo der Austausch von Zubehör komplett normal ist. Die Vorstellung, es gäbe eine neue Windschutzscheibe ausschließlich vom Hersteller und nicht auch in freien Werkstätten, ist grotesk. 

Wer überzeugt Apple und Samsung davon? 

Dazu braucht es eine entsprechende Regulatorik. Wir fangen an, uns europäisch zu organisieren. Asgoodasnew ist Mitglied der EUREFAS (European Refurbisment Association, Anmk. D. Red.), die sich für das Recht auf Reparatur einsetzt und für bessere Bedingungen bei der Bereitstellung von Ersatzteilen. Aber auch wir Refurbisher müssen unsere Hausaufgaben machen und besser kommunizieren, dass wir mindestens die gleiche Qualität und den gleichen Service liefern wie die Hersteller*innen von Neugeräten. Klasse finde ich zum Beispiel, was Autohero macht, ein Anbieter von Gebrauchtwagen: Der liefert seine Fahrzeuge in einem gläsernen Truck und demonstriert damit Transparenz und Qualität.  

Eine gute Woche noch, liebe Leser*innen, und behalten Sie die Zukunft im Blick! 

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.