Die Atmosphäre erinnert an die großen Produktpräsentationen eines Technologiekonzerns. Auf der Bühne in Berlin leuchtet das Thermomix-Grün, während auf riesigen Bildschirmen das neue Modell TM7 langsam ins Bild fährt. Hochauflösende Nahaufnahmen zeigen das neue Display, die überarbeitete Steuerung, die verbesserte Technik. Dann setzt die Musik ein, und ein aufwendig produzierter Werbefilm hebt das Gerät auf eine neue Stufe – als sei es nicht einfach eine Küchenmaschine, sondern eine Innovation, die das Kochen revolutionieren wird.
So inszenierte Vorwerk am vergangenen Freitag die neueste Generation des Thermomix. Die Strategie erinnert mehr an eine Apple-Keynote als an eine herkömmliche Produkteinführung. Es geht nicht nur um das Produkt selbst, sondern um Emotionen, Community und Exklusivität. Noch während der Präsentation beginnt die Pre-Order-Phase. Tausende Fans strömen auf die Website, die ersten Bestellungen gehen ein, und in den sozialen Medien überschlagen sich die Diskussionen über die neuen Funktionen des TM7.
Verantwortlich für den globalen Launch war die Agentur Ogilvy Germany, die den Kommunikationsetat nach einem erfolgreichen Pitch gewonnen hatte. Der von Ogilvy produzierte Reveal-Film, fast ausschließlich mit CGI-Technologie umgesetzt, wurde zum Herzstück der Präsentation. Er sollte nicht nur die technischen Neuerungen des TM7 hervorheben, sondern auch die emotionale Bindung der Nutzenden zum Thermomix stärken.
Der Launch ist das nächste Kapitel einer Erfolgsgeschichte, die längst nicht mehr nur in deutschen Küchen geschrieben wird. Thermomix ist nicht einfach ein Gerät. Es ist eine Marke mit Kultstatus und bei vielen Menschen bekannter als Vorwerk, dem Unternehmen, das als Mutterkonzern hinter der Küchenmaschine steht.
Vom Direktvertrieb zur digitalen Marktführerschaft
Thermomix hat sich über Jahrzehnte hinweg als Premiumprodukt im Haushaltssegment etabliert. Der Vertrieb erfolgte lange über ein bewährtes Modell: den Direktverkauf in Form von Vorführungen, meist im privaten Rahmen. Thermomix-Beraterinnen kamen ins Wohnzimmer, demonstrierten das Gerät an einem Abend voller Kochvorführungen und überzeugten die Gäste davon, das Produkt zu kaufen.
Es war eine Strategie, die an das Verkaufskonzept von Tupperware erinnerte – und viele Jahre lang funktionierte. Doch während Tupperware über Jahrzehnte an diesem Prinzip festhielt, erkannte Vorwerk, dass sich das Kundenverhalten veränderte. Mittlerweile können Kundinnen und Kunden den Thermomix auch online vorbestellen. Doch schon davor wurden digitale Plattformen zu neuen Verkaufsräumen, soziale Medien zu Empfehlungsforen. Die persönliche Interaktion verlegte sich in digitale Gruppen, Bewertungen und Video-Demonstrationen.
Die Zahlen zeigen den Erfolg dieser Strategie: Im Jahr 2023 erwirtschaftete Vorwerk mit der Thermomix-Sparte einen Umsatz von 1,74 Milliarden Euro. Das sind mehr als 54 Prozent des gesamten Vorwerk-Umsatzes von 3,21 Milliarden Euro – ein Beweis für die zentrale Bedeutung der Marke innerhalb des Unternehmens. Der Vorgänger TM6 hat sich fast acht Millionen Mal verkauft. Das sind Ergebnisse einer Entwicklung, die auch auf die starke digitale Präsenz von Thermomix zurückzuführen ist, die sowohl organisch gewachsen ist als auch gezielt gesteuert wurde.
In den frühen 2000ern entstanden die ersten Online-Foren und Blogs, in denen sich Nutzende über Rezepte, Zubehör und Anwendungsfälle austauschten. Diese Plattformen wurden nicht von Vorwerk initiiert, sondern entwickelten sich aus der Begeisterung der Kundinnen und Kunden heraus.
Heute existieren auf Facebook mehrere große Gruppen, in denen sich Tausende von Mitgliedern täglich austauschen. Die inoffizielle Thermomix-Facebook-Gruppe zählt mehr als 542.000 Mitglieder im DACH-Raum. Der Austausch findet auch in anderen Facebook-Gruppen statt; die größten deutschsprachigen Gruppen (Plätze 2 bis 7) haben zusammen knapp 650.000 Mitglieder. Dort beantworten sie sich gegenseitig Fragen zur Nutzung des Geräts, empfehlen Zubehör und sorgen so für eine organische Reichweitensteigerung. Der Thermomix ist damit längst mehr als ein Küchengerät. Es ist daher kein Wunder, dass die Vorstellung des neuen Thermomix TM7 auf einen Valentinstag fiel.
Vorwerk hat diesen Trend erkannt und gezielt gefördert. Statt die Gruppen zu steuern, setzte das Unternehmen darauf, das Nutzererlebnis durch digitale Services zu verbessern. Die Einführung der Plattform Cookidoo war ein entscheidender Schritt, um eine zentrale Anlaufstelle für Thermomix-Besitzer zu schaffen. Die Zahlen sprechen für sich: 2023 wurden weltweit fast 370 Millionen Rezepte über Cookidoo im Guided-Cooking-Modus zubereitet.
Die strategische Moderation offizieller Gruppen, die Zusammenarbeit mit Influencern und die Produktion von Kochvideos auf Instagram und YouTube verstärkten die digitale Markenbindung weiter. Heute profitiert Vorwerk von einer engagierten Community, die nicht nur das Produkt nutzt, sondern es aktiv bewirbt – oft ohne, dass das Unternehmen selbst eingreifen muss.
Tupperware: Das warnende Beispiel einer verpassten Digitalisierung
Während Thermomix heute als Musterbeispiel für eine gelungene digitale Transformation gilt, zeigt das Beispiel Tupperware, was passiert, wenn Unternehmen diesen Wandel ignorieren. Das Unternehmen, das über Jahrzehnte als Synonym für Frischhalteboxen galt, hielt zu lange an seinem klassischen Direktvertriebsmodell fest, während sich der Markt längst verändert hatte. Das Unternehmen verpasste den Sprung in den E-Commerce und nutzte soziale Medien nicht strategisch genug für den Vertrieb.
Die Folgen waren dramatisch: Im September 2024 musste Tupperware Insolvenz anmelden. Die Schulden beliefen sich auf über 700 Millionen US-Dollar, der Umsatz lag 2023 noch bei 1,1 Milliarden US-Dollar, reichte aber nicht aus, um das Unternehmen zu stabilisieren.
Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass Social Commerce kein kurzfristiger Trend ist. Laut Prognosen soll der Markt bis 2029 auf 1,1 Billionen US-Dollar anwachsen – mit einer Wachstumsrate von 72,16 Prozent. Kunden wollen nicht mehr nur in Onlineshops stöbern, sondern direkt dort kaufen, wo sie sich aufhalten: in sozialen Netzwerken.
Der Erfolg von Thermomix zeigt, dass Social Commerce nicht nur für Mode- und Beauty-Marken funktioniert, sondern auch für Produkte, die traditionell über Direktvertrieb verkauft wurden. Entscheidend ist, dass Unternehmen ihre Kundinnen und Kunden dort abholen, wo sie sich heute aufhalten – in digitalen Communitys, sozialen Netzwerken und Plattformen, die mehr sind als reine Verkaufsstätten.
Laut Vorwerk wurde bereits 2008 alle 100 Sekunden auf der Welt ein Thermomix verkauft – das dürfte heute noch schneller gehen. Ob Vorwerk seinen Powerseller zukünftig vermehrt in Livestreams auf Instagram, TikTok oder Twitch vertreiben wird, bleibt abzuwarten.