So will TikTok zur Top-Adresse für Shopping-Kampagnen werden

Wer über Social Media Produkte verkaufen will, muss an vielen Schrauben drehen. Dabei verfolgen Plattformen unterschiedliche Ansätze. Vier von ihnen stellen wir in unserer Serie zu Shopping-Features vor. Folge 2: TikTok.
TikTok entwickelt sich immer stärker zum Booster für den E-Commerce. Die gesammelten Produkttipps der User unter #TikTokmademebuyit verzeichnen weltweit fast 73 Milliarden Aufrufe. (© TikTok)

Will TikTok jetzt der Modeplattform Shein Konkurrenz machen? Im Juni wurde bekannt, dass die Tochter des chinesischen Bytedance-Konzerns in Großbritannien ein ambitioniertes Testprojekt namens „Trendy Beat“ gestartet hat. Produkte, die starke virale Aufmerksamkeit bekommen, kann man dabei direkt über die App kaufen – zum Beispiel Kleidung in bestimmten Farben und Formen. Der Clou: Verkauft und versendet werden die Artikel von einer anderen Bytedance-Tochtergesellschaft, als Produzenten treten diverse Lieferanten auf. TikTok könnnte mit dem Konzept, wenn auch indirekt, selbst zum Hersteller werden und sein großes Wissen über weltweite Shopping-Trends versilbern – genau wie der chinesische Hersteller Shein mit seiner „Ultra-Fast-Fashion“. 

Ob sich „Trendy Beat“ als Treffer erweist, bleibt abzuwarten – Bytedance hat im E-Commerce schon viel probiert und auch wieder fallengelassen. So wurden unter anderem Liveshopping-Pläne für TikTok in Europa 2022 wieder zurückgefahren.

Werbeformate für den TikTok-Shop in den USA: Liveshopping, In-Feed Video Ads und Produkt-Showcases auf den Profilseiten der Anbieter*innen (v.l.). ©TikTok

Klar ist aber: Bytedance versucht mit Macht, TikTok nicht nur als Social-, sondern auch als Shopping-Plattform zu etablieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Marktplatz TikTok-Shop, der mittlerweile in sechs asiatischen Ländern (Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam) sowie in Großbritannien und den USA zur Verfügung steht. In China selbst betreibt das TikTok-Pendant Douyin sehr erfolgreich ein ähnliches Angebot. Nutzerinnen und Nutzer können nun auf TikTok einkaufen, ohne die App noch verlassen zu müssen. Den Händlern stehen zahlreiche Werbeformate zur Verfügung. TikTok bietet unter dem Titel „Fullfilled by TikTok“ auch an, Lagerung und Versand der Produkte zu übernehmen. 

TikTok baut Shopping-Funktionen konsequent aus

Wann und ob TikTok-Shop auch nach Deutschland kommt, steht noch nicht fest. Aber auch unabhängig davon baut TikTok seine Shopping-Funktionen konsequent aus. „Zu den Branchen, die TikTok als Abverkaufskanal nutzen, gehören unter anderem FMCG, Fashion und Consumer Electronics“, berichtet Thomas Wlazik, General Manager DACH bei TikTok. Werbungtreibende können In-Feed-Videoanzeigen buchen, die direkt auf die eigene Website oder ihren Shopify-Shop verlinken. Händler, die mit Shopify arbeiten, können ihre TikTok-Kampagnen direkt aus der Shopify-Admin heraus steuern und verwalten.

Für die Shopping-Kampagnen lassen sich auch Creator*innen einbinden, die sich dafür registrieren lassen. In deren Videos sind dann die beworbenen Produkte markiert und lassen sich anklicken. Die Creator*innen können sich über Affiliate-Programme auch an den Umsätzen beteiligen lassen.  

Shopping Ads in Beta-Phase

Den nächsten Schritt der E-Commerce-Offensive stellen spezielle Shopping-Anzeigen dar. Sie sollen vor allem genutzt werden, um aus umfangreichen Produktportfolios den Nutzerinnen und Nutzern genau die richtigen Artikel zu zeigen. „Shopping Ads erleichtern es, Marken ihren kompletten Produktkatalog auf eine einfache und skalierbare Art und Weise auf TikTok hochzuladen“, erklärt Wlazik. „Sie werden dem Abverkaufsziel gemäß ausgesteuert und optimiert, sodass Werbungtreibende die bestehende Nachfrage der Konsument*innen in Verkäufe umwandeln können.“ Noch befindet sich das Format in der Beta-Phase. „Derzeit arbeiten wir mit Hochdruck daran, diese Werbelösung all unseren Werbepartner*innen zugänglich zu machen“, verspricht Wlazik.  

Kampagne mit Video Shopping Ads von Kapten & Son: Der ROAS wurde deutlich gesteigert. ©TikTok

Zu den Shopping-Anzeigen zählen Video Shopping Ads, Catalog Listing Ads und Live-Shopping Ads, die im „Für Dich“-Feed eingeblendet werden. In Deutschland sind in der Beta-Phase bislang die Video Shopping Ads verfügbar. Damit sollen Werbungtreibende sowohl über Retargeting Adressaten erreichen, die sich bereits für bestimmte Produkte interessiert haben, als auch neue Zielgruppen ansprechen. Automatisierungsfunktionen sollen dafür sorgen, dass den Usern in jeder Phase der Customer Journey die richtigen Anzeigen gezeigt werden. Entscheidend für einen effizienten Einsatz des Formats ist ein gut gepflegter Produktkatalog. TikTok arbeitet mit verschiedenen Drittanbietern aus dem Bereich Katalogintegration zusammen, um die Werbungtreibenden bei diesem Thema zu unterstützen.  

Zu den ersten Kunden, die Video Shopping Ads eingesetzt haben, gehört der Kölner Accessoire-Anbieter Kapten & Son. Er erstellte, versüßt mit einem Preisnachlass von bis zu 50 Prozent, ein Produktset seiner meistverkauften Rucksäcke, die dann als Produktkarten über die Videoanzeigen gelegt wurden. Das Ergebnis laut TikTok: Die Cost-per-Complete-Payment sanken um 70 Prozent, die Cost-per-Click um 64 Prozent. Dafür stieg der Return on Adspend (ROAS) um 10 Prozent und die Click-through-Rate um 60 Prozent. 
 

Creator präsentieren und testen Produkte

Natürlich ist bezahlte Werbung nur eine Möglichkeit, TikTok für den Produktverkauf einzuspannen. Wer geschickt ist, schafft es auch auf viralem Weg, Trendprodukte zu platzieren. Viele Creator*innen präsentieren gern Produkte oder führen Tests durch. Längst geht es nicht nur um Mode, Games oder Musik – sogar die Buchbranche bekommt mittlerweile wichtige Impulse: Im Oktober wurden im Rahmen der Frankfurter Buchmesse sogar erstmals die TikTok Book Awards verliehen.  

Die potenzielle Reichweite der Plattform ist groß: Laut ARD/ZDF-Onlinestudie nutzten bereits 2022 44 Prozent der 14- bis 29-Jährigen TikTok mindestens einmal wöchentlich. Bei den 30- bis 49-Jährigen waren es immerhin 15 Prozent. Der Popularität schadet es offenbar kaum, dass TikTok immer wieder wegen Datenschutzverstößen in der Kritik steht – erst im September hat die irische Datenschutzbehörde eine Strafe von 345 Millionen Euro wegen Verstößen gegen EU-Gesetze verhängt.  

Wie stark TikTok zu Käufen inspiriert, zeigt der bekannteste Hashtag auf der Plattform: Unter #TikTokmademebuyit können Nutzerinnen und Nutzer Produkte vorstellen, die sie inspiriert von anderen Videos gekauft haben. Bislang verzeichnen die unter dem Hashtag gesammelten Videos weltweit fast 73 Milliarden Aufrufe.  

(kj, Jahrgang 1964), ewiger Soul- und Paul-Weller-Fan, hat schon für Tageszeitungen und Stadtmagazine gearbeitet, Bücher über Jugendkultur und das Frankfurter Bahnhofsviertel geschrieben und eine eigene PR-Agentur betrieben. 1999 zog es ihn aus dem Ruhrgebiet nach Frankfurt, wo er seitdem über Marketing-, Medien- und Internetthemen schreibt, zunächst als Ressortleiter bei „Horizont“, seit 2008 als freier Journalist und Autor. In der Woche meist online, am Wochenende im Schrebergarten.