Von Jonas Karpa
Programme wie Zoom, Google Meet oder Microsoft Teams beherrschen unseren Alltag im Büro, und wir müssen uns in der neuen digitalen Wirklichkeit zurechtfinden – auch wenn jemand vielleicht nicht so technikaffin ist. Das gilt neben internen Meetings auch für Kundenveranstaltungen und andere Events.
Noch immer hält sich dabei der Irrglaube, dass eine Veranstaltung, sobald man sie vom Präsenz-Event ins Digitale verlegt, automatisch barrierefrei wird. Klar, in den eigenen vier Wänden muss sich ein*e Rollstuhlfahrer*in keine Gedanken über einen funktionierenden Fahrstuhl, Rampen oder eine rollstuhlgerechte Toilette machen. Dafür hat er oder sie im besten Fall schon selbst gesorgt. Auch die Anreise zur Veranstaltung, womöglich mit dem nicht barrierefreien ÖPNV, können wir uns sparen. Barrierefreiheit geht aber weit über Rollstuhlgerechtigkeit, also Stufenlosigkeit, hinaus. Was ist mit den Barrieren für Blinde, Gehörlose oder Menschen mit Lernschwierigkeiten? Für diese Gruppen gilt es genauso, Events zugänglicher zu machen.
Strengere Regeln in den USA
Ein Vorteil von digitalen Events ist, dass die meisten Softwareanbieter für Videokonferenzsysteme aus dem Ausland kommen. In den USA sind die Gesetze, gerade im Privatsektor, strenger als in Deutschland. Hier sind auch private Anbieter verpflichtet, barrierefrei zu sein. Dementsprechend gibt es bei diesen Technologien mehr Möglichkeiten, die Barrierefreiheit zu garantieren, die man sich für die eigene Veranstaltung zunutze machen kann.
Egal ob analog vor Ort oder digital im Netz: Taube Menschen benötigen Dolmetscher*innen für Gebärdensprache, um einer Veranstaltung folgen zu können. Sie sollten eine möglichst stabile Internetverbindung haben, damit die Übertragung der Übersetzung fehler- und ruckelfrei funktioniert. Bei Zoom gibt es die Möglichkeit, Gebärdensprachdolmetschende größer und an einer festen Position anzeigen zu lassen, damit ihnen besser gefolgt werden kann.
Google Meet bietet Live-Transkript
Ebenso bietet Zoom die Möglichkeit, Schriftdolmetscher*innen über eine API (Schnittstelle) einzubinden. Sie übersetzen das gesprochene Wort simultan in Schriftsprache, welche dann als Untertitel eingeblendet wird. Dieses Angebot richtet sich vor allem an schwerhörige Menschen, die vielleicht keine Gebärdensprache können. Die Untertitel können aber auch anderweitig genutzt werden: als Übersetzungsmöglichkeit in eine andere Sprache oder in Leichte Sprache, damit Menschen mit Lernschwierigkeiten der Veranstaltung folgen können. Google Meet bietet sogar ein Live-Transkript des Gesprochenen an, das mittlerweile auch in mehreren Sprachen verfügbar ist. Diese automatisierte Lösung ist natürlich nicht fehlerfrei.
Für blinde Veranstaltungsteilnehmende ist es notwendig, alles, was passiert und gezeigt wird, zu beschreiben. Diese Bildbeschreibung verschafft nicht nur den Speaker*innen ein Bewusstsein dafür, was sie gerade zeigen, sie lässt auch alle anderen Teilnehmer*innen leichter verstehen, welches Element auf der Präsentation oder im Raum gerade im Fokus ist. Außerdem wählen sich vielleicht auch Personen per Telefon in die Veranstaltung ein. Auch sie müssen wissen, was gerade zu sehen ist.
Blinde oder sehbehinderte Menschen nutzen oft Screenreader für ihren Computer. Diese Programme lesen alles vor, was mit der Maus oder den Pfeiltasten angesteuert wird oder auch was auf dem Bildschirm erscheint. Wenn bei einem Event Fragen in den Chat geschrieben werden, kann das für betroffene Personen zur Tortur werden: Sie bekommen jede Frage aus dem Chat während der Veranstaltung vorgelesen. Dem Event zu folgen ist dann fast unmöglich. Eine einfache Lösung ist hier, dass der Veranstalter eine Person als Ansprechpartner*in für Fragen abstellt und dass die Teilnehmenden ihr per Direktnachricht im Chat die Fragen schicken.
Vorbereitung ist das A und O
Diese selbst gewählten „Richtlinien“ zeigen: Bei der Planung von barrierefreien Events ist die Vorbereitung das A und O. Ähnlich wie bei Präsenzveranstaltungen sollten mit der Einladung und Anmeldung die Bedarfe nach Übersetzung oder anderer Unterstützung abgefragt werden, um diese dann abdecken zu können. Besonders Dolmetscher*innen gibt es viel zu wenig, weshalb sie frühzeitig angefragt und gebucht werden müssen. Außerdem sollten die Speaker*innen – besonders wenn sie Externe sind und nicht im Planungsprozess eingebunden waren – ein Briefing bekommen, wie sie ihre Präsentation bereits während des Vortrags für alle zugänglich machen können. Im besten Fall haben sie alle Bilder und Gifs mit einem Alternativtext, also einer Bildbeschreibung, versehen und dann vorab an blinde Teilnehmer*innen geschickt. So können diese sich schon im Vorfeld einen Eindruck verschaffen.
Generell gilt: Nicht alle Teilnehmer*innen von digitalen Events sind umfassend mit der Technik vertraut. Für ein entspanntes Miteinander sollten deshalb genügend Pausen eingeplant und Veranstaltungen klar strukturiert werden. Ebenso sollte den Teilnehmenden überlassen werden, ob sie ihre Kamera während des Events an- oder ausgeschaltet lassen möchten.
Dieser Artikel erschien zuerst in der März-Printausgabe der absatzwirtschaft.