Es gibt runde Jahrestage, die man gar nicht oft genug feiern kann. Vor 30 Jahren, am 30. April 1993, stellte das Europäische Kernforschungszentrum Cern den Programmcode des World Wide Web (WWW) der Öffentlichkeit zu Verfügung und begründete damit einen beispiellosen Siegeslauf der Web-Technologie. Als Geburtstag des Webs gilt aber auch der 6. August 1991, der Tag, an dem das Webkonzept in einer Gruppe im Usenet veröffentlicht wurde. Oder die Tage um das Weihnachtsfest 1990 herum, als der erste Webserver online ging.
Tim Berners-Lee veröffentlicht Grundsätze des Web
Egal, welchen Jahrestag man begeht: Treibende Kraft hinter der Entwicklung des WWW war der Brite Tim Berners-Lee, ein schnell sprechender Physiker, der vor Ideen nur so sprudelt. Der Forscher arbeitete damals am europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf und wollte nicht nur seine eigenen Gedankengänge sortieren und vernetzen, sondern auch das berüchtigte Informations-Chaos am Cern in Grenzen halten.
Im März 1989 hatte Berners-Lee bereits ein Papier veröffentlicht, in dem die Grundsätze des Web vorgestellt wurden: ein digitales Informationsnetz, bei dem die Inhalte als universeller Hypertext aufbereitet und mit anklickbaren Links vernetzt werden. Innerhalb weniger Monate entwickelte Berners-Lee die dafür notwendigen Komponenten: URLs wie info.cern.ch für Web-Adressen, die Seitenbeschreibungssprache HTML für Web-Pages, das technische Protokoll HTTP für Links und das Konzept für einen Webbrowser.
Aus der Chefetage des Cern erhielt der Brite allerdings zunächst wenig Unterstützung: „Vague but exciting“ – „Vage, aber aufregend“ lautete der handschriftliche Kommentar seines Chefs Mike Sendall auf dem Titelblatt des Memos. „Es gab kein Forum, von dem ich eine Antwort erwarten konnte. Nichts geschah“, erinnerte sich Berners-Lee später in seinem Buch „Der Web-Report“.
Browser mit grafischer Benutzeroberfläche fehlte
Eine plattformübergreifende digitale Kommunikation war damals nicht nur für die Chefs des Cern schwer vorstellbar. Die Online-Welt bestand Ende der 80er Jahre noch aus abgeschotteten Online-Diensten. In den USA buhlten Dienste wie CompuServe und AOL um Nutzer, in Deutschland unternahm die Bundespost ab 1977 mit dem Bildschirmtext (Btx) erste Schritte in die Online-Welt. 1992 zählte Btx-Chef Eric Danke aber nur rund 320 000 Teilnehmende, obwohl der Dienst nach den ursprünglichen Prognosen längst ein Service mit mehreren Millionen Mitgliedern hätte sein sollen. Besser lief es mit dem technisch vergleichbaren System Minitel in Frankreich, das in den meisten Haushalten zu finden war. Doch weder Btx, noch AOL noch Minitel konnten die Inhalte auf ihren Plattformen mit anderen Diensten einfach teilen.
Mit dem Word Wide Web sollte sich das radikal ändern. Doch bevor das Web sich tatsächlich international durchsetzen konnte, bedurfte es noch einer Anschubhilfe aus den USA. Dem Web von Tim Berners-Lee und seines Kollegen Robert Cailliau fehlte noch ein richtiger Browser mit grafischer Benutzeroberfläche für PCs, Macs und die in der Informatik üblichen Unix-Workstations. Das Cern sah sich nicht in der Lage, diese Entwicklung zu finanzieren.
Diese Aufgabe übernahmen dann Entwickler aus den USA. 1991 entstand von der University of California in Berkeley der Browser ViolaWWW, der aber bald wieder in der Versenkung verschwand. Ein richtiger Durchbruch für die Web-Technologie gelang dagegen dem Studenten Marc Andreessen. Er entwickelte vor 30 Jahren an der University of Illinois den ersten Mosaic-Browser und machte sich später mit Netscape daran, seine Software zur führenden Online-Plattform zu machen.
Bill Gates startet Browser-Krieg
Aber auch der Netscape-Erfolg währte nicht ewig. Microsoft-Gründer Bill Gates erkannte 1994 den Trend, rief zur Verfolgungsjagd auf und zettelte den „Browser-Krieg“ an, in dem Netscape auf der Strecke blieb. Inzwischen ist auch der Internet Explorer von Microsoft Geschichte. Der Browser-Markt wird seit über zehn Jahren von Google Chrome für den Desktop und Android-Smartphones und Apples Safari für das iPhone dominiert
Tim Berners-Lee ging 1994 in die USA, um am Massachusetts Institute of Technology (MIT) das World Wide Web Consortium (W3C) zu gründen. In diesem Gremium werden unter seiner Leitung bis heute die technischen Entwicklungen des Webs standardisiert. Für seine Verdienste wurde der Brite von Königin Elisabeth II. in den Ritterstand erhoben und erhielt den Orden «Knight Commander of the Order of the British Empire». 1997 wurde er in den auf nur 24 Personen begrenzten „Order of Merit“ aufgenommen. Im Jahr 2009 erhielt Berners-Lee den Webby Award, die wichtigste Auszeichnung im Online-Bereich, für seine Lebensleistung. Seit 2016 hat der Brite einen Lehrstuhl an der Universität Oxford. Reich wurde Berners-Lee durch seine Erfindung allerdings nie.
Der Brite sorgt sich um seine Erfindung. Zum 30. Jahrestages der Veröffentlichung seines richtungsweisenden Papiers warnte er vor dem Datenmissbrauch, Desinformationen, Hassrede und Zensur. Kritisch sieht Berners-Lee auch die Versuche, mit Hilfe von Blockchain-Technik eine nächste Generation des Webs aufzubauen, in der es einfacher möglich sein soll, für Inhalte zu bezahlen. Krypto-Währungen wie Bitcoin seien „nur Spekulation“, sagte Berners-Lee in einem Interview mit dem Fernsehsender CNBC.
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