Smart enough to be stupid 

Unsere Gesellschaft toleriert nicht nur ein bisschen Absurdität – sie sehnt sich danach. Ein Plädoyer für mehr Verrücktheit und unkonventionelles Denken im Agenturalltag.
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Franziska Duerl ist GWA-Vorständin und Strategiechefin bei Jung von Matt. (© Jung von Matt, Montage: Olaf Heß)

Diesen Juli unsere „Strat Con – Deutschlands Konferenz für Strateg*innen“ unter dem Thema „Embracing Cultural Disruption“ ihr Debüt im pulsierenden Herzen Berlins gefeiert. Eine unserer Speakerinnen, Paula Bloodworth, CSO bei SillyFace in Großbritannien, betrat die Bühne mit einem provokanten Statement: „Why the older I get, the more stupid I want to be?“ Was folgte, war ein Raum voller nickender Köpfe und hörbarer Seufzer der Erleichterung. 

Schlau = strategisch? 

Als Strateg*innen haben wir uns lange an eine einfache Gleichung geklammert: schlau = valued. Strateg*innen werden gerne als „ivory tower“, „the smartest person in the room“, als „framework-operator“, „master of quotes“ oder „the tortured novelist“ bezeichnet. Diese Labels tragen wir mit einer Mischung aus Stolz und Resignation, wohl wissend, dass sie nicht ganz passen. Denn hier liegt die unbequeme Wahrheit: Schlau zu sein, macht uns zu guten Strateg*innen, aber nicht zu großartigen. 

Doch was, wenn wir das Script auf den Kopf stellen? Was, wenn wir, statt mit der Erwartung, die Schlauesten zu sein, ein bisschen mehr „stupidity“ in unseren Agenturalltag einladen? Nicht Ignoranz, wohlgemerkt, sondern eine neugierige Einfachheit. Mit direkten Fragen wie: Ist es wahr? Ist es einfach? Ist es groß? 

Smartness als Sicherheitsnetz 

Als Strateg*innen kennen wir die Theorie. Aber hier liegt das Problem: Theorie allein wiederzugeben, ist keine Strategie. Es ist schlichtweg ein Sicherheitsnetz. Es ist das, worauf wir uns stützen, wenn wir uns nicht trauen, zuzugeben, dass wir nicht alle Antworten haben. 

Was wäre, wenn wir, statt mit jedem neuen Zitat oder Framework eine weitere Schicht auf unser strategisches „scar tissue“ aufzutragen, diese Schichten abtragen würden, um die pure, ungefilterte Wahrheit freizulegen? Rob Campbell, CSO bei Colenso BBDO, brachte es mal so auf den Punkt: „Embrace the dark, dirty little secret that we don’t want to admit.“ 

Stupidity ist eine Superpower 

In einer Studie, die 1962 in Robert Sternbergs Handbook of Creativity veröffentlicht wurde, produzierten Student*innen mit hohem IQ vorhersehbare Erzählungen. Jene mit hohem Kreativitätsgrad hingegen durchbrachen durch unkonventionelles Denken die Oberfläche und schafften wahrhaftig denkwürdige Geschichten. 

Marie von Ebner-Eschenbach sagte einmal: „Alberne Leute sagen Dummheiten, gescheite Leute machen sie.“ Oder wie Paula es ausdrückte: „Let’s be stupidity chasers.“ Denn die Wahrheit ist: Menschen sind auf wunderschöne Weise „stupid“ – und genau da entsteht die Magie. Unsere Gesellschaft toleriert nicht nur ein bisschen Absurdität – sie sehnt sich danach. Ein Beispiel dafür ist Scrub Daddy, der lächelnde Schwamm, der 2024 voraussichtlich 340 Millionen Dollar einbringen wird. Oder die Comic Con, eine Celebration von allem, was geeky ist, generiert jedes Jahr hunderte Millionen Dollar. 

Der Strategy Sweet Spot 

In der Kommunikationsbranche entstehen die kraftvollsten Ideen durch die perfekte Mischung aus „smartness“ und „stupidity“, so Paula. Wenn diese Kräfte im Einklang stehen, heben Ideen ab. Wir kreieren und gestalten, generieren und formen, konvergieren und divergieren. Sie beendete ihren Vortrag erneut mit einer bolden Aussage: „And the best person equipped to straddle both? Strategists. Because it takes real smarts to be stupid.“ 

Ob intern oder mit unseren Kund*innen – mit Blick auf unseren Way of Working werden wir einen Unterschied spüren, wenn wir neben aller fundierten Theorie und etablierter Tools auch unserer Intuition wieder mehr Raum geben – schließlich sind wir nicht nur die Köpfe der Strategie, sondern auch ihr Herz. 

Franziska Duerl ist GWA Vorständin und Strategiechefin bei Jung von Matt. Die Kolumnistin schreibt bei uns im Wechsel mit Larissa Pohl und Sandra Harzer-Kux über Kollaborationen von Agenturen und Kunden.