Es gibt da dieses Video auf YouTube. Robin Pagnamenta, Head of Technology beim „Telegraph“ in London, interviewt darin Brian Halligan, Gründer und CEO von Hubspot. Das Ganze findet auf einer Bühne der Slush in Helsinki statt. Neben einigem Chit-Chat halten die beiden darin fest: Der Sales-Funnel ist tot. Wer im Digitalen Zeitalter noch Kund*innen erreichen will, muss in einer neuen Methode denken. Halligan macht klar, jetzt kommt die Zeit des Flywheels.
Wir werden in ein paar Zeilen klären, was dieses Flywheel ist. Zuerst einmal ist wichtig, zu erklären, was Halligan mit seiner Aussage meint. „Es war noch nie so einfach zu gründen, aber auch noch nie so schwer zu wachsen“, sagt er. Hubspot ist heute eine Marketing-Mega-Maschine und ein ziemlich elaboriertes Newsletter-Tool. Es ist aber eines von vielen. Als Halligan sein Unternehmen im Jahr 2006 gründete, gab es nach seinen Aussagen weltweit 14 vergleichbare Firmen. Nun seien es 6000. Das Internet ist demnach ein recht fragmentierter Ort. Ein weiteres Problem: Institutionen und Unternehmen verlieren das Vertrauen der Menschen.
Das Video mit den beiden ist bereits fünf Jahre alt. Wir wissen heute: Die Sache mit dem Vertrauen hat sich nicht verbessert, im Gegenteil. Und wir wissen auch, dass in den vergangenen Jahren die Digitalunternehmen wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Die Probleme, von denen Halligan spricht, haben sich also noch verschärft. Kein Wunder, dass Hubspot auch heute noch mit dem Flywheel wirbt.
Was hat Relevanz für die Zielgruppe?
„Unternehmen müssen heute lernen können und wollen“, sagt Kristina Faßler. Sie ist seit einiger Zeit selbständige Kommunikationsberaterin. Jedes Unternehmen, das heute kommuniziert, verkauft oder Marketing macht, muss wissen: „Was hat Relevanz für meine Zielgruppe?“ Faßler bringt damit auf den Punkt, worum es beim Flywheel geht. Wer im Netz relevant sein will, muss zuhören. In Zeiten des Sales-Funnels reichte es meistens noch zu senden.
Und damit zur Erklärung: Im Deutschen wird Flywheel mit Schwungrad übersetzt. Wir kennen sie aus Schwarz-Weiß-Bildern alter Maschinen. Dort wurden sie eingesetzt, um Energie zu speichern. Sie werden zuerst langsam angetrieben und dann immer schneller. Sie speichern kinetische Energie. Wenn sie einmal in Schwung sind, drehen sie sich lange weiter, um sogenannte Totpunkte einer maschinellen Operation zu überwinden. Man kann hier erkennen, wie sich das Bild auf das digitale Zeitalter übertragen lässt. Im digitalen Flywheel nämlich wird die Sales-, Marketing- oder Kommunikationsmaschinerie oft zuerst langsam angetrieben. Dann dreht sie sich, so die Idee, immer weiter.
Das ist noch nicht alles. „Wer heute Menschen erreichen will, braucht über alle Kanäle hinweg Glaubwürdigkeit“, sagt Faßler. Gute Kommunikation habe eine individuelle Komponente, Sales müsse das dann richtig adaptieren. Und dann ist da noch die Frage nach der Marktrelevanz. Es geht also schon längst nicht mehr, dass auf der einen Seite eine Kommunikationsabteilung mit den Menschen spricht, eine Marketingabteilung sich Werbung ausdenkt und ein Sales-Team ihnen etwas verkaufen will. Die Fragmentierung, von der Halligan spricht und der Vertrauensverlust machen es nötig, dass Unternehmen die Silos zwischen diesen Abteilungen nicht nur abbauen, sondern einreißen.
Es scheint, als hätten viele Unternehmen das verstanden. Eine globale Studie unter Chief Marketing Officers (CMOs) der Group M kommt zu dem Ergebnis, dass viele Aufgaben, für die früher Sales verantwortlich war, heute im Fachbereich des Marketings liegen; etwa die Customer Experience. 60 Prozent dieser CMOs sagen auch, dass es umso wichtiger geworden ist, dass die Ergebnisse, die diese Abteilung produziert, auch messbar sind. Hinzu kommt: Die Budgets steigen. Marketing wird längst nicht mehr als peripher angesehen, sondern gilt als einer der Innovationstreiber im Unternehmen. Brauchen wir noch mehr Hinweise für das Flywheel und dafür, dass Silos heute als ein Ding der Vergangenheit begriffen werden?
Nicht Abteilungs-, sondern Unternehmensziele
Faßler redet lange, wenn sie über dieses Thema redet. Denn: Sie weiß, wovon sie spricht. Schließlich hat sie in der Medienbranche fast alles gesehen, was es zu sehen gibt. Eine ihrer Aufgaben, bevor sie in die Selbständigkeit gegangen ist, war es, den Sender N24 mit dem Springer-Konzern zu verschmelzen – auch kommunikativ. Dafür muss, so sagt sie, eine Organisation lernen, sich selbst zuzuhören, bevor sie den potenziellen Kund*innen zuhört. Und Faßler ist nicht die Einzige, die das sagt. Auch Anne Schüller hat die Dringlichkeit erkannt. Sie ist heute Autorin und Vortragsrednerin, blickt aber auf eine lange Karriere in verschiedenen Branchen zurück, etwa im Bankensektor. Bevor sie sich selbständig gemacht hat, arbeitete sie dann noch in verschiedenen Vertriebs- und Marketingpositionen.
So war sie etwa Marketingdirektorin bei Accor Deutschland, einem großen Hotelkonzern, zu dem auch Novotel, Mercure und Sofitel gehören. In ihrem jüngsten Buch, „Zukunft meistern“, schreibt sie darüber, dass Unternehmen heute die alten Silos auflösen müssen, um in einer digitalen Welt Erfolg haben zu können. „In der Old Economy hat das Denken in diesen Strukturen schon Sinn gemacht“, sagt sie. „Heute aber nicht mehr.“ Es dürfe nicht mehr jede*r seine Ziele verfolgen, vielmehr müssten heute übergeordnete Ziele den Weg vorgeben. Doch seien es oft immer noch die Ziele, die einzelne Abteilungen haben, die verhindern, dass Silos schnell verschwinden.
„Früher war die Zukunft planbar, Unternehmen dachten teilweise in 10-Jahres-Zeiträumen“, sagt Schüller. Irgendwann sei man dann bei fünf Jahren, bei drei und irgendwann bei einem gelandet. Ressourcen, Mitarbeiter*innen – alles würde heute meist nur noch ein Jahr im Voraus geplant und dann auf alle Abteilungen heruntergebrochen und dann in Zielen formuliert. Es ist also nicht nur so, dass die Menschen da draußen schwerer zu fassen sind, auch die Unternehmen selbst agieren schneller; eine doppelte Dynamik, die sich natürlich auch auf die Arbeit der Abteilung und auf die der einzelnen Mitarbeiter*innen auswirkt. „Heute kann sich die Zielplanung und die Realität schon nach zwei Wochen in einem neuen Jahr auseinanderentwickeln“, sagt Schüller.
Kund*innen im Mittelpunkt
In modernem Sales, im Marketing und in der Kommunikation geht es heute nicht mehr darum die Bedürfnisse des Unternehmens im Blick zu haben. Es geht darum, den Kunden oder die Kundin in den Mittelpunkt der Strategie zu stellen. Diese sind heute nämlich nicht nur skeptischer, sondern auch noch besser informiert als früher. Unternehmen müssen sie informieren und gleichzeitig ihre Begeisterung wecken – und vor allem: Es geht darum, Erwartungen zu erfüllen. Das dahinterstehende Ziel ist nicht mehr, einmalig etwas zu verkaufen, sondern langlebige Kundenbeziehungen, mehr Umsätze und ein langfristiges Wachstum. Das Flywheel aus Sales, Marketing, Kommunikation, Kauf, Gespräch zwischen Kund*innen und Unternehmen ist angetrieben. Das ist es, was Kristina Faßler meint, wenn sie von lernenden Organisationen spricht. Dieses Zusammenspiel interner und externer Faktoren macht auch klar, warum ein einfacher Sales-Funnel heute keine Option mehr ist.
Es ist nicht verwunderlich, dass das Internet inzwischen Berufe hervorgebracht haben, die diese Entwicklungen in sich vereinen. Céline Flores Willers ist die Gründerin und CEO des Unternehmens The People Branding Company. Gleichzeitig ist sie als Influencerin auf LinkedIn aktiv. Dort kommuniziert sie ihre Botschaften, dort bewirbt und verkauft sie das Angebot ihres Unternehmens. Und dort hört sie genau zu, was die Menschen, mit denen sie interagiert, eigentlich wollen. Willers hat dafür ein sehr genaues Rezept, an dem sie sich orientiert. „Wir denken in Content-Buckets“, sagt sie. Davon hat sie vier Stück. In einem landen etwa die Sales-Botschaften ihres Unternehmens, in einem anderen ihre eigenen Themen. „20 Prozent meines Contents zahlen auf mein Experten-Thema ein und diese Postings verbinde ich hin und wieder mit einem Sales-Call-to-action“, sagt Willers. Wenn ihr Account aber zur Sales-Schleuder würde, gingen ihr die Leute von der Stange.
Dass das nicht immer holperfrei funktioniert, ist klar und es zeigt auch, wo die Risiken des Konzepts liegen. Es kann passieren, dass ein „Kommunikations“-Post einen Shitstorm auslöst – auf die Sales-Ziele eines Unternehmens zahlt das sicher nicht ein. Aber es ist ehrlich, erklärt Willers. „Und ich weiß ja auch, dass ich polarisiere“. Es ist genau die Glaubwürdigkeit, die auch Faßler von Unternehmen heute verlangt. Es reiche nicht mehr weichgespülte Messages zu senden und zu hoffen, dass noch jemand Notiz von einem nehme.
Spannend ist, dass auch schon kleinere Unternehmen mit dem Silo-Dilemma in Kontakt kommen. „Wir sind heute 25 Leute und wir erleben das“, sagt Willers. Anfangs habe ihr Sales-Team aus einer Person bestanden. Diese Person habe genug Zeit gehabt, sich mit den anderen Teams auszutauschen. Heute ist die Abteilung viel mehr mit ihrer eigenen Organisation beschäftigt. Da blieben zwangsläufig Informationen auf der Strecke. Es bleibt also abzuwarten, ob Anne Schüller nicht irgendwann ein weiteres Buch schreiben muss, in dem sie eine neue Unternehmens-Organisation fordert und ob Halligan ein weiteres Tool promoten muss, weil irgendwann vielleicht auch das Flywheel nicht mehr funktioniert.