Alexandra Kohlmann kommt direkt vom Flughafen und kann einen Kaffee gebrauchen. „Kundentermin in Madrid“, sagt die Co-Chefin des Rowe Mineralölwerks. „Und dann waren die Koffer weg.“ Am Abend zuvor hat sie im Stadion Cívitas Metropolitano eine hitzige Fußballschlacht erlebt. 0:1 der Atlético-Heimmannschaft gegen Barcelona – inklusive Gerangel auf dem Platz, fünf gelben und zwei roten Karten. Hinterher ließen sich die Atlético-Stars um Antoine Griezmann beim „Meet and Greet“ mit dem Sponsor Rowe blicken. Zerknirscht, aber immerhin. „Das war ein echtes Money-can’t-buy-Event für unsere Geschäftspartner“, sagt die Wormser Unternehmerin.
Wer im internationalen Schmierstoff-Geschäft vorankommen will, muss sich eben nicht nur um Viskosität und die Additive kümmern, sondern auch Beziehungen pflegen. Erst seit 1995 ist das Rowe Mineralölwerk auf dem Markt, gegründet von Kohlmanns Vater Michael Zehe. Und doch steht der Familienkonzern mit 350 Mitarbeiter*innen bereits für 145 Millionen Euro Gruppenumsatz und Lieferbeziehungen in 80 Länder. „Wir sind in der Position eines Challengers“, sagt die promovierte Kauffrau Kohlmann. Passend zum Herausforderer-Image leistet sich Rowe auch bei Borussia Dortmund ein Sponsoring.
Vater und Tochter als Doppelspitze
Wer mit Alexandra Kohlmann spricht, spürt freundliche Zurückhaltung. Analytisch stellt sie Rückfragen, anstatt emotional einzusteigen. „Definieren Sie mal Konfliktsituationen“, antwortet sie auf die Frage, ob es in der Geschäftsführung auch mal kracht. Vater und Tochter sind seit 2018 gemeinsam als Doppelspitze verantwortlich. Sie kennen einander bestens. „Wir schätzen es sehr, dass wir uns meinungsstark miteinander austauschen“, sagt die 35-Jährige.
Auf dem Titel der Firmenzeitschrift steht das Führungsduo lachend Rücken an Rücken, der 62-Jährige lehnt sich an seine eher zierliche Tochter. „Es ist kein Gegeneinander“, klärt Kohlmann auf. Das Unternehmen befindet sich zu ungefähr gleichen Teilen im Besitz von Vater und Tochter. Sie spricht von „gemeinsamen Lernkurven.“ Wichtig sei doch, dass man hinterher zu einer guten Lösung zusammenfinde, die Rowe als Organisation voranbringe.
Filmreife Familienstory
Die Geschichte von Rowe gleicht einer filmreifen Familienstory. Der Vater, ein Mann mit Rennfahrer-Lizenz, erscheint in diesem Drehbuch als Draufgänger und Selfmade-Millionär: Ende der 1980er-Jahre hat er, Ingenieur nach abgeschlossenem Maschinenbau-Studium an der Fachhochschule, vor Schottland auf einer Bohrinsel gearbeitet. 1995 hatte er das Bedürfnis, sich selbstständig zu machen – im Schmierstoffsektor. In der Schlosserei seines früh verstorbenen Vaters in Flörsheim-Dalsheim begann er, in einem Kessel Öl zusammenzumischen. „Er wollte es den Bauern der Gegend verkaufen, doch die winkten ab aus Sorge, sich den Motor zu ruinieren.“
So wäre der Anfang beinahe auch das Ende der Story gewesen. Doch Michael Zehe bekam die Kurve – und fand im Ausland erste Abnehmer. Bis heute liegen bei Rowe das Exportgeschäft und die Produktion in der Hand des Gründers, Tochter Kohlmann kümmert sich um den Rest. Als Lohnabfüller, der auf einen eigenen Markenauftritt verzichtet, gewann Rowe an Volumen. Schon fünf Jahre später verlagerte Zehe den Betrieb in ein leerstehendes Möbelwerk nahe Bubenheim. „Die Banker hatten Zweifel, dass er das alles füllen könnte“, erzählt Kohlmann. „Kriegen wir schon hin“, sei seine Antwort gewesen.
Es wurde bald wieder zu eng, Zehe plante einen Neubau in Worms. Heute muss man einen kilometerlangen Spaziergang machen, wenn man das 2014 fertiggestellte Wormser Werk umrunden möchte. Von außen unscheinbare Logistikhallen, doch hinter der Hülle schnurrt „Europas modernstes Schmierstoffwerk“, wie Rowe selbstbewusst wirbt. 58 Mischkessel können bis zu 600 Tonnen Fette und Öle am Tag zusammenmixen. „Basisöle plus die entscheidenden Additive, das ist wie beim Cocktail“, sagt Kohlmann.
Rein ins B2C-Segment
Mit dem Erfolg wächst das Markenbewusstsein: Rowe will das reine B2B-Segment verlassen und Autofahrer*innen auch direkt ansprechen. Eigene Rezepturen, entwickelt von der FuE-Abteilung in enger Abstimmung mit Fahrzeugherstellern, seien ein wichtiger Baustein, sich auch im oberen Preissegment einen Namen zu machen.
Dort, wo sich bereits Mineralölkonzerne und namhafte Mitbewerber wie die Würth-Tochter Liqui Moly tummeln. Hinzu kommt Nachhaltigkeit als Verkaufsargument. Energiearme und saubere Erzeugungsprozesse machen sich doppelt bezahlt – bei den Herstellungskosten und in der Kundenwahrnehmung.
Modernste Produktion
Rowe kann die Öko-Karte glaubhaft spielen. „Wir übertreffen im neuen Werk den Branchenstandard deutlich“, sagt Kohlmann. Zum Beispiel dank getrennter Rohrsysteme: Michael Zehe wollte beim Neubau unbedingt vermeiden, dass Leitungen mit entsprechender Umweltbelastung sowie einem Materialverlust gespült werden müssen. Deshalb sind schon bei der Anlieferstation für die Tanklastzüge Dutzende Einfüllstutzen nebeneinander platziert.
65 Kilometer lang laufen sogenannte „Dedicated Lines“ getrennt voneinander durch das Werk: für jedes Produkt eine eigene Leitung. Auch die Entscheidung, die Kunststoffkanister mit mehr als 20 Prozent Recyklatanteil selbst vor Ort herzustellen, hat sich ausgezahlt. CO₂-intensive Straßentransporte der leeren Gebinde sind so überflüssig, zudem blieb man dank Bevorratung trotz Lieferkrise stets handlungsfähig. Weil alle Mischtanks mit dem 45 bis 60 Grad warmen Öl in der Halle platziert sind, muss man nicht heizen.
„Wir auditieren alle unsere Lieferanten und erfassen auch indirekte Emissionen entlang der Wertschöpfungskette“, sagt Kohlmann. Alle ausgewiesenen CO₂-Emissionen würden über den Kauf von Zertifikaten ausgeglichen. Wer im Werk Öllachen erwartet, wird nicht fündig. Nichts stinkt, nichts leckt – es ist nicht einmal laut. Jede Autowerkstatt hat mehr Flecken. Prokurist Immo Kosel führt stolz durch die vier Hallen, erklärt Lösch- und Notstromsysteme. „Wir sourcen nichts aus, haben unsere eigene Elektrik und Metallschlosserei.“
Mobilitätswende als Chance
Viele Apparate, etwa die fahrenden Abfüllplattformen für Fässer – halb Ameise, halb Waage – seien Ergebnis eigener Tüftelarbeit. Kosel hält Schmierstoffe ohnehin für „eins der größten Umweltschutzprogramme der Welt“. Logik: Alles, was gut geschmiert ist, hält länger, erzeugt weniger Reibung, braucht weniger Energie. „Kein Windrad würde sich ohne unsere Produkte drehen.“
Doch ist das Geschäftsmodell nicht endlich, wenn ein Konzern wie VW schon ab 2026 keine Verbrennermotoren mehr entwickelt? Alexandra Kohlmann winkt ab. Auch danach sei für Rowe noch viel zu tun. „Ich sehe die Mobilitätswende als Chance, wir werden diversifizieren“, sagt sie. Erstens brauchen auch Elektrofahrzeuge Schmierstoffe, zweitens bleibt ein hoher Fahrzeugbestand zu versorgen, drittens bearbeitet man gezielt Auslandsmärkte, die später umstellen.
2022 begleitete Kohlmann Kanzler Scholz als Mitglied seiner Wirtschaftsdelegation nach Hanoi und Singapur. Asien sei für Rowe eine immer wichtigere Region. „Dass wir als Familienunternehmen komplett in Deutschland produzieren, wird dort sehr geschätzt.“
Differenziertes Marketing
Die Rowe-Zielgruppen sind nicht homogen. „Manches Motorenöl verkauft sich beispielsweise im arabischen Raum in einer Blechdose besser als im Plastikbehälter“, weiß Vertriebsleiter Kosel. Man passt sich an – und bedient gerne auch Oldtimer-Freunde mit einem eckigen Vintage-Kanister. Manchmal wird auch ein Farbstoff dazugegeben. Das Auge schmiert mit.
Motorsport ist ein zentrales Vehikel für Rowe, um international auf sich aufmerksam zu machen. Der zur Holding gehörende Rennstall „Rowe Racing“ gilt zudem als rollendes Labor. „Das ist nicht Jux und Dollerei, sondern eine Sache der Beweisführung“, sagt Kohlmann. Erkenntnisse aus dem Rennbetrieb werden rückgekoppelt mit der hauseigenen Forschung und Entwicklung. 2020 gelang der Doppelsieg in den 24-StundenRennen der GT3-Klasse am Nürburgring und in Spa.
Anfangs stieg Michael Zehe noch selbst in einen Boliden, der mit firmeneigenem Öl geschmiert über die Rennstrecke donnerte. „In unseren Urlauben war Kartfahren ein zentraler Inhalt“, erinnert sich Kohlmann, die zwar auch mal im Rennanzug für Fotos posiert, aber privat andere Sportarten vorzieht. Squash, Klettern und Yoga zum Beispiel. „Manchmal ist es sinnvoll, sich die Dinge aus einer anderen Perspektive anzuschauen. Zum Beispiel auf dem Kopf stehend“, sagt sie. Yoga sei eine Frage der Geisteshaltung.
„Jede Nachfolge ist Veränderungsmanagement“
Achtsamkeit will Kohlmann bei Rowe auch als Führungsprinzip etablieren. Sie nennt es „Thought Leadership“. Führungskräfte bräuchten nicht nur eine gute Selbstwahrnehmung, sondern auch feine Antennen für andere. „Nur wer sich selbst gut führen kann, kann andere gut führen.“ Mit einer Fortbildung zum systemischen Coach hat sie sich in der Corona-Zeit viel theoretisches Wissen angeeignet, um mit Einfühlungsvermögen und Wertschätzung in der Belegschaft Zutrauen in die Selbstwirksamkeit stärken. „Die Leute sollen den Mut haben, eigene Entscheidungen zu treffen. Meist kennen sie die Lösung selbst.“
Kohlmann sieht sich als moderne Unternehmerin, die Reibungsverluste verringert, anstatt durchzuregieren. „Ich möchte das Öl im Getriebe sein“, sagt sie. Ihr Vater will sich spätestens im Jahr 2027 zurückziehen, den Termin haben beide definiert. Ihre Doktorarbeit an der TU München hat die Kauffrau zum Thema Unternehmensnachfolgen in Familienunternehmen geschrieben. Die Frage, ob das nun helfe, langweilt sie ein wenig. „Klar kenne ich die Fallstricke“, antwortet sie. „Aber ein Pauschalrezept, wie es am besten gelingt, gibt es nicht. Jede Nachfolge ist Veränderungsmanagement.“
Von der Garage zum Global Player
Rowe ist ein Vollsortimenter für Schmierstoffe, der seit 1995 alle Produkte in Deutschland herstellt. Der Ingenieur Michael Zehe hat in der elterlichen Schlosserei in FlörsheimDalsheim mit einem einzigen Mischkessel einfach losgelegt. 2016 trat Alexandra Kohlmann in die Geschäftsleitung von Rowe ein. Seit 2018 ist sie gemeinsam mit ihrem Vater Geschäftsführerin und treibt die Themen Nachhaltigkeit und werteorientierte Führung voran. Rowe produziert in Bubenheim und Worms. Auch Getriebe- und Hydrauliköle, Bremsflüssigkeiten, Frostschutzmittel und Fette zählen zum Produktportfolio.
In mehr als 80 Ländern setzen Automobilhersteller, Teilehändler und Industrie auf die Produkte. 71.000 erzeugte Tonnen standen im Jahr 2021 für einen Umsatz von 145 Millionen Euro. Als Markenkerne definiert Rowe „Performance“ und „Nachhaltigkeit“. Für die Leistungsfähigkeit steht ein eigenes Motorsportteam. Um dem Umweltanspruch gerecht zu werden, auditiert Rowe alle Zulieferer, setzt auf kurze Transportwege und kompensiert alle Emissionen über einen CO2-Zertifikatekauf.
Dieser Text erschien zuerst in der Creditreform.