Zugegeben, die Umstände des Marktes – 30 prozent zuviel Verkaufsfläche, 20 Prozent zuviel Produktions-Kapazität, 50 Prozent zuviel Marken und 40 Prozent zuviel Medien – haben diese unbefriedigende Situation noch verschärft. Die Explosion der Discounter hat ein Übriges getan. Jetzt scheint das Ende der Wertvernichtung wirklich erreicht. Die schlimmste Erkenntnis aber ist diese: Trotz permanentem Preisgeschrei hat der Verbraucher nicht etwa mehr eingekauft. Er blieb lustlos, auch wenn er ein Schnäppchen nach dem anderen jagen konnte. Die Banalität und Trivialität dieses Dauerrennens nach Rabatt und Preisnachlässen hat uns eingeholt. Die traurige Bilanz ist: Preis allein hat keinem genutzt.
Nach dieser deprimierenden Vorrede komme ich zum Erfreulichen. Eine neue Generation bei den Herstellern und jetzt auch beim Handel hat das Steuer übernommen. Und diesen neuen Managern ist klar: das Kampfmittel Preis allein hat seine Grenzen erreicht. Das Werkzeug ‚Marke und Qualität, Substanz und Leistung’ tritt wieder ins Rampenlicht. Das Stichwort heißt: Shopper Marketing. Shopper Marketing ist das Konzept, das auf erhöhte Wertschöpfung für beide zielt: Handel und Hersteller. Es ist die Rückkehr zum gemeinsamen Denken, Planen und Handeln. Es ist die Rückbesinnung auf intelligentes kaufmännisches Verhalten: Die Stärken beider Wirtschafts-Formen zu synchronisieren – eine Win-Win-Strategie zu verfolgen. Das Wissen und Können beider Markt-Teilnehmer zu einem Profit-orientierten vereinten Auftritt im Markt zu bündeln. Es ist höchste Zeit, durch Anreize, Lust und Spaß für den Verbraucher die Wertschöpfung ins Zentrum des Denkens zurückzuholen.
Der neue Rewe-Chef, Dr. Achim Egner hat diese Richtung kürzlich eindeutig formuliert: Die Wertschätzung von Lebensmitteln müsse grundlegend reformiert werden. Qualität und Wertigkeit sind zu betonen und zu feiern. Und lustvoll zu inszenieren. Nicht zufällig gibt der Engländer 50 Prozent mehr für den Kauf der Grundnahrungsmittel aus als das heutzutage in Deutschland der Fall ist. Die Inflation der Werte, die mit permanentem Preisverriss provoziert wurde, hat sich als Eigentor erwiesen. Wie sagt der Volksmund so schön: „Was nichts kostet, ist nichts Wert“ und alle kennen nur noch den Preis, aber nicht mehr den Wert einer Ware.
Shopper Marketing kann helfen, diese Rückkehr zu mehr Wertigkeit zu realisieren. Mehr Wissen über die Konsumenten aus dem Fundus der Hersteller, gepaart mit den unmittelbaren Kauferlebnissen im Handel ergeben in der Summe mehr Insights, mehr Nähe, mehr Verstehen und mehr Fokus auf die Wünsche der Verbraucher. Und das ermöglicht messbarere und profitablere Methoden und Angebote. Während die bisherigen Kernthemen – ECR (Efficient Consumer Response) und Category Management – in der Vergangenheit die Prozesse und Abläufe optimiert haben, zielt Shopper Marketing auf eine Vorwärts-Strategie. Vorwärts im Sinne von verbesserter Markt-Erschließung, Vergrößerung des Warenkorbes, Bereicherung der Kauferlebnisse. Mit einem Wort: Shopper Marketing tut alles, um Verbraucherwünsche und Kauflust zu stimulieren. Und gerne auch zu optimieren.
Shopper Marketing stellt den Verbraucher in den Mittelpunkt und zielt auf seine Emotionen – ohne seine nun einmal gelernte Preis-Orientierung außer Acht zu lassen. Shopper Marketing reagiert nicht, Shopper Marketing agiert. Und es kapitalisiert das Know how im Umgang mit den Käufern und deren Verhalten und Gewohnheiten. Darauf werden alle Produkte, Angebote, Regalflächen, Laden-Layouts, Waren-Inszenierungen und Erlebniswelten ausgerichtet. Ulrich Dirk Frey, Mitinhaber von Frey.G2, dem der Begriff „Shopper Marketing“ zuzuordnen ist, spricht davon, dass damit eine verbesserte Diskussions-Kultur im vertikalen Marketing ausgelöst werden soll.
Es geht um mehr Kreativität, mehr Inspiration und das ununterbrochene Bemühen um die Wünsche der Menschen. Wie sagt der Wiener Philosoph Günther Anders so schön: In einer Überflussgesellschaft werden nicht die Angebote knapp, sondern die Wünsche“. Das Schaffen neuer Kaufanlässe, das ständige Überraschen und Aufregen der Konsumenten ist ein Dauerauftrag, dem sich das Marketing der Zukunft zu stellen hat. Neue ungewöhnliche Begegnungen müssen zur Selbstverständlichkeit werden. Auch und gerade, wenn das mit den Regeln der Vergangenheit bricht. Es ist sicher kein Zufall, dass gerade die Unternehmen, die zur Zeit zweistellige Zuwachsraten haben, immer öfter Regelbrüche inszenieren und durchhalten. Tchibo, Ikea, H&M, Zara auf der Händlerseite. Und mit Red Bull, Puma, Faber Castell, Swarovski auf der Hersteller-Seite seien hier nur einige ermutigende Beispiele genannt.
Das Marketing steht vor einem mentalen Wandel: Brauchbar ist nur noch, was ordentliche Wertschöpfung schafft. Und wenn wir ehrlich sind, war das mal die Grundidee des Marketings überhaupt. Volumen-Denken sollte sich dem Wert-Denken unterordnen. Von den wenigen Fällen, wo beides zusammen passt, mal abgesehen. Alan G. Lafley, der Chef von Procter & Gamble, predigt seit Monaten „The Consumer is the Boss“. Und ein Brand Manager soll mehr Zeit denn je in den Haushalten und den Outlets verbringen, statt ständig nur am Schreibtisch Theorie zu optimieren. Shopper Marketing setzt im Kern diese mentale Kehrtwendung voraus. Gut zu wissen, dass immer mehr Händler und Hersteller diese Richtung einschlagen, damit das Marketing seine Existenz-Berechtigung zurück gewinnt.
Über den Autor: Bernd M. Michael wirkte bis 2005 als Chairman, Grey Global Group Europe, Middle East & Africa. Heute begleitet er die Agenturgruppe als Berater.