Von Jon Reily
Die Wall Street hat einen neuen Internet-Liebling: Shopify. Das Unternehmen, das aktuell hinsichtlich der Marktkapitalisierung stärker dasteht als eBay, ermöglicht es vor allem kleineren Unternehmen mit wenig Budget, leicht einen Online-Shop zu erstellen und zu betreiben sowie beliebte Features aus dem Amazon-Ecosystem einzubinden.
Im volatilen Tech-Markt kann sich diese Marktstellung schnell wieder ändern. Denn klar ist: Gerade Amazon schläft niemals und hat die Shopify-Dienstleistungen, die Händlern sowohl auf dem Amazon-Marktplatz als auch über eigene Direktseiten angeboten werden, genau unter die Lupe genommen. Es wäre ein Leichtes für Amazon, diese Services nachzubauen und selbst zu vermarkten – genauso wie für viele andere Softwarefirmen. Bisher hat es nur noch keiner getan.
Der Grund ist recht einfach: Amazon ist bekannt für langfristiges Denken. Auch wenn die offensichtliche Strategie des Internetgiganten darin besteht, am Ende der Store für alles zu sein, schließt dies aktuell nicht aus, dass Shopify und Händler ihren eigenen Weg gehen. Da mehr als die Hälfte der Käufer ihre Produktsuche sowieso in der Suchleiste von Amazon startet, ist es für den E-Commerce-Riesen zumindest im Moment nicht notwendig, in die Offensive zu gehen. Abwarten ist etwas, das Amazon sehr gut kann.
Es besteht kein Zweifel daran, dass Shopify das Spielfeld E-Commerce für Viele geebnet hat. Aber genau die Argumente, die Shopify so attraktiv machen, hindern das Unternehmen daran, es mit Amazon aufzunehmen und in direkte Konkurrenz zu treten: Kosten, Kontrolle und Kunden.
Shopify-Herausforderung 1: Kosten
Indem Shopify auf seinen Plattformen einen Anteil des Umsatzes der Händler einstreicht, kann das Unternehmen die Preise für seine Handelskunden niedrig halten. Dies erschwert es Händlern jedoch, ihre Angebote mit steigendem Online-Erfolg zu skalieren. Shopify ist ohne Frage eine der besten Lösungen für Unternehmen, schnell und kostengünstig online zu verkaufen. Für große Konsumgüterunternehmen oder Großhändler dürften dieses Revenue-Share-Modell jedoch kaum funktionieren.
Die Mehrheit der 800.000 Kunden von Shopify sind kleine und mittelgroße Unternehmen, von denen viele scheitern und durch Newcomer ersetzt werden. Die Erfolgsformel von Shopify lautet: Benutzerfreundlichkeit + günstige Start-up-Kosten = viele Kunden, die ihr E-Commerce-Glück versuchen wollen. Ein großartiges Geschäftsmodell – für Shopify. Wie bei vielen Dingen steckt der Teufel aber im Detail.
Shopify-Herausforderung 2: Kontrolle
Eines der gefeierten Merkmale von Shopify ist die Kontrolle, die die Plattform ihren Kunden bietet. Unternehmen sind in der Lage, ihre Stories über soziale Netzwerke wie Instagram und Facebook zu erzählen. Beide Kanäle wachsen jedoch selbst immer schneller zu eigenständigen Handelsplattformen heran. Facebook hat sogar eine eigene E-Commerce-Experience für Instagram entwickelt, die noch in diesem Jahr breit ausgerollt wird. Dazu kommt Facebooks E-Currency Libra, deren Verwendung auf den sozialen Plattformen vermutlich allgegenwärtig sein wird. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Händler sich auf den großen sozialen Bühnen bald ähnlichen Herausforderungen stellen müssen wie beim direkten Verkauf über Amazon.
Shopify-Herausforderung 3: Kunden
Vor dem Hintergrund, dass der heute noch kostenlose Zugang zu den Kunden künftig mit Kosten verbunden sein könnte, gehen viele Unternehmen auf Nummer sicher. Sie nutzen Shopify, um auf ihren eigenen Websites E-Commerce-Experiences zu etablieren und direkte Beziehungen zu den Konsumenten aufzubauen. Dieses Brot- und Buttergeschäft von Shopify ist aber nicht vor Gefahren gefeit, denn der Erfolgsfaktor Kunde ist nicht selbstverständlich.
Für viele Unternehmen, die sich gegen den Weg des Handels über Amazon oder soziale Netzwerke entscheiden, liegt die größte Herausforderung darin, Kunden auf die eigenen E-Commerce-Plattformen zu locken. Das Designen einer Website und die Implementierung einer Handelsplattform sind an sich nicht schwierig. Das Marketing, die Kundengewinnung und die schnelle Anpassung an das sich kontinuierlich verändernde Kundenverhalten stellen jedoch viele Unternehmen vor eine große Herausforderung. Man kann im E-Commerce nicht einfach einen Shop aufmachen, das „Geöffnet“-Schild raushängen und darauf warten, dass die Kunden vorbeischauen. Marketing ist für jedes Unternehmen, das online Handel treibt, elementar und entscheidet über Erfolg und Misserfolg – unabhängig davon, wie gut die Shopify-Lösung selbst ist.
Fazit
Shopify ist ohne Frage der große Equalizer im E-Commerce und hat hunderttausenden von Unternehmen die Tür ins Online-Business geöffnet. In seiner jetzigen Form stellt die Lösung aber keine große Bedrohung für Amazon dar, da sie sich nicht einfach in großem Umfang skalieren lässt. Bevor sich Shopify zu einer echten Gefahr für Amazon entwickelt, wird der E-Commerce-Gigant mit Sicherheit zurückschlagen und eine eigene Lösung anbieten.