Keinen Meter zurückgelegt: Diese Meldung sah der japanische Carsharing-Anbieter Orix immer wieder bei der Auswertung der Kundenaktivitäten. Times24 Co., ein anderer Anbieter von Automobil-Sharing-Diensten mit mehr als 1,2 Millionen registrierten Nutzern, berichtete dasselbe. Um herauszufinden, was vor sich ging, führten beide Unternehmen Umfragen bei ihren Kunden durch. Was sie entdeckt haben, sagt viel über unsere modernen Konzepte von Arbeit und privatem Raum in der Großstadt aus.
Die Antworten ihrer Kunden überraschten die Anbieter: Einige gaben an, in ihrer Mittagspause oder zwischen zwei Terminen im Auto ein Nickerchen zu machen. Andere deponierten Taschen oder Einkäufe in den Wagen, wenn die öffentlichen Schließfächer in der Umgebung bereits belegt waren. Wieder andere wollten einfach nur in Ruhe im Auto essen oder telefonieren.
Nach dem Erdbeben wurden Handys im Auto aufgeladen
Dass Carsharing-Autos im größeren Maße zweckentfremdet wurden, erlebten die Anbieter erstmals nach dem großen Erdbeben in Japan im Jahr 2011. Damals nutzen Kunden die Autos, um ihre Handys aufzuladen. Die Anbieter gingen allerdings davon aus, dass dies der Ausnahmesituation im Land geschuldet sei. Damals war das Stromnetz sehr wackelig. Aber auch heute ist die Suche nach einer Steckdose für viele Kunden ein weiterer Grund, sich ein Auto zu leihen.
Carsharing ist in Japan sehr beliebt. Die Autos sind überall zugänglich und leicht zu finden. Kunden können sie für ein paar Stunden oder einen ganzen Tag mit ihrem Smartphone reservieren. Für 30 Minuten zahlen Kunden umgerechnet rund vier Euro. Das ist beispielsweise günstiger als die meisten Coworking-Büros. Die Idee, ein Auto als Platz für ein Nickerchen, als Telefonzelle oder sogar als privates Youtube-Studio zu verwenden, ist faszinierend. Es zeigt, dass jede primäre Funktion eines Dienstes der Sharing-Economy immer auch zur Interpretation stehen kann.
Wie sollen die Carsharing-Unternehmen reagieren? Werden sie ihre Autos als billige und einfache Möglichkeit, auch in einer Großstadt Zugang zu einem privaten Raum zu erhalten, vermarkten? Das ist derzeit unwahrscheinlich. Die meisten Unternehmen verdienen erst dann Geld, wenn die Autos nicht nur ausgeliehen, sondern auch gefahren werden. Dem Ertragsmodell liegt eine Mischkalkulation aus Mietzeit und zurückgelegte Distanz zu Grunde. Schädlich wird es für Unternehmen sogar, wenn die Kunden beim parkenden Auto den Motor laufen lassen, um die Klimaanlage zu betreiben. Auf den Sprit- und Energiekosten bleibt die Firma dann sitzen.
Zusätzliche Gebühr, wenn das Auto nicht gefahren wird?
Der Trend aus Japan kann allerdings zu einem erweiterten Geschäftsmodell führen. Eine Möglichkeit wäre, eine zusätzliche Gebühr zu erheben, wenn das Auto nicht bewegt wird. Selbst in Japan, wo Carsharing im internationalen Vergleich sehr verbreitet ist, stehen die meisten Autos bis zu 80 Prozent. Dieser Wert ist durch die Einführung von Uber und Lyft in den vergangenen zwei Jahren noch einmal gestiegen. Daher wäre es durchaus ein Ansatz, den Kunden entscheiden zu lassen, wie sie das Produkt nutzen wollen und die Kalkulation entsprechend anzupassen.
In Deutschland können die Carsharing-Anbieter noch nicht erkennen, dass ihre Autos im größeren Umfang für Nickerchen genutzt werden. Ganz ausschließen sollten sie dies aber in der Zukunft nicht. Die Zahl der Anbieter wächst und damit der Preisdruck. Erst im Frühjahr ist Sixt mit einem eigenen Dienst gestartet. Der Anbieter Cambio bietet die Wagen beispielsweise bereits ab 1,50 Euro an. Das ist im Vergleich zu Japan eine sehr günstige Mittagspause.