Insgesamt erreichten den Werberat im Jahr 2015 Beschwerden von 1083 Personen und Organisationen zu 622 einzelnen Werbemaßnahmen. Für 243 Fälle war der Werberat nicht zuständig, etwa weil es sich um mögliche Gesetzesverstöße handelte oder redaktionelle Inhalte der Medien betroffen waren. Mit 379 Fällen lag die Beschwerdeprüfung 2015 in etwa auf dem Niveau vom Vorjahr (minus 2 Prozent).
103 Erfolge, 11 öffentliche Rügen: Unternehmen nehmen Kritik des Werberats ernst
In 114 Fällen oder knapp einem Drittel schloss sich der Werberat der Kritik aus der Bevölkerung an. 97 Unternehmen stellten die betroffene Werbung daraufhin ein, sechs weitere änderten ihre Motive oder TV-Spots. So warb ein Energiedienstleister in seinem TV-Spot mit einer Heavy-Metal-Band. Da die Musiker zombieähnliche Masken trugen, kritisierten die Beschwerdeführer den Spot als angsteinflößend und entwicklungsbeeinträchtigend für Kinder. Das Unternehmen ließ bestimmte Szenen – Zoom auf die Masken – herausschneiden. Den verkürzten Spot stufte der Werberat als nicht mehr problematisch ein.
In elf Fällen jedoch zeigten sich die betroffenen Unternehmen uneinsichtig und wurden öffentlich gerügt (2014: 14 Rügen). Nicht selten zieht ein Unternehmen seine Werbung nach Verhängung der öffentlichen Rüge und ihrer Verbreitung über die Medien doch noch zurück. Der Werberat beobachtet darüber hinaus, dass ein Mal gerügte Unternehmen in der Regel kein zweites Mal auffällig werden. Hans-Henning Wiegmann, Vorsitzender des Gremiums, sagt: „Die Anerkennung des Werberats und seiner Entscheidungen sind in der Branche weiter hoch, wie die Zahlen des Jahres 2015 belegen. Die Verhaltensregeln des Werberats sind klare Leitlinien, die den Unternehmen bei der Konzeption ihrer Werbung wertvolle Orientierung geben.“
52 Prozent der Beschwerden fallen unter Sexismus
Die meisten Beschwerden erreichen den Werberat traditionell wegen des Vorwurfs der geschlechterdiskriminierenden Werbung. Unter diesem Punkt werden die Themen Frauenherabwürdigung (sexistische Werbung) sowie Frauen- und/oder Männerdiskriminierung zusammengefasst. 2015 betrafen 196 Fälle oder rund 52 Prozent diese Rubrik. Der Werberat beanstandete nahezu die Hälfte aller Werbesujets (88 Fälle). Zum Vergleich: 2014 waren es nur 38 Prozent. Grundlage der Entscheidungen waren die im Jahr 2014 aktualisierten Verhaltensregeln des Deutschen Werberats gegen Herabwürdigung und Diskriminierung von Personen.
Weiter Beschwerdegründe betrafen die Themen:
- Ethik und Moral (42 Fälle)
- Diskriminierung von Personengruppen (28 Fälle)
- Entwicklungsbeeinträchtigung Kinder und Jugendlicher (19 Fälle)
- Nachahmungsgefahr gefährlichen Verhaltens (19 Fälle)
- Alkoholwerbung (8 Fälle)
- Lebensmittelwerbung (2 Fälle)
Werbung soll nicht die Gesellschaft umerziehen
In die Fallgruppe „Frauendiskriminierung“ fallen auch Beschwerden über Werbemaßnahmen, die aus Sicht der Beschwerdeführer veraltete Rollenbilder beinhalten und somit zu einer Verfestigung überholter Rollen von Mann und Frau in der Gesellschaft beitragen würden. Kritisiert wurde beispielsweise eine Prospektwerbung für Kinderbettwäsche: Darin lag das Mädchen in einer Prinzessinnen-Bettwäsche, der Junge in einer Feuerwehrmann-Bettwäsche. Für den Werberat bedeutet der Einsatz von Stereotypen in der Werbung als solches noch nicht per se eine Diskriminierung einer bestimmten Personengruppe (zum Beispiel Frauen oder Mädchen). In der Bettwäsche-Werbung werde zwar eine (vermeintlich) geschlechtertypische Auswahl getroffen, diese spiegele jedoch die Vorlieben vieler Kinder und ihrer Eltern wider. Diese Realität dürfe die Werbung auch abbilden; sie habe nicht den gesellschaftspolitischen Auftrag, eine Umerziehung der Gesellschaft voranzutreiben.
Werbeverbote als Scheinlösung für gesellschaftliche Probleme
Ebenfalls nicht einverstanden zeigte sich der Werberat gegenüber Forderungen nach einem gesetzlichen Verbot geschlechterdiskriminierender Werbung. Der SPD-Parteivorstand hatte ein solchen Verbot als Reaktion auf die massenhaften Übergriffe gegen Frauen in der Silvesternacht in Köln und anderen deutschen Städten auf seiner Jahresauftaktklausur beschlossen. „So schlimm die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht waren, so wenig haben sie mit Werbung zu tun. Neue gesetzliche Regelungen zur Werbung wären eine Scheinlösung im Rahmen einer großen gesellschaftlichen Herausforderung“, betont Julia Busse, Geschäftsführerin des Werberats.
Weil die Kommunikation mit dem Konsumenten zunehmend auch über soziale Netzwerke stattfindet, hat der Werberat im September 2015 außerdem Leitlinien für Alkoholwerbung in Social-Media-Auftritten formuliert. „Die Werbewirtschaft ist sich ihrer besonderen Verantwortung in diesem Bereich sehr bewusst“, betont Julia Busse. „Mit den Erläuterungen wollen wir auf diese Fragen eingehen, die Beachtung des Kodex in der täglichen Praxis erleichtern und konkrete Hinweise zu dessen Umsetzung geben.“
Der Deutsche Werberat ist eine Selbstkontrollinstanz der Werbebranche und wird getragen von Werbungtreibenden, Medien, Agenturen und Marktforschern. Mehr Infos gibt es hier. (jaw)