Bürokratische Eigenheiten sind in der Europäischen Union nichts Besonderes. Das zeigt auch folgende Realität: Produkte, die aus Kakaobutter, Zucker und Cashewmus bestehen, dürfen laut der EU-Richtlinie 2000/36/EG nicht als „Schokolade“ bezeichnet werden. Das Problem: Sie enthalten keine Kuhmilch. Damit bleiben vegane Alternativen außen vor, während dunkle vegane Schokolade problemlos den Namen tragen darf.
Das Leipziger Start-up Nucao sieht in der Richtlinie ein Relikt vergangener Tage. Christian Fenner, Mitgründer von Nucao, hat eine klare Meinung: „Sie ist ein Hindernis für Innovation im Süßwarenregal und verwirrt Verbraucher*innen unnötig“, wird er in einer Mitteilung der Marke zitiert. „Kakaobutterhaltige Zubereitung“ – so müssen ihre pflanzlichen weißen Schokoladen derzeit heißen – klingt tatsächlich wenig nach einem emotionalen Genussversprechen.
Der Namensstreit um Schokolade
Mit einer Petition auf Change.org fordert das Unternehmen zum Veganuary 2025, dass auch vegane Alternativen als „Schokolade“ bezeichnet werden dürfen – sofern sie nach Schokolade schmecken, aussehen und dieselben Hauptzutaten haben. Ziel ist es, 100.000 Unterschriften zu sammeln, um die veraltete Richtlinie im EU-Parlament zur Diskussion zu bringen.
Die Richtlinie aus dem Jahr 2000 entstand zu einer Zeit, als vegane Alternativen noch eine Randerscheinung waren. Heute jedoch wächst der globale Markt für vegetarische und vegane Produkte rasant. Allein der globale Markt für vegane Schokolade wurde im Jahr 2023 auf 1,25 Milliarden US-Dollar beziffert und wird voraussichtlich von 1,38 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf 3,77 Milliarden US-Dollar bis 2032 anwachsen – mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 13,42 Prozent im Prognosezeitraum. Während Länder wie die USA oder Großbritannien flexiblere Definitionen für Schokoladenprodukte eingeführt haben, blockieren die EU-Vorschriften laut Nucao Innovationen auf dem europäischen Markt.
Verbraucher und Hersteller im Nachteil
Die aktuelle Regelung betrifft nicht nur Hersteller wie Nucao, sondern auch Millionen Verbraucher*innen: Menschen mit Laktoseintoleranz, Kunden, die auf Klimaschutz achten, und Händler, die ihre veganen Sortimente ausbauen wollen. „Die EU-Richtlinie aus dem Jahr 2000 muss in der Gegenwart ankommen“, so Fenner.
Begleitet wird die Petition von einer Plakatkampagne in Leipzig, die den absurden Widerspruch der EU-Regelung pointiert darstellt. Auch in den sozialen Medien will das Start-up nach eigenen Angaben mit reichweitenstarken Aktionen Aufmerksamkeit für ihr Anliegen generieren.
Start-up gegen EU: David gegen Goliath?
Die Schoko-Debatte erinnert an die Diskussionen um pflanzliche Milchalternativen, die ähnliche Einschränkungen erfahren. Trotz Widerstands von Verbraucherverbänden hält die EU an den strikten Vorgaben fest – teils unter dem Einfluss starker Lobbygruppen aus der traditionellen Lebensmittelindustrie. In der Europäischen Union ist der Begriff „Milch“ gesetzlich geschützt und bezieht sich ausschließlich auf das „normale Eutersekret ohne jegliche Zusätze oder Entzug, das durch einmaliges oder mehrmaliges Melken von Tieren gewonnen wird“. Daher dürfen pflanzliche Getränke wie Sojadrinks nicht als „Milch“ bezeichnet werden.
Der Gerichtshof der Europäischen Union bestätigte diese Regelung im Jahr 2017. Er entschied, dass Bezeichnungen wie „Sojamilch“ oder „Tofubutter“ für rein pflanzliche Produkte nicht zulässig sind. Zudem diskutierte 2020 das Europäische Parlament über den Änderungsantrag 171, der weitere Einschränkungen für die Kennzeichnung pflanzlicher Milchalternativen vorsah. Dieser hätte Begriffe wie „Joghurt-Alternative“ oder „käseähnlich“ verboten und sogar Verpackungen untersagt, die an Milchprodukte erinnern. Nach erheblichem Widerstand von Verbrauchergruppen und NGOs wurde der Änderungsantrag im Mai 2021 zurückgezogen.
Mit ihrer Petition wagt Nucao nun den Schritt in die Öffentlichkeit. Ob sich die EU öffnen und die veralteten Regelungen überdenken wird, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch: Die Debatte um die Definition von Schokolade könnte weitreichende Konsequenzen für Innovation und Vielfalt im Lebensmittelmarkt haben.