Herr Strecker, messen Händler ihrer Pricing-Strategie in Ihren Augen genügend Bedeutung zu?
Florian Strecker: Der Einzelhandel in Deutschland hat sich mit dem Thema Pricing in der Vergangenheit nicht ausreichend beschäftigt. Der Fokus lag eher auf der Verbesserung, Optimierung und effizienten Unterstützung von internen Prozessen wie warenwirtschaftlichen oder logistischen Prozessen sowie einer effizienten Abwicklung in der Filiale. Und das, obwohl der Preis nachweislich der größte Gewinnhebel im Unternehmen ist.
Was machen die Verantwortlichen falsch?
Die Preisentscheidung lag und liegt oft beim Einkauf und basiert traditionell auf einem kostenbasierten Ansatz. Das heißt, ein Produkt wird für zehn Euro eingekauft und eine Marge von 20 Prozent draufgeschlagen – der Lieferant bestimmt in diesem Fall die Preise, weniger der Kunde.
Der Wettbewerb war dadurch bislang bedingt interessant oder nur in Teilsortimenten wie bei den Discountern zu finden und wurde, wenn überhaupt, auf Unternehmensebene und nicht lokal auf Ebene einzelner Filialen oder Standorte betrachtet. Die Bereitschaft des Kunden, einen bestimmten Preis für ein Produkt zu bezahlen, wurde meist in regelmäßig durchgeführten Studien betrachtet und nicht auf Basis von Analysen der eigenen Abverkaufsdaten. In der Regel hat man sich mit einer Handvoll Produkten, sogenannte Eckartikel, mehr am Wettbewerb orientiert, da diese dem Kunden sehr präsent sind – wie zum Beispiel die Milchpreise – und hat den Rest des Sortiments mit Margenzielen etwas grober gesteuert. Die Prozesse selbst wurden meist mit einfachen Werkzeugen wie Excel abgebildet und Preise höchstens monatlich bis 2-mal im Jahr verändert.
Warum haben sich aus Ihrer Sicht die Voraussetzungen geändert?
Die alten Preisgestaltungsprozesse sind heute nicht mehr effizient, da der Wettbewerb insgesamt zugenommen hat und das Internet dafür sorgt, dass Preise immer transparenter werden und Preisfehler schnell auffallen. Das Internet sorgt auch für starken Druck auf die Dynamik der Preisstrategie, sodass ein monatlicher Rückblick nicht mehr ausreicht. Händler, die ihr Geschäft nicht schneller und „smarter“ steuern, werden Probleme mit ihrer Profitabilität bekommen und ihre Kunden werden zur Konkurrenz abwandern.
Wie sieht eine „smarte“ Strategie aus?
Eine gute Preisstrategie findet die Balance zwischen Wettbewerbsorientierung und Profitabilität. Sie sollte zunächst auf verschiedenen Ebenen der Warenhierarchie verankert sein sowie regionalen Wettbewerb und Nachfrage berücksichtigen. Während ich bei manchen Filialen in bestimmten Kategorien sehr wettbewerbsorientiert sein muss, etwa weil Lidl oder Aldi um die Ecke sind, kann ich an anderen Standorten den Wettbewerb bei der Preisbildung eher vernachlässigen. Während eine Kategorie in der Großstadt vielleicht ein Frequenzbringer ist und dafür sorgt, dass die Kunden in meine Filiale strömen, kann eine Kategorie auf dem Land vielleicht eher helfen, Profitabilität zu steigern.
Welche Bedeutung hat Dynamic Pricing aus strategischer Sicht?
Da mittlerweile auch der klassische Händler mit einem Großteil seines Sortiments online ist, verschärft sich der Druck auf dynamische Preisanpassung, andernfalls wandert der Kunde schnell zur Konkurrenz. Dynamisches Pricing wird somit immer mehr zur Notwendigkeit und übt Druck auf die klassischen Händler aus, Preisprozesse zu automatisieren. Allerdings sollte nicht nur die Dynamik im Vordergrund stehen, denn schnellere schlechte Prozesse führen nur schneller zu schlechten Ergebnissen. Es geht also auch hier darum, vorhandene Daten und Wettbewerber genau zu analysieren, um intelligente Preisstrategien umzusetzen, die dort wettbewerbsorientiert und dynamisch sind, wo nötig.
Wenn der Kunde das merkt, kann es zum Imageschaden kommen. Wie vermeidet man den?
Wenn der Händler seine Kunden kennt und das Pricing der Kundenerwartung entspricht, schadet das der Marke keineswegs. Je stärker die Marke, desto eher akzeptiert der Kunde auch steigende Preise. Bei anderen Produkten hingegen ist es eher wichtig, sich klar gegenüber dem Wettbewerb zu positionieren. Hier honoriert der Kunde Preissenkungen entsprechend. Es gibt bereits stationäre Händler, die mehrmals am Tag Wettbewerbspreise einholen und darauf basierend die eigenen Preise anpassen. Da es sich dabei um sehr preissensitive Produkte handelt, geht die Preisbewegung in diesem Bereich untertags ausschließlich nach unten, während in weniger sensitiven Bereichen Preise auch erhöht werden, allerdings maximal täglich. Damit stärkt dieser Händler sein Preisimage als preisaggressiv und balanciert diese Investition mit gezielten Preissteigerungen in anderen Bereichen.
Ist das für den Kunden ein Vor- oder Nachteil?
Am Ende des Tages bekommt der Kunde, was er will. In gewissen Bereichen ist er nicht bereit, mehr auszugeben und erwartet den besten Preis, also bekommt er den besten Preis. In anderen Bereichen akzeptiert er höhere Preise, sei es aufgrund der Qualität eines Produkts oder aufgrund von Zusatzdienstleistungen. Es liegt am Händler, Mehrwerte zu generieren, die einen höheren Preis rechtfertigen. Ob günstiger Preis oder besonderes Produkt, beides kommt dem Kunden zugute.