Iris Jeglitza-Moshage hat harte Zeiten hinter sich. Als Geschäftsleiterin der Messe Frankfurt musste sie zu Beginn der Corona-Pandemie erleben, wie von heute auf morgen das komplette Business wegbrach. Alle internationalen Messen mussten abgesagt, digitale Alternativen aus dem Boden gestampft werden. Von einem Tag auf den anderen galten Homeoffice, Remote Work und Kurzarbeit als „New Normal“. Dennoch sagt Jeglitza-Moshage: „Ich schlafe gut und habe auch in Zeiten der Corona-Krise gut geschlafen.“ Sie selbst hält sich für „absolut nicht burnoutgefährdet“, da sie Optimistin sei. Zwei weitere Gründe nennt die Managerin für ihre ganz persönliche Resilienz: Sie habe im Laufe ihrer langen Karriere gelernt, die richtigen Prioritäten zu setzen, und sie profitiere im Job von „sehr großer Kollegialität“.
Doch nicht alle Manager*innen können sich derart robust und glücklich schätzen. Laut einer McKinsey-Studie klagen inzwischen 41 Prozent der Top-Führungskräfte in Deutschland über Burnout-Symptome. 81 Prozent der CEOs beschreiben den Krisenmodus als Normalzustand, so der Mental Health Report von Headspace. Und ganz offensichtlich hat das eine mit dem anderen zu tun, denn der Druck auf die Leader wächst: Digitalisierung, Transformation, New Work, Agile Work, Inflation und multiple Krisen setzen ihnen zu. Gepaart mit typischen Managerqualitäten wie einer starken Leistungsorientierung kann es dann schnell zu gesundheitlich bedenklichen Schieflagen kommen.
Irgendwann hält man Stress für normal
Für den Mediziner Christian Graz können Stressoren wie die eben genannten zu zahlreichen physiologischen und psychischen Veränderungen führen: „Das Risiko von Durchschlafstörungen mit Früherwachen steigt, das Gedanken- und Sorgenkarussell stört die Gedächtnisleistungen, Energieniveau und Leistungsfähigkeit sinken, Unzufriedenheit, Ungeduld, Reizbarkeit und Angespanntheit nehmen zu.“ Bei vielen Führungskräften herrschten zudem „sehr hohe Leistungskognitionen bis hin zu einer zwanghaft anmutenden Verbissenheit“. Ein Teufelskreis, der offenbar immer häufiger im Burnout endet.
Graz kennt sich aus mit der Behandlung der von Burnout geplagten Führungskräfte. Bis vor kurzem war er Chefarzt der psychosomatischen Abteilung der Max Grundig Klinik in Bühl in Baden-Württemberg, im Oktober übernimmt er den Direktorenposten der Libermenta Klinik Schloss Freudental, einer auf die Behandlung von Leistungsträgern und Spitzensportler*innen spezialisierten Einrichtung. Zu den wichtigsten Burnout-Symptomen zählt der Mediziner neben Erschöpfung, Ohnmacht und depressiver Verstimmung auch Angst, Schlafstörungen, Reizbarkeit und Impulsivität.
Doch was genau führt zu diesen Symptomen? Christina Buchholz, früher Führungskraft bei Beiersdorf und – nach einem eigenen Burnout – seit 2021 Mental Health Coach, erinnert sich gut. Während ihrer 13-jährigen Konzernkarriere habe sie „grundsätzlich über Gebühr in die Arbeit investiert“: „Wenn alle um einen herum gestresst und getrieben sind, hält man es irgendwann für normal.“ Erst als ihr Körper nicht mehr mitmachte, zog Buchholz die Reißleine, durchlitt danach eine „erschreckend lange Genesungszeit“.
Heute sagt Buchholz: „Wie bei vielen Burnout-Patient*innen spielte auch bei mir die zunehmend abnehmende Selbstwirksamkeit eine große Rolle in der Abwärtsspirale. Fremdbestimmtheit und Arbeitsbelastung nahmen gleichermaßen zu. Die innere Stimme, die Fähigkeit mich selbst und meine Bedürfnisse zu spüren, nahmen immer stärker ab.“
Furcht vor Imageverlust
Das Verhalten der Ex-Managerin Buchholz war typisch. Die meisten Führungskräfte reagieren auf Burnout-Symptome viel zu spät. Zum einen, weil sie viele Symptome schlicht nicht ernst nehmen. Zum anderen, weil sie tradiertes Führungsdenken noch allzu oft dazu zwingt, Stärke zu zeigen und Schwächen nicht zuzulassen. Auch Mediziner Graz sieht das so: „Das persönliche und öffentliche Eingestehen von Gefühlen des Ausgelaugtseins werten Topmanager*innen als Schwäche und Imageverlust.“
Die Liste der persönlichen Burnout-Fallen ist lang. Für Beraterin Buchholz zählen hierzu ein Hang zu Perfektionismus, hohe Verantwortungsbereitschaft, Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit sowie eine starke Identifikation mit der beruflichen Tätigkeit. Aus eigener Erfahrung betont sie deshalb heute: „Ich definiere mich nicht mehr über meinen Job.“ Eine für viele Leader ziemlich undenkbare Aussage.
„Resilienz wird zur Schlüsselkompetenz.“
Christina Buchholz, Mental Health Coach
Es gibt viele Möglichkeiten, einen Burnout zu vermeiden beziehungsweise bei den ersten Symptomen richtig zu handeln. Neben gesunder Ernährung, Sport und Entspannungstechniken gehören aus individueller Perspektive vor allem dazu: mehr Selbstreflexion und innere Gelassenheit, eine gesunde Distanz zur vermeintlichen Unersetzlichkeit sowie bewusst gesetzte und dann auch durchgesetzte Pausen. Aus Arbeitgebersicht ist wichtig, eine vertrauensvolle Unternehmens- und Fehlerkultur aufzubauen, um auch Führungskräften die Möglichkeit zu geben, sich zu öffnen, das Tabu der befürchteten Schwäche zu brechen und über mentale Gesundheit zu sprechen. „Resilienz wird zur Schlüsselkompetenz“, sagt Beraterin Buchholz. „Der mentalen Gesundheit von Führungskräften sollte daher absolute Priorität eingeräumt werden.“
Menschen, die bereits klare Burnout-Symptome verspüren, empfiehlt sie das Vorgehen in drei Eskalationsstufen: Zügig eine individuelle Betreuung durch einen ausgebildeten Coach nutzen oder einen Psychotherapeuten aufsuchen oder in eine Spezialklinik gehen.