Von Katharina Kunzmann
Schon frühmorgens beantwortet er Mails, macht Sport und ist dennoch der Erste im Büro. Denn sein Wecker klingelt bereits um 3:45 Uhr. Apple-
CEO Tim Cook ist Frühaufsteher und nutzt die Morgenstunden, um produktiv zu sein. Damit aber nicht genug. Cook knipst morgens das Licht im Büro nicht nur an, sondern abends auch wieder aus. Alles, um sein Arbeitspensum zu schaffen. Und daraus macht er keinen Hehl, sondern betont in Interviews nur zu gerne, dass er ein schlafloser Work- aholic sei. Der Applaus dafür dürfte ihm gewiss sein.
Denn mit seiner Einstellung zum Schlaf ist er nicht allein. Viele Topmanager und Politiker prahlen damit, wie wenig sie rasten: Tesla-CEO Elon Musk reichen angeblich sechs Stunden Nachtruhe, US-Präsident Donald Trump oder die ehemalige Yahoo-Chefin Marissa Mayer kommen gar mit nur vier Stunden aus. Und auch sie werden nicht müde, dies wieder und wieder zu betonen. Mayer spricht sogar stolz von einer 130-Stunden-Woche, die ihr dank ihrer Schlaflosigkeit gelang, als sie noch bei Google beschäftigt war.
Cook, Musk, Mayer, Trump: Es sind große Namen, die propagieren, dass maximale Produktivität nur mit minimalem Schlaf und frühem Aufstehen erreicht werden kann. Und ihr übernächtigter Lifestyle wird nicht nur akzeptiert, sondern gar bewundert. Nach dem Motto: Wer müde ist, der muss hart gearbeitet haben.
Schlaflos ist schick, oder?
Schlaf scheint zum, Pardon, modernen Schwanzvergleich mutiert zu sein. Einziger Unterschied ist, dass nicht mehr damit angegeben wird, wer den längsten, sondern wer den kürzesten hat. Und das Beste: Männer und Frauen können ganz gleichberechtigt in diesen Wettstreit ziehen. Mit den Waffen der Ruhelosen: Mails bis spät in die Nacht verschicken, Meetings in Herrgottsfrühe ansetzen und dem Ass im Ärmel, einem ordentlichen Jetlag. So wird Schlafmangel zum erstrebenswerten Statussymbol glorifiziert.
Aber nicht alle Führungskräfte spielen dieses schlaflose Spielchen gerne mit. Forscher der Max Grundig Klinik haben herausgefunden, dass Manager besonders häufig Schlafprobleme haben, also völlig unfreiwillig übermüdet sind. Hierfür befragten sie 1 000 Führungskräfte in Deutschland, aus allen Branchen, allen Unternehmensgrößen und Regionen. Als Schlafkiller Nummer eins entpuppte sich „beruflicher Stress“. Klingt logisch, denn wer viel Druck hat und viel Verantwortung trägt, dem fällt das Loslassen und Abschalten schwerer: „Unsere Zahlen belegen, dass rund drei Viertel der Führungskräfte das Büro gedanklich mit nach Hause nehmen und zwar bis spät in die Nacht“, erläutert Professor Dr. Curt Diehm, ärztlicher Direktor der Max Grundig Klinik, das Teilergebnis der Studie. Der moderne Arbeitsstil, vor allem die ständige Erreichbarkeit, ergänzt Diehm, führe zu Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen. Deshalb zum Arzt zu gehen, komme aber nur für rund ein Viertel der Betroffenen infrage. Der Grund: „Viele Führungskräfte verdrängen ihre Schlafprobleme, ertragen sie als jobimmanent“, so Diehm. Anders formuliert: Wer erfolgreich sein will, muss leiden.
Ein müder Blick auf Deutschland
Auch die Nächte der Männer und Frauen in Deutschlands Führungsetagen sind kurz: Deutsche Chefs kommen im Schnitt auf sechs Stunden und zehn Minuten Schlaf pro Nacht – immerhin mehr als eine Stunde weniger als der Durchschnittsdeutsche. Das ist das Ergebnis einer Befragung von Führungskräften aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung durch das Institut für Demoskopie in Allensbach.
Mit besonders wenig Erholung müssen laut der Studie deutsche Spitzenpolitiker auskommen. Fast jeder Dritte kommt nur auf fünf Stunden Schlaf pro Nacht – oder noch weniger. Ausgerechnet unsere wichtigsten Entscheidungsträger führen also das Feld der Schlaflosen an und sollen trotzdem die Geschicke eines ganzen Landes leiten. Davon kann sicher auch Angela Merkel ein Gute-Nacht-Lied singen, während sie in langen Verhandlungen und Nachtsitzungen hockt, statt wohlbehütet in den Federn zu liegen. Nur gut, dass die Kanzlerin „Kamelkapazitäten“ hat, wie sie sagt – ein echtes Arbeitstier also. Aber kann man tatsächlich Vorschlafen und wie ein Kamel einen Schlafvorrat für wilde Partynächte oder noch wildere Sondierungsgespräche anlegen? Die klare Antwort lautet: Nein. Da sind sich die Schlafforscher mittlerweile einig. Was allerdings geht, ist, die Defizite wieder auszugleichen. Also „nachschlafen“, was man zuvor an Ruhe verpasst hat. Die Kanzlerin macht dies angeblich gerne an Samstagen.
Klar ist aber auch: Nicht jeder achtet darauf, dass er seinen verpassten Schlaf nachholt. Zu tief ist die Vorstellung der rastlosen Führungsfigur in den Köpfen der Chefs verankert. Dies zeigt ein weiteres Ergebnis der Allensbach-Studie: Über die Hälfte der befragten Manager waren der Meinung, dass „Normalschläfer“ keine Chance auf eine Führungsposition haben. Wer viel Schlaf braucht, wird also niemals Chef. Karriere verpennt.
Krank, dumm und unfreundlich
Zu wenig Schlaf sollte allerdings nicht unterschätzt werden. Ein Schlafmangel kann fatal für Körper und Geist sein, denn die Liste möglicher Folgen ist lang. Stark verkürzt könnte man sagen: Schlafmangel macht krank, dumm und unfreundlich. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um erfolgreich ein Unternehmen zu führen. Denn wer dauerhaft übermüdet ist, egal ob Chef oder Angestellter, wird schneller krank und fehlt in der Folge häufiger am Arbeitsplatz. Die US-Denkfabrik Rand Corporation geht davon aus, dass Krankheiten und verkürzte Lebenserwartungen als Folge von zu wenig Schlaf einen Verlust von 60 Milliarden Euro für die deutsche Wirtschaft bedeuten. Und zwar jährlich. Holla, die Schlaffee!
Es müssen aber nicht gleich Krankheiten sein. Müde Menschen können sich auch schlechter konzentrieren, was automatisch zu weniger Produktivität führt. Wer zum Beispiel 24 Stunden lang wach ist, weist ähnliche Verhaltensmuster auf wie ein Mensch mit einer Promille Alkohol im Blut – und liefert den entsprechenden Output. Außerdem sind übermüdete Menschen leichter reizbar. Sie sind angespannter und reagieren bei Problemen häufig sehr emotional, was nicht nur, aber eben auch schlecht fürs Betriebsklima sein kann – vor allem, wenn die Arbeitskollegen darunter zu leiden haben.
Aber nicht nur die Arbeitsweise leidet, sondern auch das Aussehen, was gerade für Beschäftigte, die persönlichen Kundenkontakt haben, folgenschwer sein kann. Im Detail: Schlägt man sich die Nächte um die Ohren, statt an der Matratze zu horchen, sind ein übermüdetes, zerknautschtes Gesicht, blasse Haut und Augenringe die Folge. Nicht von ungefähr sind das die gleichen Anzeichen, die auch bei kranken Menschen auftreten, denn Kraft und Energie fehlen. Und dann schrillen die Alarmglocken bei unserem Gegenüber: Der Wille, sich vor Ansteckungen zu schützen, ist tief in uns verankert und daher bewertet unser Gehirn ein müdes Gesicht als unattraktiver und kränklich.