Ruzicka schilderte den Unterschied zwischen Kommerzialisierung und Kapitalisierung von Naturalrabatten. Deshalb könne seiner Meinung nach gar kein Agenturgeld betroffen und daher auch nicht veruntreut worden sein. Ruzicka bezeichnete das Buchen der Rechnungen von Emerson FF als Nullsummenspiel für Aegis Media. Auch ein Schaden könne Aegis Media nicht erlitten haben. Die Staatsanwaltschaft wirft Ruzicka vor, bei Aegis Media 51,2 Millionen Euro veruntreut zu haben, die über Emerson FF zu seinen Firmen Camaco und Watson geflossen sind und dort verblieben sein sollen.
Richter Bonk legte zu Beginn seiner Befragung besonderes Augenmerk auf die Einkaufsvorteilskonten, kurz EKV. Ruzicka schilderte erneut, dass sich in den EKV-Konten nur Gelder befinden, die zu Beginn jedes Monats von den Kunden bei Aegis Media abgerufen werden. Dabei würden außertarifliche Vorteile im laufenden Monat temporär ignoriert. Am Monatsende werden nach Eingang aller endgültigen Medienrechnungen die Abrechnungen vorgenommen. Ruzicka erklärte, dass meistens ein Guthaben verbleiben würde, da für die Kunden Einkaufsvorteile erwirtschaftet werden. Dieses Guthaben erhalten die Kunden zurück.
Spätestens am Jahresende stehe jedes EKV-Konto wieder auf Null. Freispots würden an dieser Stelle „auf Kosten gesetzt“. Das bedeute, dass gemäß des Partizipationsmodells die Kunden beispielsweise 30 Prozent für einen Freispot zahlen. Diese Kommerzialisierung dürfe man jedoch nicht mit Kapitalisierung verwechseln, so Ruzicka. Aegis Media verdiene ausschließlich an Honoraren. Das „non sustainable income“ sei die einzige Einnahmequelle die nicht von den Kunden, sondern von den Medien komme. Auch Honorare für additiven Freespace würden an ganz anderer Stelle gebucht, und Freispots erst dann kapitalisiert.
Aegis Media besitze keine Freispots. Ebensowenig Emerson FF. Freispots gehören den TV-Sendern oder ihren Vermarktern und werden von diesen kundenbezogen vergeben, schilderte Ruzicka. Auch der Einsatz der Freispots bei den Sendern erfolge ausschließlich kundenbezogen. Nur durch ihre Ausstrahlung für einen Kunden und dessen Produkt würden Freispots überhaupt erst einen Wert bekommen. Ruzicka wörtlich: „Es ist für Kunden überhaupt kein Problem nachzuvollziehen, wieviele Rabatte die Agentur für ihn erhält“.
Zu Emerson FF befragt antwortete Aleksander Ruzicka, dass diese Agentur „Mittel zum Zweck gewesen ist, um eine Wertigkeit der erbrachten Leistungen zu berechnen“. Es seien nur dann Leistungen vermarktet und Kosten abgerechnet worden, wenn ein konkreter Nutzen erkennbar gewesen ist. Beispielsweise die Verbesserung der Konditionen über Cashrabatte oder die Steigerung der Naturalrabatte. Das von Ruzicka behauptete Beziehungsmanagement als eine Art CRM, Customer Relationship Management, habe „Argumente und Informationen“ beschafft, die laut dem von Ruzicka zitierten Financial Report von Aegis Media zu besseren Einkaufskonditionen und mehr Freespace geführt haben soll.
So seien die TV-Budgets der Aegis Media-Kunden in den Jahren 2002 bis 2006 um 25 Prozent zurückgegangen. Der Anteil an Freespace konnte dennoch von 8,6 Prozent auf 11,3 Prozent gesteigert werden. Die Wertigkeit der beschafften Informationen sei auf Basis einer Vorher-Nachher-Differenz festgelegt worden. Um dies für die Kunden greifbar zu machen, sei das auf einer öffentlich nachvollziehbaren Hilfsgröße, auf Spotbasis abgerechnet worden. Ruzicka bejahte die Nachfrage des Richters, ob Aegis Media den Wert einer Fremdleistung selbst definiert habe.
Ruzicka weiter: „Ich glaube nicht, dass das Frontoffice den Kunden im Detail gesagt hat, dass ihnen etwas berechnet wird, was Aegis Media zuvor kostenlos geleistet und selbst bezahlt hat“. Da Aegis Media keine andere Abrechnungsmöglichkeit für Zusatzleistungen außerhalb von Honoraren gehabt hätte, sei der Einsatz von Emerson FF als externe Verrechnungsstelle die einzige Möglichkeit gewesen. Emerson FF sei den Kunden als externe CRM-Agentur präsentiert worden. Der Einsatz von Emerson FF, sei „bis runter zum Mediaeinkauf“ bekannt gewesen, so Ruzicka.
Die Rechnungen von Emerson FF seien für Aegis Media ein Durchlaufposten und ein Nullsummenspiel gewesen, da sie eins zu eins an die Kunden weitergegeben und in den EKV-Konten verbucht wurden, so Ruzicka. Die Kunden hätten infolge dessen mehr Freispots bekommen als ihnen zustand. Aegis Media habe an mehr Honorar für diese Freispots partizipiert und gleichzeitig „null Kosten“ für Beziehungsmanagement und CRM-Maßnahmen gehabt, jedoch im Zeitraum 2002 bis 2006 zusätzlichen Gewinn von 34 Millionen Euro erwirtschaftet, so Ruzicka. Auch alle bisher vor Gericht befragten Kunden hatten ausgesagt, dass sie vertragskonform betreut und alle vereinbarten Mediaeinkaufsvorteile erhalten hatten.
Zu seinen Firmen Camaco und Watson befragt, schilderte Aleksander Ruzicka dem Gericht, dass er bei Aegis Media bekannte Partner genutzt und bewährte Konzepte weiterentwickelt habe. Ruzicka: „Camaco ist aus der Tätigkeit entstanden, nicht die Tätigkeit aus Camaco“. Dies treffe auf das Konzept der Treuhandfirma PLV seines Vorgängers Kai Hiemstra zusammen mit Hans-Henning Ihlefeld ebenso zu, wie auf die jahrelange Zusammenarbeit von Aegis Media mit der Bartergruppe Emerson Communication. Das Prinzip von Camaco, gemeinsam mit David Linn, Claudia Jackson und Heinrich Kernebeck, sei identisch zu PLV.
Auf derselben Vorlage seien später weitere Firmen entstanden: Watson von Ruzicka alleine. Cascade von Heinrich Kernebeck. Ortago von Claudia Jackson. Transportland Media von Manuela Rasmussen. Die Etablierung solcher Firmen und die Einbindung in das Konzept von Aegis Media, sei im Jahr 2003 im Global Executive Board, GEB, in London als auch mit Finanzchef Hans-Henning Ihlefeld und später Andreas Bölte besprochen worden. Solche Nebentätigkeiten seien bei fast allen leitenden Aegis-Managern europaweit üblich. Viele Manager hätten Reisebüros, PR-Firmen oder mindestens eine Beratungsfirma. Diese seien bei Aegis Media nicht nur bekannt, sondern würden auch regelmäßig genutzt, so Ruzicka.
Ruzickas Firmen seien „Steigbügel und Verrechnungselement“ gewesen. Zweck sei es gewesen, Kontakte herzustellen und die daraus gewonnenen Informationen zu nutzen. Dies sei unter Steuerung, Aufsicht und ständiger Kontrolle von Aegis Media geschehen. Man habe beispielsweise „gezielt Manager nach Südafrika eingeladen weil sie einen Etat zu vergeben hatten und nicht weil Südafrika so schön ist“, schilderte Ruzicka. Zunächst habe man dies als Teil von Branchenevents wie der Bambi-Verleihung organisiert. Später wurden „exklusivere und intimere Events“ selbst veranstaltet.
Die dabei gesammelten „Informationen und Argumente“ beinhalteten Details über Jobwechsel, berufliches Umfeld, finanzielle Situation, Hobbys, psychologische Entscheidungsmuster oder das soziale Netz von Marketingmanagern. Ziel sei es gewesen möglichst viel über die Ansprechpartner zu erfahren, diese miteinander ins Gespräch und ins Geschäft zu bringen um daran selbst zu partizipieren. Über Emerson FF habe man auch Zugang zu Informationen über Konditionen anderer Mediaagenturen und Medien gehabt, die man bei Verhandlungen mit den Medien und bei Pitches vorteilhaft einsetzen konnte.
Die Konzernleitung von Aegis Media habe solche Informationen regelmäßig im GEB ausgetauscht und beispielsweise festgelegt, wer wann wo mit welchem potentiellen Kunden „zufällig“ zusammentrifft. Die Umfelder dafür seien gezielt geschaffen und von Aegis-Managern mit ihren Kunden oder potentiellen Neukunden genutzt worden. So habe allein der verloren gegangene Pitch um Unilever Kosten von 1,5 Millionen Euro verursacht, die jedoch bei Aegis Media nicht als Ausgaben verbucht werden mussten, so Ruzicka.
Der heutige Aegis Media Zentraleuropa CEO und damalige Finanzchef, Andreas Bölte, sei nicht nur auf diesen Events gewesen, schilderte Ruzicka ein Beispiel. Bölte habe sogar Gästehäuser in Südafrika ausgesucht und gezielt Events für Kunden und ehemalige Kollegen aus der Musikindustrie bestellt. Vom Richter dazu befragt, welchen Grund Bölte hätte, dies auch vor Gericht anders darzustellen, antwortete Ruzicka: „Böltes offizielle Unkenntnis ist Teil der Gedanken, die hinter seiner Anzeige gegen mich steckt. Seine Aussage entspricht nicht der Realität. Sie spiegelt das wieder, was man bei Aegis Media im Zweifel heute noch nachweisen könnte“.
Zum Nachweis der Richtigkeit seiner Aussagen ließ Ruzicka einen von ihm mit Andreas Bölte am 11. November 2005 erstellten Financial Report für Deutschland und Zentraleuropa von Aegis als Beweismittel vorlegen. Aus diesem ergebe sich der Rückgang der Umsätze und Steigerung des Gewinns der Mediaagentur im selben Zeitraum. Gleichzeitig sei überhaupt kein Einzelposten so groß, als dass damit die vermeintlich veruntreuten Beträge von 51,2 Millionen Euro hätten bezahlt werden können. Den von Aegis Media behaupteten Schaden könne es gar nicht geben, argumentierte Ruzicka.
Vom Richter dazu befragt, ob er mit seinen Firmen Camaco und Watson Gewinne gemacht habe, räumte Aleksander Ruzicka buchhalterische Ausschüttungen ein. Diese seien jedoch auf den Firmenkonten als Rückstellung verblieben, um sie im jeweiligen Folgejahr wieder einsetzen zu können. Seine Firmen Camaco und Watson hätten in Summe 20 Mio. Euro an Steuern bezahlt, fügte Ruzicka hinzu. Lediglich für die von ihm zunächst privat bezahlten Auslagen habe er Geld zurück erhalten. Aegis Media habe jederzeit volle Kontrolle darüber gehabt. Es sei einerseits entschieden worden, wieviel Geld an Emerson FF gezahlt wird, da man die Wertigkeit der Fremdleistung selbst definiert habe.
Andererseits hätten die Finanzchefs entschieden, ob Kosten und Spesen bei Aegis Media, bei Emerson FF, Watson oder Camaco abgerechnet werden. Anhand des Eventkalenders und der eigenen Teilnahme sei auch die Verwendung der Gelder von Aegis Media kontrolliert und aktiv gesteuert worden. Ruzicka widersprach damit der Darstellung seines ehemaligen Arbeitgebers, dass Rechnungen nur automatisiert bezahlt werden würden und keine Kontrolle bestanden haben könne. Mindestens einmal monatlich hätten die Finanzchefs Ihlefeld und Bölte Rechnungen „physisch gebucht und per Unterschrift zur Zahlung freigegeben“.
Die Befragung Ruzickas durch das streckenweise staunende Gericht wird am Mittwoch fortgesetzt. Richter Jürgen Bonk zitierte mehrfach Ruzickas Einlassung gegenüber den Ermittlern vom März und Mai 2007. Diese war bisher von der Staatsanwaltschaft Wiesbaden pauschal als Schutzbehauptung bezeichnet und offenbar nur sehr partiell nachermittelt worden. Aleksander Ruzicka muss sich am Mittwoch auch den Fragen der Staatsanwälte stellen. mz